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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Morgens. Er beeilte sich, das Licht wieder aufzustören; ehe er sich indessen noch über den Zustand seiner Schutzbefohlenen unterrichtet, trat, dem Dutch-Henry voran, eine ältliche Frau mit sicherem Schritte in’s Zimmer, legte, ohne den Anwesenden zu beachten, eine Partie Kleidungsstücke, welche sie über dem Arme getragen, auf den Tisch und breitete daneben vorsichtig eine halbe Hausapotheke von Fläschchen und Papierhüllen aus. Dann wandte sie sich nach dem Lager, schien sich eine kurze Weile von dem Zustande des Mädchens zu unterrichten und drehte sich hierauf erst mit einem Blicke voll unverhüllter Neugierde nach dem Deutschen, welcher sich schon bei ihrem Eintritte von seinem Sitze erhoben.

„Haben nichts für sie zu fürchten, junger Mann,“ sagte sie, „gehen Sie nur jetzt mit dem Henry, damit ich das Nöthige für sie besorgen kann!“

„Dank Ihnen, Ma’m,“ erwiderte Behrend, dem die Beziehung, welche der Ton der Sprechenden ausdrückte, auf das Herz fiel, „ich möchte Ihnen indessen der jungen Lady halber andeuten, daß ich diese zwar genau kenne, aber in keinem andern Verhältnisse als dem eines Reisegefährten zu ihr stehe!“

Er wollte sich mit einer höflichen Verbeugung nach der Thür wenden, aber Dutch-Henry trat ihm mit einem leichten Kopfwinken entgegen. „Ihr Zeug mag zwar wieder trocken sein,“ sagte er, „aber besser, Sie ziehen etwas über, es bläst jetzt kühl draußen!“ Damit hatte er aus der nächsten Ecke einen leichten Rock vom Pflocke in der Wand genommen und half diesen seinem Gaste ohne weiteres Fragen auf den Leib. „Ein Weniges vollkommen,“ lachte er, „aber das schadet niemals!“

Als Behrend beim Hinaustreten in den frischen Morgen, der keine Spur von Nebel mehr zeigte, noch einmal die Augen zurückwandte, meinte er eine bestimmte Bewegung Ellen’s wahrzunehmen; die zufallende Thür aber verhinderte einen zweiten Blick, und mit dem Gefühle, daß mit ihrem Erwachen die frühere trennende Schranke wieder zwischen ihm und ihr niedergefallen sei, folgte er seinem voranschreitenden Wirthe.

„Sie leben hier ziemlich einsam!“ begann er, nur um etwas zu reden.

„O, es ist nicht so schlimm, als es aussieht,“ war die lebendige Antwort, „ich habe Verbindung mit dem Tennessee Ufer, und übrigens möchte ich wissen, ob ein Deutscher unter Amerikanern, und wäre deren auch ein ganzer Haufen, nicht einsam dastände. Es ist mir erst wieder wohl geworden, seit ich mit meiner Arbeit und meiner Fiedel hier allein für mich geblieben bin. Ich holze die Insel ab und wenn ich einmal werde damit fertig sein, werbe ich auch genug haben, um etwas anzufangen, wo andere Deutsche sind. Ich kam von Deutschland mit einem Schiffe, das in New-Orleans landete, wollte eigentlich nach St. Louis, aber blieb oberhalb Memphis wegen Mangel an Fahrgeld sitzen. Ich gedachte erst, in dem freien Strome Fischfang zu versuchen, wofür ich eine alte Leidenschaft habe, aber die Dampfboote vertreiben Alles, was etwa im Wasser Lebendiges sein möchte; bei der Gelegenheit kam ich indessen hierher und fand da eine bessere Speculation.“

„Sie sind preußischer Soldat gewesen?“ fragte Behrend, welcher kaum auf die Worte des Andern gehorcht.

„Preußischer Soldat? Gott soll mich bewahren!“ klang die lachende Erwiderung. „O, Sie schließen das von dem Militärmantel,“ unterbrach sich der Redende, „das ist aber nur ein Andenken aus der badischen Revolution, wegen der ich flüchten mußte, als die Preußen eingerückt waren. Könnte Ihnen davon eine ganze Geschichte erzählen, aber Sie werden hier zu Lande wohl schon genug mit dergleichen gefüttert worden sein!“

Sie waren zu einem hohen, wohl aufgeschichteten Haufen von Scheitholz gelangt, und Behrend hielt seinen Schritt an. „Dort oben haben Sie jedenfalls vergangene Nacht gesessen,“ sagte er, „daher konnte ich mir auch kaum diese Geigentöne, die hoch über uns wie aus der Luft herunterklangen, erklären!“

„So ist es,“ nickte Dutch-Henry, langsam mit der Hand unter seinen Hut fahrend, „es ist aber nichts Wunderliches dabei. Ich hatte ein Geschäft mit einem anderen Boote gehabt, das erst spät hier passirte, und gerade als ich eine Weile darauf nach meinem Hause gehen wollte, sah ich trotz des Nebels den Brand dort den Fluß hinauf aufgehen. Es schoß mir durch den Kopf, daß Mancher, der sich zu retten versuche, mit der Strömung herabgetrieben werden könne, ohne das Land hier zu finden, und so fing ich denn an zu rufen und zu fiedeln, weil die Geigentöne noch weiter dringen sollen, als der menschliche Ruf. Möchte aber wohl wissen, wie viel Capital hier wieder zu Grunde gegangen ist, und es sollte mich nicht wundern, wenn eine oder die andere Versicherungscompagnie einen Riß davon bekäme – von den verunglückten Passagieren will ich gar nicht reden, denn Menschenleben sind das Wohlfeilste in Amerika!“ Er hatte während des Redens sich nach der hinteren Seite des Holzstoßes gewandt, wo durch einzelne hervorstehende Scheite eine Art Treppe nach der Höhe desselben gebildet worden war, und hatte diese jetzt mit einigen Schritten erklommen. „Dort oben liegt das Boot und scheint fest zu sitzen,“ sagte er nach einer kleinen Weile, in welcher er scharf den von den rothen Lichtern des Morgens erglänzenden Strom hinaufgeblickt; „niedergebrannt bis zum Wasserspiegel; muß eine Masse Brennstoff am Bord gehabt haben, sonst müßte wenigstens von dem Eisenwerke noch Einzelnes zu sehen sein.“

„Speck, Spirituosen, so viel ich gehört,“ erwiderte Behrend halb mechanisch.

„Das nun wohl am wenigsten,“ ließ sich der Andere hören.

„Wer einmal viel Speck hat brennen sehen, der kann die Zeichen auch durch den dicksten Nebel unterscheiden, und die brennenden Spirituosen hätten Ihnen selbst den Weg in den Fluß versperrt – jedenfalls wäre ein Theil davon auf dem Wasser bis hier herunter gekommen!“

Behrend’s Seele war im Verlaufe des ganzen Gesprächs nur bei Ellen gewesen, die, sobald sie im Stande war ihn zu empfangen, sicher nach ihm senden würde; demohngeachtet regte die einfache Wahrheit der letzten Bemerkung seine Gedanken über die Entstehungsweise dieses Brandes, über das völlige Preisgeben der Passagiere seitens der Boot-Beamten, von welchen außer dem Neger nicht ein Mann zu erblicken gewesen, wieder an; er hatte ja mit seinen eigenen Ohren vernommen, daß Speck und Whisky einen bedeutenden Theil der Ladung ausmachen sollte – und er nahm sich vor, nach der Rückkehr Bob’s dessen gefallenen Andeutungen bestimmt auf den Grund zu gehen. Jetzt indessen lag noch das Gefühl von Uebernächtigkeit und Ermattung zu fühlbar über ihm, um mehr als das Nächste in’s Auge zu fassen, und als Dutch-Henry die Flußbeobachtungen von seinem hohen Standpunkte ans noch länger fortsetzen zu wollen schien, wandte sich Behrend nach der Landung, wo noch die Matratze, die Ellen getragen, lag, ließ sich dort auf den Stumpf eines gefällten Baumes nieder und blickte, sich widerstandslos seinen treibenden Gedanken überlassend, auf das vom Morgenlicht überfluthete jenseitige Ufer.

Wohl fast eine Stunde lang mochte er so, ungestört und allein mit sich selbst, gesessen haben, während die Sonne voll heraufgekommen war und schon mit ihrem Erscheinen ihre Macht fühlbar zu machen begann, als er seine Schulter berührt fühlte und zugleich Dutch-Henry’s Stimme an seinem Ohr vernahm. „Die Lady ist wieder auf dem Zeuge, Landsmann, und erwartet Sie,“ hörte er; „wenn Sie miteinander gesprochen haben, soll’s einen guten Kaffee geben; einstweilen aber, denke ich, nehmen wir einen vernünftigen Brandy, den die Frau mit herübergebracht!“ Behrend sah beim Umdrehen sich eine Flasche entgegengehalten, welche er nach den Strapazen der Nacht am wenigsten zurückweisen mochte, und schon der erste halbe Schluck schien ihm frisches Leben in alle seine Glieder zu gießen. Zwei Minuten später stand er vor der Thür des Blockhauses, in dessen Nähe die Amerikanerin dürres Holz zusammensuchte, und nicht ohne erst ein leichtes Gefühl von Befangenheit unterdrücken zu müssen, öffnete er.

Das Mädchen saß, den Kopf leicht in die Hand gestützt, am Tische, das Auge durch das Fenster dem Freien zugewandt, und der erste Blick auf sie zeigte dem jungen Manne, daß er wieder der vollen Lady in Haltung und Aeußerem gegenüberstand. Ihr reiches dunkles Haar saß glatt und in der leichten Ungezwungenheit geordnet, wie er es in den beiden vergangenen Tagen gekannt; das Kleid, welches sie trug, mochte vom billigsten Stoffe, mochte selbst nicht ganz modern sein, aber was sie trug, schien an ihrer Erscheinung kaum etwas verderben zu können. Als die Thür knarrte, drehte sie dieser rasch das Gesicht zu und erhob sich bei dem Erblicken des Eintretenden wie von einem Strahle des Morgenroths übergössen.

„Sie verlangten mich zu sprechen, Miß Peters, und ich bin völlig zu Ihren Befehlen!“ begann er, meinte aber im nächsten Augenblicke, er habe wohl kaum etwas Alberneres für ihre beiderseitige augenblickliche Lage sagen können – und doch fühlte er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_819.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)