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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

wissenschaftlichen und gebildeten Welt auf sich zog, um wie viel mehr mußte dies geschehen, da das ganze Verdienst dieser großartigen Entdeckungen beinahe ausschließlich einem unerschrockenen Manne angehört, der mit unermüdlicher Aufopferung erst während mehrjähriger Reisen einen Weg in’s Innere und dann nach der West- und Ostküste gebahnt hat! Livingstone’s Ruhm wird deshalb, gleich dem Barth’s[1], so unvergänglich bleiben, wie der Balboa’s, der von der Höhe der Cordilleren des centralamerikanischen Isthmus den großen Ocean geschaut, oder wie der Marco Polo’s, an dessen großartige asiatische Continentalwanderung im 14. Jahrhundert uns die ihrigen im 19. erinnern. – Livingstone’s und Barth’s Forschungen bilden eine wichtige Epoche, Lichtpunkte in der Entdeckungsgeschichte des afrikanischen Continents.

Dr. Livingstone hat nun, wie Sie vielleicht in einer oder der andern Zeitung gelesen, Anfang dieses Jahres von Neuem London verlassen und in Afrika vorgesprochen, um eine wissenschaftlich-mercantile, anständig ausgerüstete Expedition den Zambesi hinaufzuführen. Ueber den bisherigen Verlauf derselben theile ich Ihnen die neuesten mir bekannten Nachrichten mit.

Ein Dampfschiff, der „Hermes“, hatte Dr. Livingstone sammt einem der neu in Anwendung gebrachten zerlegbaren Dampfer nach den Mündungen des Zambesiflusses gebracht, wo es die kleine Expedition aussetzte, und seinen Weg nach Ceylon fortsetzte. Der Capitain desselben, Duncan, hat, zurückgekehrt nach England, über diese Aussetzung Bericht erstattet; andere Berichte sind direct von Dr. Livingstone und einem seiner Leute eingelaufen. Der kleine zerlegbare Dampfer aus Stahleisenplatten, den er mit auf die Reise genommen hatte, die „Perle“, leistet ihm vortreffliche Dienste. In drei Tagen war er vollständig zusammengefügt und dampfte, wie der wackere Reisende sich ausdrückt, lustig den breiten Zambesi hinauf, zum unendlichen Verdruß der Flußpferde, die vor ihm herdenweise Reißaus nahmen, und ihn so fürchteten, daß selbst das stärkste unter ihnen nicht mit ihm anbinden wollte. Es wäre eine große Wohlthat, schreibt er ferner, wenn die englische Regierung viele solche leichte Dampfer nach Afrika schicken würde, um in den kleinen Buchten und seichten Flüssen den Sclavenjägern das Handwerk zu legen; nur müssen sie bei gleicher Länge um etwa 4 Fuß breiter angelegt werden, wodurch sie dem Zwecke noch viel besser entsprächen.

„Die ersten Nachrichten, welche wir erhielten,“ schreibt Livingstone an Tumer, „gaben an, daß sich die Portugiesen gezwungen gesehen hatten, nach der Küste zu fliehen, da ein Stamm der Eingebornen Aufstand erhoben hatte. Alle Europäer hatten sich nach Killimane geflüchtet. Da wir zur Zeit, wo der Aufstand ausbrach, noch nicht im Lande waren, so wird man uns nicht als seine Urheber zur Rechenschaft ziehen können. Sie können sich übrigens denken, wie wir uns diesmal beeilen, um von der Stelle zu kommen. – Noch kein einziger Fieberfall; jeder auf der „Perle“ nimmt täglich seine Portion Chinin.“ Dr. Livingstone, Takt genug besitzend, um jede Collision mit einem der streitenden Theile zu vermeiden, hatte sich sowohl mit den Rebellen, als mit ihren ehemaligen Gebietern, den Portugiesen, in Verbindung gesetzt und bei beiden Parteien Freunde erworben. Uebrigens hatte er eine ziemlich furchtbare Begleitung bei sich. Sieben Europäer, worunter sein Bruder, und zwölf mit Gewehr, Bajonett, Hirschfänger und Drehpistole bewaffnete Krumen konnten nicht verfehlen, die Eingeborenen zu der Ueberzeugung zu bringen, daß die Expedition sich selbst zu schützen vermöge; außerdem warteten noch 120 von Dr. Livingstone’s Makololo–Freunden auf ihn in Senna, welches ungefähr 20 Meilen von der Mündung des Zambesi entfernt ist.

Ich breche jetzt meinen Livingstone’schen Bericht ab, den ich allerdings, aber ohne Sie damit zu ergötzen, viel weiter hätte ausdehnen können. Sobald ich wieder etwas Neues erfahre, sollen auch Sie es wissen.

Endlich noch Einiges über den jugendlichen deutschen Forscher, von dem ich Ihnen zu berichten versprach. Albrecht Roscher ist ein Sohn Hamburgs, das ja bekanntlich schon ein so bedeutendes Contingent afrikanischer Forscher gestellt hat. Seine ganze äußere Erscheinung, seine Jugend erinnerten uns, als wir ihn vor seiner Abreise nach Afrika kennen lernten, recht lebhaft an den unglücklichen Vogel; er besitzt aber auch dessen Kenntnisse und Unerschrockenheit – ja, wir dürfen behaupten, daß selten ein afrikanischer Reisender so vortrefflich vorbereitet, ausgerüstet und befähigt ausgegangen, wie Roscher. Vielen unserer Leser ist vielleicht eine ausgezeichnete Probe seiner Arbeiten bekannt, die er noch hier in Deutschland abgelegt hat.

Roscher hielt sich bisher in Zanzibar auf, einer an der Ostküste Afrika’s und ungefähr 6 Grad südlich von dem wahrscheinlichen Orte der Nilquellen gelegenen Stadt. Noch vor seiner Abreise dahin publicirte er ein Schriftchen, worin er Zweck und Plan seiner Reise näher auseinander setzt. Nachdem er dargethan, wie man bisher auf ganz verkehrten Wegen versucht, nach dem Kerne Afrika’s, den Nilquellen und dem problematischen See Uniamesi vorzudringen, setzt er auseinander, daß Zanzibar einen der günstigsten, wo nicht den allergünstigsten Ausgangspunkt zur Erforschung Innerafrika’s für einen einzelnen Reisenden bilde.

Roscher’s Reise, zu deren Ausführung, wie bei zahlreichen anderen neueren Unternehmungen, die Munificenz des Königs von Baiern zum großen Theile die pecuniären Mittel geboten hat, wird von der größten Wichtigkeit sein, denn, ausgeführt nach seinem Plane, würde sie genügen, Probleme zu lösen, die Jahrtausende hindurch sich den Forschern dargeboten haben, und somit die Geographie von Afrika der Hauptsache nach erledigen. Zu der Verwirklichung des ganzen Planes hält Roscher einen Zeitraum von mindestens drei Jahren, vom Juni 1858 an gerechnet, für erforderlich.

Wenn ich hier meinen Bericht über Afrika schließe, so meine ich keineswegs, Ihnen Alles berichtet zu haben, was auf die allerneuesten Forschungen in diesem Erdtheile Bezug hat. Denn im Osten fungirt gegenwärtig der obenerwähnte Engländer Burton und sein Begleiter Speke (spr. Spihk); im Westen der Amerikaner du Chaillu; auf dem Niger ist eine englische Expedition beschäftigt etc. Ich werde darauf später zurückkommen.




Die Privat-Irrenanstalten.[2]
Von Dr. juris Thesmar in Köln.
Zustände der schottischen Privat-Irrenanstalten. – Frühere Behandlung der Irren. – Die Gesetzgebung für Privat-Anstalten, speciell die preußischen. – Die Aufnahme vernünftiger Menschen in Irrenanstalten. – Zwei Beispiele: Kaufmann Franz Heesmann in Köln. Die Geheimräthin Wilhelmine Egen aus Elberfeld. – Einnahme rheinischer Privatanstalten. – Behandlung der Irren. – Aufhängen und Zwangstuhl. – Monsterproceß gegen Lennartz.

Das englische Parlament beschäftigte sich im verflossenen Jahre mit einem Zweige der Gesetzgebung, dessen Erwägung als eine um so ernstere Pflicht der Staatsgewalt erscheint, je schwieriger auf diesem Gebiete die Wahl zweckmäßiger und schützender Gesetze zu treffen, und je mehr das Unglück in seiner hülflosesten Gestalt einer ausreichenden Ueberwachung Seitens des Staates bedarf, deren es bis jetzt in hohem Maße entbehrt.

In der Sitzung des Unterhauses vom 9. Juni v. J. brachte der Lord-Advocate eine Bill ein, um die schottischen Privat-Irrenhäuser einer sorgfältigeren gesetzlichen Aufsicht zu unterziehen. Nach den Mittheilungen der öffentlichen Blätter entwarf das Parlamentsmitglied E. Ellice in seinem Commissionsberichte ein wahrhaft erschütterndes Bild über die grauenhaften Zustände dieser Privat-Irrenanstalten, und insbesondere über die Behandlung, welche die Unglücklichen selbst in solchen zu erdulden haben, die bisher als Muster gerühmt wurden. Der Lord-Advocate bezeichnet dieselben als wahre Höllen und hofft, seine Maßregel werde von der öffentlichen Meinung nach Kräften unterstützt werden. Ich glaube nur eine Pflicht der Menschlichkeit zu erfüllen, wenn ich nach Kenntniß zweier Fälle, in denen unlängst in kurzer Zeitfolge mein Amt

  1. Der übrigens einen fast doppelt so großen Weg zurückgelegt hat, als Livingstone.
  2. Wir erlauben uns, die Leser der Gartenlaube noch ganz besonders auf diese ebenso wichtigen wie grauenerregenden Mittheilungen aufmerksam zu machen.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_705.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)