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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

wir Alle zu gleicher Zeit unsere Uhren; es war die zwölfte Stunde, wir waren also über fünf Stunden im Unterirdischen gewesen, eine Zeit, die wir, wenn wir sie hätten schätzen sollen, kaum auf den dritten Theil angegeben hätten, so sehr waren unsere Sinne gefangen genommen worden von dem Wunderbaren und Seltsamen, was sich beständig vor unserem Auge enthüllte. Ueber uns tobte ein furchtbares Gewitter, aber das Rollen des Donners, welches hier tausendfach wiederhallte, war nicht zu uns gedrungen. Da der Regen in Strömen herabgoß, so beschloß ich, mich von meinen Reisegefährten trennend, welche mit dem Nachtzuge nach Triest fuhren, in Adelsberg zu übernachten, um am nächsten Morgen noch einige der nahegelegenen Höhlen zu besuchen.

Unter den Ruinen des Adelsberger Schlosses vorbeigehend, wanderten wir anderen Tages über den Berg, dessen Inneres wir gestern besucht hatten, und traten nach Kurzem in den bewaldeten Theil des Karsts ein. Auch hier ist die Bodennatur dieselbe; rechts und links bemerkt man Dolinen, über deren Scheiderücken der Weg hinwegführt. Eine derselben, welche bewachsen war, hinabsteigend, befanden wir uns vor einer steilen, schwarzgrauen Felswand, an deren Fuße sich die niedrige Mündung der sogenannten schwarzen oder Magdalenen-Grotte öffnet. Der Weg in dieselbe ist lange nicht so bequem, als der in die Adelsberger Grotte, auch ist die Temperatur bedeutend niedriger, als in jener. Ziemlich steil über Gerölle und Felsblöcke hinabsteigend gelangten wir zuerst in den von mächtigen Pfeilern getragenen Dom, dessen Tropfsteinbildungen jedoch sehr beschädigt und vom Rauche geschwärzt sind, da die Führer nur Spähne zur Beleuchtung verwenden.

Mehr als die Tropfsteine zog mich jedoch hier ein Wasserbecken an, welches den Beweis liefert, wie das organische Leben sich überall den besonderen Umständen gemäß entwickelt. Der blinde oder vielleicht blos lichtscheue, seltsame Olm, ein bleichrothes, salamanderartiges Amphibium von fast durchscheinendem Körperbau bewohnt diese Höhlenbäche. Er wird ungefähr 1 Fuß lang, fingersdick und ist mit 4 ganz kleinen, vorn drei-, hinten zweizehigen Füßchen versehen. Der Rumpf ist cylindrisch, der Kopf etwas dick und abgeplattet und die verkümmerten Augen liegen unter der durchsichtigen Haut verborgen. Am Halse befinden sich jederseits zwei blutrothe Kiemenbüschel und seine zarte, weißrothe Haut gleicht nach Consigliachi’s Ausdruck der des Halses eines schönen Weibes. Jeder Lichtstrahl versetzt das Thier anfangs in heftige Zuckungen und färbt seine Haut dunkler, man kann es jedoch allmählich daran gewöhnen, und dann wird es olivengrün. Der Olm ist aber nicht der einzige blinde Bewohner dieser unterirdischen Räume; ein krebsartiges Thier, die Pherusa alba, unserer Kellerassel ähnlich, und ein blinder Käfer theilen seine Einsamkeit. Sie lehren uns recht deutlich kennen, daß die Entwickelung und der Bau jedes Wesens nur die natürliche Folge seiner Lebensweise und seiner Heimath sei. Die Natur gibt nichts mehr, als das Wesen bedarf, um seine Aufgabe zu lösen und somit schön und vollkommen zu sein. Auch aus früheren Erdperioden finden sich in dieser, wie in der Adelsberger Höhle Reste von Thieren, namentlich treten die Knochen des Höhlenbären ziemlich häufig auf.

Warum aber zeigt gerade dieser Theil der Alpen eine so auffällige Zerklüftung mit unterirdischen Höhlen und Flußbetten? Wir finden die Beantwortung dieser Frage in der Beschaffenheit des Bodens, welcher, der Kalksteinformation angehörend, anfangs jedenfalls weich, ein Niederschlag früherer Meere war und später durch Austrocknung sich zusammenzog, wobei er Riffe und Spalten zurückließ, welche das Wasser nach und nach zu unterirdischen Höhlen und Becken bildete. So nahmen Bäche und Flüsse, wie z. B. die Poik, einen unterirdischen Verlauf. Diese verliert sich unter dem Eingange der Adelsberger Grotte unter der Erde, stürzt nach 3000 Klaftern unterirdischen Verlaufs aus der Planina-Höhle heraus und führt nach ihrer Vereinigung mit den Mühlthalgewässern den Namen Unz. Im Thale von Ober-Planina beginnt aber schon eine Reihe von Sauglöchern, durch welche ein bedeutender Theil des Wassers sich in die Tiefe verliert. Eine Viertelstunde hinter dem Dorfe Jacobowitz verschwindet der letzte Rest des Flusses. Derselbe legt nun weitere 5000 Klaftern unter der Erde zurück und kommt erst bei Oberlaibach unter dem Namen Laibach wieder zu Tage; Poik, Unz, Laibach sind also drei verschiedene Namen eines und desselben Flusses.

Die Zeit, welche erforderlich war, um diese meilenweiten Höhlen mit ihren hohen Domen auszuwaschen, muß jede menschliche Vorstellung von Zeit weit übersteigen. Es handelt sich hier nicht um Jahrtausende, sondern man muß nach Millionen von Jahren zählen, wenn wir überhaupt an die Geschichte der Natur den kleinlichen Maßstab von Jahren anlegen wollen, der nur für unser kurzes Dasein genügt. Wie lange diese unterirdischen Bauten schon in ihrer Pracht dastehen, läßt sich annähernd wenigstens aus der Bildung der Stalaktiten und Stalagmiten berechnen, welche noch jetzt ununterbrochen vor sich geht. Wenn irgendwo, so finden wir in ihnen die mächtigsten Zeugen der Macht des Kleinen. Tropfen um Tropfen träufelt das Wasser mit dem aufgelösten Kalk von der Decke herab auf den Boden, um hier durch Verdunstung zu erstarren. Wie viel Tropfen mochten zu jener mächtigen Säule von 50 Fuß Umfang und 30 Fuß Höhe, wie viel Zeit dazu gehört haben, sie zu bilden? Das ist es eben, was so mächtig zum Herzen des Menschen spricht und ihn mit namenlosem Schauer vor dem stillen Wirken der Natur erfüllt, daß nicht das Großartige und Ungeheure der Kräfte und Mittel an sich es ist, was dieses wunderbare Werk schuf, sondern einzig und allein der ungeheure, unmeßbare Zeitraum, innerhalb dessen sie wirkten und an der Gestaltung der Erdoberfläche thätig waren.




Was man „Neues“ von der Erde weiß, und wie man’s erfahren hat.
Berichte über die neuesten Fortschritte, Entdeckungen und Unternehmungen auf dem Gesammtgebiete der Erdkunde.
Von G. Hirth. – (Erster Artikel.)

Der mächtige Einfluß, den die neueste Zeit auf die Gestaltung der Erdkunde ausgeübt, ist ein ganz unverkennbarer; ja, wir dürfen behaupten, daß sie in ihrer heutigen Gestalt erst ein Erzeugniß des neunzehnten Jahrhunderts ist, wo sie in Alexander von Humboldt ihren ersten Hohenpriester, in Karl Ritter den Mann fand, der sie aus den Banden einer niedrigen, dienenden Hilfswissenschaft befreite. Herausgetreten aus dem Stande einer nüchternen Kenntniß von Gebirgs-, Fluß-, Dorf- und Städtenamen, schließt die Erdkunde in gewissen Beziehungen alle physikalischen und historischen Wissenschaften in sich ein, sobald sie zur Erklärung der Vorgänge auf unserem Planeten dienen, und mit solch großem Umfange der Wissenschaft ist natürlich die Schwierigkeit ihres Studiums verbunden.

Von einem fertigen Geographen wird verlangt, daß er nicht mehr als Alles wisse; bei einer in’s Speciellste gehenden Kenntniß der räumlichen Verhältnisse der Erde soll er Astronom und Physiker, Geolog und Botaniker, Zoolog und Anthropolog, Sprachkundiger zugleich und Geschichtsforscher, mit einem Worte – ein Humboldt sein, wenn auch im Kleinen.

Diesem entsprechen die Anforderungen, die man an den wissenschaftlichen geographischen Reisenden stellt. Es genügt nicht, daß er, wie dies wohl von vielen Touristen geschieht, flüchtig die äußeren Eindrücke notirt, die eine Gegend, ein Volk auf ihn gemacht – belastet mit Sextant, Theodolit und Compaß, Mikrometer und Chronometer, Thermometer und Barometer, Schreib- und Zeichen-Materialien, Reißzeugen, Maßstäben, Meßketten und Registerbüchern, hat er tagtäglich so viel zu thun, daß ihm, wenn er’s genau nimmt, kaum ein Stündchen zur Rast übrig bleibt.

Kaum fing die Erdkunde an, sich als selbstständige Wissenschaft zu gestalten, so bildeten sich Gesellschaften zur Förderung ihrer Interessen. Die Gründung der zur Zeit in Europa bestehenden geographischen Vereine, im ganzen sieben, gehört durchgängig der neuesten Zeit an. Folgende sind die Orte, Gründungsjahre und Mitgliederzahlen derselben:

1. Paris (1821) 186 Mitglieder.
2. Berlin (1828) 400 Mitglieder.
3. London (1830) 850 Mitglieder.
4. Frankfurt a. M. (1836) 180 Mitglieder.
5. Darmstadt (1845) 123 Mitglieder.
6. Petersburg (1845) 1000 Mitglieder.
7. Wien (1856) 400 Mitglieder. – Zusammen 3139 Mitglieder.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_703.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)