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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

und unter sich verbunden sind, daß es unmöglich ist, durch dasselbe anders, als auf den gebahnten Wegen, zu dringen. Bis zum Fort Rajewski zieht sich dieser Wald, dann wird die Gegend etwas heiterer. Geht man weiter, so trifft man auf die 1838 neu angelegte Stadt Noworossisk. Die Stadt ist anmuthig an einem vom Meer gebildeten Busen gebaut, ist der Sitz des Generals, aber auch nicht besser befestigt, als die Dörfer und das Fort Rajewski, ja letzteres kann sogar mehr Anspruch auf Sturmfreiheit machen. Die Festungswerke dieses Forts umfassen einen viereckigen Raum, dessen Seiten kaum einige hundert Schritt lang sind. Es hat 1 Compagnie Infanterie zur Besatzung, sowie 16 Kanonen zur Vertheidigung. Auf halbem Wege zwischen Anapa und Noworossisk gelegen, umgeben von Wald und Sumpf, ist die Garnison oft Monate lang von allem Verkehr mit der übrigen Welt abgeschlossen. Aus dem von den Wällen begrenzten engen Raum, den Kasernen, Lazareth und Proviantmagazine noch mehr verringern, darf keine Seele hinaus, und so ist es natürlich, daß das ungesunde Klima bei der unzureichenden Bewegung und dem langweiligen, keine Abwechselung erlaubenden Leben Fieber und Scorbut nicht ausbleiben läßt. Ein Freudentag für die Garnison ist es immer, wenn die Proviantcolonne von Anapa ankommt; aber nur kurze Zeit genießen sie das Vergnügen, die Freunde zu sehen, denn diese kommen Abends, geben ihren Proviant, Pulver, Briefe u. s. w. ab, schlafen die Nacht und ziehen am andern Morgen wieder von dannen.

Etwas besser ist das Leben für die Soldaten, welche in den Städten und Dörfern einquartiert sind. Ihre Aufgabe ist, den Bauer bei allen Feldarbeiten gegen etwaige Angriffe des grausamen Feindes zu schützen. So wie im Frühjahr die Erde aufthaut – und das geschieht recht früh – so beginnen die Feldarbeiten der Bauern. Mit diesen rückt denn frühmorgens der Soldat aus, kleine Trupps werden in gehöriger Entfernung von den Arbeitern aufgestellt, und bleiben so lange, als der Bauer das Feld bestellt oder sein Vieh weidet oder Heu macht u. dgl., stehen. Einer von jedem Trupp wacht, die Andern schlafen oder, da man doch nicht den ganzen Tag schlafen kann, spielen Karte und verwünschen den Bauer. So geht das Leben bis zum Winter fort, und wenn dieses Leben auch besser ist, als das im Fort Rajewski, da man doch wenigstens eine gesunde Bewegung hat, auch die benachbarten Orte und Städte besuchen kann, so ist es doch erklärlich, daß man den Winter mit Sehnsucht erwartet.

Der Winter im Kaukasus erscheint freilich in ganz anderer Gestalt, als in den nördlichen Provinzen. Erst in der Mitte des Decembers tritt der Frost ein, der wohl ziemlich heftig auftritt, aber kaum einen Monat anhält. Vor und nach der Frostzeit pflegen häufige Regengüsse den Winter an- und abzumelden. Natürlich können während dieser Zeit die transkubanischen Bauern nicht im Felde arbeiten, und deshalb benutzt man den Frostmonat, um durch kriegerische Operationen irgend einen Vortheil über die Bergvölker zu gewinnen. Jetzt beginnt erst die eigentliche Bestimmung des Soldaten am Kaukasus, der Krieg gegen die räuberischen Nachbarn.

Man wird es begreiflich finden, daß wir, die wir das oben beschriebene Leben während des Frühlings, Sommers und Herbstes im Jahre 1851 geführt hatten, uns Alle nach der Frostzeit und nach dem Befehl zum Ausmarsch sehnten, aber wir mußten dieses Mal ziemlich lange auf die erwünschte Ordre, „uns zum Marsch zu rüsten,“ warten. Endlich, am letzten Tage des alten Jahres, traf diese ein. Unbeschreiblich war die Veränderung, welche dieser Befehl in unserer Garnison hervorbrachte. Wie wenn man einem bis dahin in Ordnung und Ruhe arbeitenden Ameisenvolke den schützenden Hügel zerstört und die emsigen Thierchen dadurch zu unerhörter Thätigkeit anspornt, so lief jetzt Alles, was Uniform trug, durcheinander. Die schmutzigen Straßen Nikolajewka’s, sonst so menschenleer, waren plötzlich mit geschäftigen Leuten bedeckt.

Die Expedition für dieses Jahr sollte eine s. g. fliegende sein; man wollte möglichst weit in die vom Feinde bewohnten Gegenden eindringen, mußte aber deshalb sich auf so wenig Gepäck als irgend möglich einschränken. Man ließ deshalb alle Zelte zu Hause und nahm nicht einmal Proviantwagen mit, sondern gab jedem Soldaten seinen Mundvorrath auf 10 Tage – denn so lange sollte der Marsch dauern – zu tragen. Nur zwei leere mit Ochsen bespannte Wagen folgten jeder Compagnie, um etwaige Verwundete transportiren zu können. Wir wußten zwar sehr gut, daß uns Mühseligkeiten und Gefahren aller Art bevorständen, aber dennoch freute sich Alles auf den Tag des Ausmarsches, denn es brachte doch Abwechselung in unser einförmiges Leben. Läßt doch auch jeder Feldzug, und wenn er noch so kurz ist, dem Soldaten auf lange Zeit die schönsten Erinnerungen zurück, und gibt er doch oft dem strebsamen Officier Gelegenheit, sich auszuzeichnen und so seinem Glück den Weg zu weisen.

Am 3. Januar 1852 trafen ein Kosakenregiment, zwei Bataillone aus Anapa und die Compagnie aus Alexejewka bei uns in Nikolajewka ein, um vereint mit uns noch denselben Tag bis zum Fort Rajewski zu marschiren. Die Cameraden trafen uns bereits in Reih und Glied, der griechische Priester sprach ein kurzes Gebet, die zitternden Töne der Signalhörner schallten durch die Luft, und fort zogen wir scherzend und lachend, als ginge es zu einem lustigen Vergnügen. Und doch mag Manchem das Herz geschlagen haben, wenn er sich jetzt fragte: „Wirst Du wohl auch wiederkehren, und wie wirst Du zurückkehren?“ Aber solche Gedanken passen nicht für den Soldaten; er sucht sie zu verbergen, und so gelingt es auch bald, sie zu unterdrücken. Der Marsch ging ziemlich langsam von Statten, denn die Wege waren durch den Regen, der vor einigen Tagen eingetreten war, aufgeweicht; jetzt fror es, und so brach der Fuß bei jedem Schritt durch die dünne Frostdecke, wobei das schmutzige Wasser immer über den Füßen zusammenschlug. An den Rädern der Wagen und Kanonen fror der hängenbleibende Schmutz, und bildete aus dem Kreise unregelmäßige Polygone.

Trotz der nur 18 Werste betragenden Entfernung langten wir unter solchen Umständen erst Abends im Fort Rajewski an. Ein Landsmann, der deutsche Arzt Kühn, nahm mich mit noch vielen anderen Officieren gastfreundlich auf. Wir waren froh, uns in der lieben Muttersprache unterhalten zu können, und beachteten nicht den Aerger der Anderen, die weder deutsch noch lettisch verstanden. Am andern Tage wurde der Marsch nach dem 20 Werste entfernten Noworossisk auf gefrornem, aber sehr holperigem Wege fortgesetzt. Bei Nacht trafen wir ein und wurden, wie es gerade traf, einquartiert, doch kamen Alle unter Dach. Weshalb wir den nächsten Tag hier liegen blieben, weiß ich nicht, doch benutzte ich diese Gelegenheit, um mich mit gesalzenem und geräuchertem Fleische, mit Tabak u. dgl. zu versehen, da alle diese Gegenstände in Nikolajewka nur theuer und schlecht zu bekommen waren. Gern hätte ich auch etwas Hafer für mein Pferd mitgenommen, aber das arme Thier hatte an mir und meinem Mundvorrath genug zu tragen, ich konnte es nicht noch mehr überladen.

Früh in aller Stille brachen wir auf. Unsere Colonne hatte sich in Noworossisk um drei Bataillone Infanterie, zwei Compagnies vom griechisch-balaklavischen Bataillon und ein Regiment Kosaken verstärkt, so daß wir jetzt eine Macht von 6–7000 Mann mit 17 Kanonen bildeten. Anfänglich zogen wir längs des Meerbusens hin, bald jedoch stieg der Weg im Zickzack den Berg hinauf. Nach sieben solchen Windungen hatten wir den Gipfel erstiegen. Unter uns schwebten die Wolken, welche so dicht waren, daß man weder die Stadt, noch den Meerbusen sehen konnte. Auf der andern Seite stiegen wir wieder in das Thal eines Baches hinab, den die Einwohner Adagum nennen. War das Aufsteigen beschwerlich gewesen, so war es das Hinabsteigen noch mehr, obgleich der Weg durch unsere Noworossiskischen Cameraden so viel als möglich geebnet worden war. Wie ein solcher Weg aussieht, hat die Gartenlaube im vorigen Jahre ihren Lesern gezeigt, denn sie gab eine Abbildung von einem Gebirgspaß in Persien, der den Wegen im Kaukasus ganz ähnlich war.

In dem Thale wurde Halt gemacht. Alles lagerte sich und begann, von den mitgenommenen Lebensmitteln sich ein Frühstück zusammenzustellen. Es war der erste Tag und alle Vorräthe noch unberührt, auch war es die letzte Ruhe, welche wir, vom Feinde unbelästigt und ohne besondere Vorsichtsmaßregeln abhalten konnten. Mit jedem Schritt tiefer in das Land mußten wir dann jeden Augenblick einen Ueberfall des Feindes befürchten, und deshalb wurden auch jetzt die nöthigen taktischen Maßregeln getroffen, um wenigstens eine Ueberraschung dem Gegner unmöglich zu machen. Auf dem Wege marschirten etwa drei Viertheile der ganzen Macht dicht aufgeschlossen, das sogenannte Corps de bataille, in dessen Mitte sich auch sämmtliche Wagen befanden. Vor diesem Gros befand sich eine Abtheilung Kosaken und Infanterie, welche wieder einige Reiter auf Schußweite vorgeschoben hatten. In gleicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_390.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)