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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Betragen miteinander wetteiferten. Unmäßiges Trinken, Schlägereien und Wüstheit aller Art standen auf der Tagesordnung, und in solch’ nichtigem Treiben vergeudete die deutsche Jugend ihre beste Kraft, um später als abgestumpfter Philister in das bürgerliche Leben zurückzukehren. Hier und da verfolgte zwar der Einzelne eine höhere Idee, aber die Mehrheit stand den Weltbegebenheiten und den großen Tagesfragen fern, in hochmüthiger und pedantischer Abgeschlossenheit verharrend.

Das sollte jetzt anders werden. Die Jünglinge, welche dem Feinde gegenübergestanden und deren Brust oft mit den höchsten Ehrenzeichen der Tapferkeit geschmückt war, konnten keine Freude mehr an dem kindisch rohen Treiben finden, welches früher noch auf den Universitäten vorherrschte; sie hatten Höheres kennen gelernt und ein edleres Streben mitgebracht. An die Stelle der früheren Landsmannschaften trat eine neue, allgemeinere Verbindung, welche unter dem Namen der Burschenschaft immer mehr Theilnehmer an sich zog, weil sie es sich zur Aufgabe gestellt hatte, Sittlichkeit, wahre Ehre und die Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande in den Herzen der Studirenden, zu erwecken. So wurde nach und nach der Bund edler Jünglinge geschlossen, zu dem auch unsere beiden Wanderer gehörten.

Sobald sie sich als Theilnehmer derselben Verbindung erst erkannt hatten, was schnell geschah, wurden sie noch weit inniger befreundet, als hätten sie schon jahrelangen Umgang gepflogen. Der sonst so scheue Sand, der überhaupt etwas Zurückhaltendes in seinem Wesen hatte, war jetzt wie umgewandelt.

„Fort mit dem steifen „Sie“!“ rief er freudig aus. „Wir müssen miteinander Brüderschaft trinken.“

„Das nehme ich von Herzen gern an,“ entgegnete der Andere.

„Es soll aber in aller Form und nach altem, schönem Brauch geschehen.“

„Das versteht sich von selbst.“

„Es wird wohl eine Flasche Wein hier aufzutreiben sein.“

„Aber nur echter Rheinwein; von dem französischen Gebräu vermag ich keinen Tropfen herunterzukriegen.“

„Ich ziehe auch ein deutsches Traubenblut jedem fremden vor. Also, Herr Wirth, eine Flasche guten Rüdesheimer oder Liebfrauenmilch!“

Bald stand der gewünschte Trunk und zwei grün blinkende Römer vor ihnen, welche Hagen bis zum Rande vollschenkte.

„Schmollis, Herr Bruder!“ sagte er, sein Glas erhebend.

„Fiducit!“ lautete Sand’s Gruß.

Beide stießen zuerst mit den klingenden Römern an; dann tranken sie mit ineinander verschränkten Armen nach alter Studentensitte den Wein bis zum letzten Tropfen aus.

Eine herzliche Umarmung und ein inniger Kuß besiegelte den Bruderbund.

„Freunde für das ganze Leben!“ rief der Jüngere tief bewegt.

„Bis in den Tod und über das Grab noch hinaus!“ setzte Sand mit feierlich dumpfer Stimme hinzu, die wie eine schauerliche Mahnung klang.

Dabei stellte er das Glas mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß es klirrend zerbrach.

„Sollte das ein Omen sein?“ fragte mit gezwungenem Scherze Hagen.

„Ich nehme es als ein solches an. Wie dieses Glas in meiner Hand zerbrochen ist, so sollen einst die alten Formen und Ketten brechen, welche noch den Geist der Freiheit gefangen halten. Ich selbst bin gern bereit, für diese heilige Idee mein Herzblut zu vergießen, wie hier den duftigen Wein. Das schwör’ ich Dir, so wahr ich ein Christ und Deutscher bin.“

Beide waren zu bewegt, um noch mehr zu sprechen. Schweigend leerten sie den Rest der Flasche, worauf Sand seinen Gefährten zum Aufbruch mahnte. Sie bezahlten ihre Rechnung und nahmen ihr leichtes Gepäck auf die Schultern, worauf sie den Weg nach Eisenach einschlugen, wo sie noch zur guten Zeit einzutreffen hofften, um an dem von der Jenaer Burschenschaft ausgeschriebenen Feste auf der Wartburg Theil zu nehmen.

„Es ist ein herrlicher Gedanke,“ sagte Sand im Gehen zu seinem neuen Freunde, „die dritte Säcularfeier der Reformation mit dem Jahrestage der Völkerschlacht bei Leipzig zu verschmelzen und dieses erhebende Doppelfest auf der alten Wartburg zu begehen, die so recht eigentlich die Zionsburg der Deutschen ist. In ihren hohen Hallen rauschte einst das deutsche Lied der edelsten Sänger, welche um den Preis mit ihrem vollen Leben rangen; denn, wie die Sage uns berichtet, stand hinter ihnen der Scharfrichter, Meister Hämmerlin von Eisenach, um den Besiegten mit dem blanken Schwerte das Haupt abzuschlagen.“

„Wunderliche Sitte!“ bemerkte Hagen.

„Mir gefällt sie,“ setzte Sand seine Rede fort, „als ein Zeichen, mit welchem hohen Ernste unsere Vorväter Alles vollführt und getrieben haben; selbst das Spiel war ihnen wichtig genug, ihr Leben daran zu setzen. So müßten wir auch denken, aber die Schlaffheit der Zeit, fälschlich und undeutsch Humanität genannt, hat dies ganze Geschlecht der Gegenwart entnervt. Unsere Dichter schreien schon laut, wenn sie nur leise getadelt werden. Man sollte auch ihnen den Scharfrichter an die Seite stellen, um sie abzuhalten, ihre Gaben zu mißbrauchen und die heilige Dichtkunst im Dienste der Hölle zu einweihen.“

„Wenn Dein Vorschlag angenommen würde, so möchte es wohl bald still sein im deutschen Dichterhaine.“

„Das wäre kein Unglück, wenn das unheilige Gekrächz verstummte und dafür wieder Lieder ertönten, wie sie der fromme Wolfram von Eschenbach, der sinnige Walther von der Vogelweide gesungen, voll treuer Liebe und gläubiger Frömmigkeit, von denen einst die Wartburg wiedeerhallte. – Ihr Kampf war schön, aber was will er bedeuten gegen jenen Riesenkampf, den der größte Deutsche von hier aus gegen Rom und seine Jahrtausende alte Macht geführt! Droben in seinem luftigen Erkerstübchen schmiedete der Gottesmann Luther aus der deutschen Sprache eine Waffe, mit der er die Geister von ihren Fesseln und Ketten befreite. Hier auf der Wartburg übersetzte er die Bibel und gab sie als die heilige Fahne der freien Forschung in die Hand des Volkes. Von jener Höhe ging das Licht aus, welches vergeblich die Kutten und Finsterlinge zu verhüllen trachteten; der Geist einer neuen Zeit, der sich nicht mehr unterdrücken läßt. Darum liebe ich diese Wartburg, welche das Herz des schönen Thüringerlandes, wie dieses das Herz von Deutschland ist.“

Unter solchen Gesprächen stiegen die Beiden von der „hohen Sonne“ in das „Annathal“ hinab, das sich nach und nach zu der romantischen „Drachenschlucht“ verengte. Der schmale und doch nicht gerade gefährliche Fußsteig führte sie an den schönsten Punkten vorüber; bald eröffnete sich den Wanderern eine herrliche Aussicht in die duftige Ferne; bald rückten die Felsen wieder so nahe zusammen, als wenn sie ihnen den Weg versperren wollten; zu Riesenmauern aufgethürmt, die von Geisterhänden erbaut schienen und über die der überall hervorwuchernde Epheu seine grünen, schwankenden Brücken schlug. – Dazu goß die milde Herbstsonne ihr klares, freundliches Licht über die ganze Gegend aus, und verscheuchte vollends den dampfenden Frühnebel, der sich in leicht dahinschwebende Wölkchen aufgelöst hatte. Die zwar kühle, aber überaus stärkende Bergluft überströmte die Jünglinge mit einem Gefühle frischer Kraft, so daß sie in heiterster Stimmung ihren Weg fortsetzten. Selbst Sand, der zu den mehr verschlossenen und in sich gekehrten Charakteren gehörte, thaute in dieser Natur auf, welche ihn an sein heimathliches Fichtelgebirge mahnte. Aus voller Brust stimmte er ein bekanntes Burschenlied an, in das Hagen mit seinem wohlklingenden Tenor einfiel. Je länger sie neben einander hergingen, desto vertrauter und inniger wurden sie, wie Brüder, die sich nach längerer Trennung zufällig wieder gefunden. Die Herzen gingen ihnen auf und eine Mitteilung drängte im raschen Fluge die andere, wie es in der Jugend wohl zu geschehen pflegt, wo das Vertrauen noch nicht getäuscht, der Glaube noch nicht betrogen ist, und wo die Seele der Seele leicht entgegenfliegt, weil ihre Schwingen noch nicht von dem Bleigewicht der Erfahrung belastet oder gar gebrochen sind.

Der ältere Sand hatte natürlich ein reicheres Leben hinter sich, das er dem jüngeren Freunde nicht vorenthielt. Unter einer alten Eiche gelagert, um von der anstrengenden Fußpartie ein wenig auszuruhen, erzählte er von seiner Vergangenheit.

„Ich bin,“ nahm er das Wort, „in Wunsiedel am Fuße des Fichtelgebirges geboren, wo mein Vater als preußischer Justizamtmann angestellt war, und noch mit meiner guten Mutter und den Geschwistern lebt.“

„In der Heimath des herrlichen Jean Paul,“ unterbrach ihn Hagen, „der mein Lieblingsdichter ist.“

„Ganz recht!“ entgegnete Sand mit befremdender Gleichgültigkeit. „Ich erinnere mich, ihn zuweilen auf der Straße gesehen zu haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_074.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)