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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ehe wir jedoch auf eine Beschreibung der Operation selbst eingehen, wird es für unsere Leser von Interesse sein, Einiges über den Werth und das Bedürfniß dieser Hebemanier im Vergleich zu den sonst üblichen Hebeweisen zu erfahren und zugleich die wesentlichsten Schwierigkeiten kennen zu lernen, welche bis heute auf diesem Arbeitsfelde zu überwinden waren. Daß es der Mühe lohnt, diesen Zweig der Industrie einer möglichsten Ausbildung zuzuführen, darüber belehren uns die jährlichen Berichte über die Hunderte von Schiffbrüchen, die Tausende von verlorenen Menschenleben und die Millionen von Werthverlusten.[1] Nur ein Blick auf jene Zahlen, und Jedermann muß das Bestreben, von dem Rettbaren möglichst viel wiederzugewinnen, im höchsten Grade gerechtfertigt finden.

In dem Wort „dem Rettbaren“ ruht der Schwerpunkt der Aufgabe. Wir können hier nicht die Tausende von Arten der Verunglückung anführen, wie die Fahrzeuge vom größten Linienschiff bis zu den Nußschalen des Küstenverkehrs von Wellen verschlungen, an Klippen zerschellt, in Nacht und Nebel auf einander geschleudert, von Feuer verzehrt werden etc. Genug, wir wissen: die gesunkenen Schiffe sollen gehoben werden, wir nehmen an, wir kennen die Lagestelle und Tiefe des Schiffes in der See, wir halten darnach und nach dem erforschten Zustande desselben es für „rettbar“, und die Hebung und Bergung soll nun beginnen.

Mancher Leser mag sich denken: „Nun, da geht der Taucher in die Tiefe, befestiget Taue oder Ketten nacheinander an dem Schiff in der Tiefe, und wenn deren genug daran sind, zieht man oben an, bis es oben ankömmt, pumpt es dann aus und fährt nach Hause.“ So geschwind und leicht geht es leider nicht. Man beachte nur die folgenden hauptsächlichsten Schwierigkeiten für die Hebungs-Arbeiten.

Erstens. Das Fahrzeug, welches die Arbeiter und ihre Hülfs-Instrumente an die Lagestelle des versunkenen Schiffes bringt, muß die Kämpfe mit den Stürmen vielleicht ganz nahe an den verhängnißvollen Klippen bestehen, und die nach der bis jetzt üblichen Hebemanier nöthigen Hebeschiffe, welche vertical über dem gesunkenen Schiffe vor Anker gelegt sind, um die Verbandtaue und Ketten zu handhaben, dürfen von Stürmen nicht überrascht werden, wenn nicht alle Verbände gleich beim Beginn heftiger Seebewegung gekappt oder gelöst werden sollen. Erschwert doch schon das regelmäßige Steigen und Fallen der See bei Ebbe und Fluth die Arbeit sehr, weil alle Verbände mit der Zu- oder Abnahme des Wasserstandes angezogen oder nachgelassen werden müssen, um Verwickelungen und Verschlingungen in dem Tau- und Kettenwerke zu vermeiden.

Zweitens. Der Taucher in seinem wasserdichten Anzug und unter einem Helm, der bis auf die Schultern herabreicht, durch dessen Verbindung mit dem überseeischen Schiff und der Luftpumpe er in die Tiefe gelassen wird, wo er durch einen Schlauch die ihm nöthige Luft zugepumpt erhält; ein solcher Taucher ist an sich ein sehr beeinträchtigter kleiner Motor gegenüber einem so massenhaften Körper wie ein Schiff, und ebenso verschwindet seine einzelne Menschenkraft gegenüber dem Gewicht und der Steifigkeit der oft drei- und vierfachen Flaschenzüge, die mit Ketten oder Tauen durchzogen sind; und wenn auch der Taucher einen geeigneten Angriffspunkt für den jeweiligen Verband gefunden hat, so kann er doch erst nach unsäglichen Mühen die Befestigung bewerkstelligen. Der Zeitverlust ist oft so groß, daß er Tage und Wochen der ruhigen See überdauert, bis plötzlich ein einziger Windstoß alle Mühe und Hoffnung vereitelt.

Drittens. Obige Mißstände erkennend, begann man, die Schiffe mittelst Taucherarbeit auf dem Grunde der See möglichst dicht abzuschließen, durch eingesetzte mächtige Centrifugalpumpen das Wasser herauszupumpen und dann Luft von oben durch Schläuche in den Schiffsraum eintreten zu lassen. Diese Hebemanier bewährte sich in Häfen und Flüssen und überhaupt nur bei geringen Tiefen; dagegen drückt bei bedeutenden Tiefen die auf das flache Verdeck wirkende Wassersäule die Tragbalken durch und macht somit auch diese Hebeweise unmöglich. Auch mittelst eiserner Hebekasten, welche an das Schiff befestigt und dann ausgepumpt wurden, versuchte man Schiffe zu heben, und die „hydrostatische Gesellschaft“ in St. Petersburg opferte viel Geld, ehe sie sich überzeugte, daß die See diese eisernen Hebekasten schon vor deren Befestigung gegenseitig zerschelle und daß die Pumpen ein reines Vacuum nicht ermöglichen.

Bis hieher erwähnten wir nur die Schwierigkeiten in dem Wasserbereiche, in welchem Taucher verwendbar sind, d. h. bis etwa 100 Fuß äußerster Tiefe. Was tiefer liegt, war bis jetzt in der See als unrettbar erklärt und aufgegeben, und Tausende von gesunkenen Schiffen mußten selbst in geringeren Tiefen wegen der Mangelhaftigkeit der Operationen in Stücke zerrissen werden, um nur das Material und die Ladung zu retten. Aber es ist bekannt, daß im englischen Canal, in der Ost- und Nordsee, sowie im adriatischen Meer Linienschiffe und Fregatten, sowie eine bedeutende Anzahl von großen Handelsschiffen in Tiefen von 100–300 Fuß liegen und viele Millionen Werth bergen. Auch diese sollen nun gehoben werden.

Bei der seit Jahrhunderten vergeblich angestrebten Lösung der Aufgabe: „Schiffe ohne Zertrümmerung und ohne Erledigung ihrer Fracht aus allen Tiefen bis zu 500 Fuß und mehr zu heben“ – begegnen wir wieder dem deutschen Forschergeist, der, über die vorhandenen Mittel hinweggehend, erkennt, daß submarine Körper auch submarin behandelt werden müssen, d. h. unabhängig von Wind und Wellen, von Ebbe und Fluth und von irgend welcher Verbindung mit überseeischen Schiffen als Lastträgern. So kühn die Aufgabe auch scheint – sie ist gelöst durch Wilhelm Bauer, durch seine „unterseeischen Kameele“ und seine „Taucherkammer“.

Die von dem Erfinder uns zur Weiterverbreitung mitgetheilte, seinem englischen Patente auf diese Erfindung entnommene Illustration (Nr. 1) zeigt uns die Hauptmomente der Anwendung seines Apparats zur unterseeischen Lasthebung. Sie veranschaulicht ein gesunkenes Dampfschiff, welches vom Grunde der See gehoben werden soll. Dies geschieht mittelst großer Ballons von starkem Wasser- und luftdichtem Stoffe, welche an das Schiff befestigt und dann von dem auf der Oberfläche schwimmenden Boote aus mit Luft gefüllt werden. Diese Ballons nennt Bauer seine „unterseeischen Kameele“.

Als Glanzpunkt der Lösung erscheint in Bauer’s Patent seine Taucherkammer. Durch dieselbe wird es möglich, daß vier Mann in derselben ohne Rücksicht auf Tiefe bis 500 Fuß, völlig unabhängig vor- und rückwärts, auf- und abwärts, so wie seitwärts fahren und daher den Gegenstand in der Tiefe genau ausmitteln können, denn das Sonnenlicht oder die Tageshelle wird im Wasser ebenso fortgepflanzt, wie in der Luft, daher nur Flüsse und Brandungswasser eine Trübe zeigen, wie Staubmassen in der Luft. Diese Taucherkammer erhält die Bewohner nicht allein in einfach atmosphärischer Luft für mehrere Stunden, sondern sie bietet ihnen auch eine technische Ausrüstung, mittelst welcher z. B. Bolzen in die Schiffswände eingetrieben, Haken, Querarme, Schließen u. s. w. an den gewählten oder erzeugten Angriffspunkten angebracht und daran die Hebekameele befestigt werden, und dies Alles, ohne daß eine Hand von innen nach außen in die See greift. Wir sehen in der Zeichnung die Taucherkammer rechts am gesunkenen Schiffe einen Querarm zum Schiff herunter bringen und seine leichtläufige telegraphische Communication mit dem Schiff auf dem Niveau.

In Berücksichtigung, daß die Gartenlaube kein polytechnisches Journal ist, müssen wir von den technischen inneren Einrichtungen der Taucherkammer hier absehen. In der ganzen Taucherkammer aber finden wir die glückliche Ausbeute der mannigfachen Erfahrungen, welche Bauer mit seinem in Kiel zuerst versuchten und in Rußland praktisch erprobten Brandtaucher machte; wir finden dasselbe Princip in allen Bewegungen, und nur die Form ist, dem Bedürfniß der raschen Wendbarkeit und größern Widerstandsfähigkeit gegen Druck entsprechend, verändert.

Endlich können wir an unsere oben verlassene Arbeit gehen und das Rettbare bergen. Wir fahren mit Bauer in der Taucherkammer nieder zum Wrak, schlagen die Fenster desselben ein oder die Verschlußdeckel durch, machen uns Angriffspunkte, wo wir solche bedürfen, und bringen nun einen (zusammengelegten) Ballon nach dem andern an dem Schiff an, telegraphiren nach dessen Befestigung „Pumpen“, und der von der Luftpumpe ausgehende Schlauch von entsprechender Festigkeit führt die Luft in den Ballon, welcher unten eine große Oeffnung hat. Der erst leere Sack füllt sich allmählich und bläht sich auf, bis endlich die Luft bei der unteren Oeffnung austritt. Hierauf wird der Schlauch ausgezogen, um beim nächsten

  1. Wir weisen in dieser Hinsicht aus die Zahlenangaben in dem Artikel über die Anlegung von Rettungsstationen an den deutschen Seeküsten, Gartenl. Nr. 51, Jahrg. 1861, hin.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_058.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)