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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

das böse Gewissen drückt ihm schon allein die Augen nieder. Wie prächtig steht sie da, kampfbereit die Fäuste an den Hüften, die holde Sittenwächterin. So rüstet der Spott sich zu einem gedeihlichen Donnerwetter! Noch schlimmer droht es dem älteren Manne, welcher zwar, wie auch der jüngere, augenscheinlich die Kartenblätter eiligst versteckt hat und gleichwohl den Muth nicht zusammenbringen kann, sich umzudrehen, aber es läuft ihm sicherlich kalt den Rücken hinab von dem stummen Blick des schwersten Vorwurfs, den seine ebenso schlanke als gestrenge Ehehälfte auf ihm ruhen läßt. Das Schlimmste aber scheint dem Jammermännlein zu drohen, das die Angst vor seinem frommen Hausengel hinter den Bretverschlag trieb, an dem er die harmlose Stellung eines sich am Ofen Wärmenden anzunehmen sucht. Mit seiner Physiognomie der Verzweiflung correspondirt trefflich das grimmige Antlitz der Alten, die jetzt quer schielenden Blicks zur Thür hereintritt. Wehe, wenn das Trio in vollen Gang kommt; was vermag dem gegenüber der schnarrendste Brummbaß! – Als einen solchen vermögen wir von dem vorstehenden Mannsvolk Niemanden zu erkennen, als den feinen Patron, der mit ausgezeichneter Frechheit die verrätherischen Karten in der Hand behält und dem ausbrechenden Unwerter wie einer besondern Lustbarkeit entgegensieht. – Du selbst, liebes Publicum, bist in Gestalt des neugierigen Bauern und der Wirthsmagd dargestellt, die an der Thür sich die Sache mit ansehen, leider aber Beide die menschliche Schwachheit einer kleinen Schadenfreude nicht verbergen können. So geht’s! Hätten die Drei ihre Gesangbücher nicht da auf der Ofenbank, in der respectwidrigen Nähe der Mausfalle, liegen lassen, sondern pflichtschuldig in die Kirche getragen, so würde sich Benjamin Vautier nicht gemüßigt gesehen haben, ihre Ertappung auf frischer That und die nächsten Folgen ihres Leichtsinns der Nachwelt zum abscheulichen Exempel auf die Leinwand zu bringen; nun das Bild fertig und gar als Holzschnitt an die große Glocke der Gartenlaube gehängt ist, hilft den Sündern kein Leugnen mehr, sondern nur gute Besserung. –

Wer von unsern Lesern einmal nach Leipzig kommt, der kann das Original unseres Bildchens im Museum daselbst betrachten, dem es durch den Kunstverein einverleibt wurde, nachdem es auf der letzten Londoner Ausstellung sich viele Freunde erworben hatte. Zu diesen werden nunmehr auch unsere Leser gehören, und darum wird es in der Ordnung sein, wenn wir sie mit dem Künstler selbst näher bekannt machen.

Benjamin Vautier ist ein geborener Waadtländer. Den ersten Zeichenunterricht erhielt er in Genf. Im Jahre 1850 zog er nach Düsseldorf, wo er anfangs die Akademie besuchte, dann aber als Privatschüler bei Professor P. Jordan eintrat. Nachdem er hierauf noch einige Zeit in Paris die Schätze der Kunst genossen, kehrte er nach Düsseldorf zurück, um seinen Stab dort in den Boden zu stecken. Unter den jüngeren Meistern des Düsseldorfer Künstlerkreises ist Vautier einer der hervorragendsten, und er hat sich als ebenso tüchtig als Maler wie als Zeichner für den Holzschnitt bewährt. In letzterer Beziehung brauchen wir nur auf seine Illustrationen zu Immermann’s unvergleichlicher Idylle „Der Oberhof“ (Bruchstück aus dessen „Münchhausen“) hinzuweisen. Von seinen Gemälden, deren Stoffe hauptsächlich aus der unerschöpflichen Bilderfundgrube des Schwarzwaldes und aus der Schweiz entlehnt sind, werden als ganz besonders gelungene der allgemeinsten Beachtung empfohlen: eine Spinnerin, ein Schulausgang im Winter, das Innere einer Kirche, ein Jahrmarkt in Württemberg, eine Auction in einem Schloß, eine Dorfnähschule, der Pfarrer und sein Vicar als Schachspieler, nach der Schule. Letzteres, ein Bild von außerordentlich komischem Effect, brachte dem Künstler von Seiten des Königs von Preußen die goldne Medaille ein. Außerdem sind die meisten der genannten Bilder im Stich erschienen und gehören zu dem lieblichsten Wandschmuck.

Fr. Hfm.



Blätter und Blüthen.

Holland in Noth. Es ist bekannt, daß der Welthandel der Niederlande seit Jahrhunderten schon beständig im Abnehmen begriffen ist, trotzdem doch Holland nächst England das für den europäischen Handel am günstigsten gelegene Land ist, trotzdem es noch bis vor Kurzem das alleinige Monopol des japanesischen Handels besaß.

Dieser Rückschritt hat nun wohl zum Theil seinen Grund darin, daß andere Völker, wie z. B. England, die Niederlande dadurch überflügelten, daß sie neue Hülfsquellen entdeckten und neue Producte auf den Markt brachten, welche den Strom des Weltverkehrs von Holland abzogen und ihnen zulenkten. Doch muß man diese Abnahme auch gewiß mit dem Umstande zuschreiben, daß der Zugang nach Holland selbst nach und nach immer schwieriger, ja, was Amsterdam betrifft, für Schiff und Mannschaft sogar gefährlich wurde. So versandete schon vor 200 Jahren der frühere Wasserweg durch die Zuidersee in das Y (sprich Ei) kurz vor Amsterdam bei dem sogenannten Pampus bis auf 8 Fuß Fahrwasser. Um diesen Knotenpunkt zu überwinden, erfand man gegen Ende des 17. Jahrhunderts die sogenannten Kameele, die auf ähnlichem Princip beruhen, wie die in diesen Blättern jüngst besprochenen Bauer’schen. Man füllte damals große hölzerne Kasten mit Wasser, befestigte sie an beiden Seiten des Schiffes und pumpte dann das Wasser aus den Kasten wieder heraus, wodurch sich diese mit dem Schiffe um ungefähr 5–6 Fuß hoben. War diese Untiefe überwunden, so fand man dann wieder und findet noch heute vor Amsterdam 40 Fuß Tiefe, die auch beständig durch die Wirksamkeit sogenannter Moddermolen und Baggerschuiten (Baggerschiffe) erhalten werden kann.

Bei einer Durchfuhr von circa 4000 Schiffen jährlich ward die Unausführbarkeit dieser Operation auf die Dauer bald erkannt; man schaffte ein Auskunftsmittel, indem man 1819–25 mit einem Kostenaufwand von 12 Millionen Gulden den berühmten nordholländischen Canal erbaute, der in ziemlich gerader Linie in einer Länge von zwölf deutschen Meilen von Amsterdam nach der Rhede von Texel läuft.

Dieser hydraulische Prachtbau (jetzt noch der größte derartige in Europa bestehende) erregte damals die Bewunderung der ganzen Welt. 138 Fuß breit, 20–24 Fuß tief bietet er Raum für zwei Fregatten nebeneinander. Er würde auch heute noch von seinem Werthe nichts eingebüßt haben, wenn die Einfahrt in denselben nicht wieder durch die unheilvollen Versandungen versperrt, und dadurch der Canal unbrauchbar geworden wäre. So ist denn auch hier wieder die Passage von 5000 Schiffen auf die Hälfte geschmolzen, und die großen Ostindienfahrer werden immer seltenere Gäste in Amsterdam. Wenn sich auch die holländische Rhederei nolens volens diesen Gefahren unterordnet, so giebt es für die anderen Nationen doch immer noch Häfen genug, wo sie mit weniger Gefahr löschen können. Sie blieben also hier fort.

Jetzt kam Holland in Noth, denn Amsterdam ist so ziemlich Holland. Dazu sah man hier mit scheelen Augen das immer zunehmende Aufblühen von Hamburg, Bremen und Rotterdam, wovon namentlich der Hafen der letztgenannten Stadt wenn auch nicht bequemer liegt, so doch wenigstens ohne Gefahr zu gewinnen ist, weshalb viele Schiffe von Amsterdam sich nach Rotterdam wandten.

Es ward also zur Lebensfrage, wie man das Meer, den Lebensnerv von Amsterdam, wieder fahrbar bis vor seine Schleußen leiten könne. Zu dem Zwecke wurden der Regiernug Vorschläge gemacht. Den entschiedensten Gegner hierbei hatte man natürlich in Rotterdam mit seinen Verbündeten zu bekämpfen, und die Abgeordneten schlugen sich, ihrer sonstigen phlegmatiichen Natur ganz zuwider, in den Kammerverhandlungen mit ebenso feuriger Bravour, wie ihre Kollegen es noch in Berlin und Kassel thun und auch wohl noch lange thun werden. Hier ist aber jetzt der Antrag zu Gunsten Amsterdams in beiden Häusern durchgebracht, und demzufolge wird man noch in diesem Jahre mit der größten Arbeit beginnen, die Holland jemals unternommen, wogegen selbst die Trockenlegung des Haarlemer Meeres nur als Vorspiel erscheint.

Zum richtigen Verständniß des Folgenden wolle der Leser einen Blick auf eine gute Karte von Holland werfen. Das ganze Y wird trocken gelegt, mit Ausnahme einiger schmalen Küstenstriche, wodurch man die bequemere Verbindung der Küstenorte und der in das Y mündenden Flüsse unterhält. Dieses Trockenlegen (Poldern) erstreckt sich bis an die Zuidersee. Letztere wird dann von Westen nach Osten mit der Nordsee durch einen 33 niederländische Meilen langen Canal verbunden, der vor Amsterdam sich zu dem jetzt schon bestehenden schönen Hafen erweitert, an der nördlichen Küste des Y längs Saardam sich hinzieht, dann zwischen Haarlem und Beverwyk Nordholland durchschneidet, wo er sich zwischen den Dünen nochmals zu einem Vorhafen erweitert und alsdann, ungefähr 52° 20’ n. Breite und 4° 86’ östl. Länge von Greenwich, in die Nordsee ausmündet. Diese Mündung wird dann noch durch zwei starke, weit in das Meer hinausgedehnte Deiche geschützt.

Laßt Euch nun einmal durch einige Zahlen die ungeheueren Dimensionen des Unternehmens veranschaulichen. Der Canal erhält auf einigen Punkten eine Breite von 60 Ellen, die mittlere Breite ist 80 Ellen, auf mehreren Strecken erweitert sich diese bis zu 100 Ellen und darüber. (Der Canal von Suez ist nur 80 Ellen breit.) Wie an der Nordsee wird auch der Eingang in der Zuidersee durch zwei Deiche geschützt, Hafenköpfe genannt. Der Nordsee-Hafenkopf soll eine Länge von 2000 Ellen erhalten, bei einer Tiefe von 80 Fuß unter Wasser, die beiden Spitzen des Hafenkopfes eine Weite von 260 Ellen offen lassend. Der Zuidersee-Hafenkopf wird 1500 Ellen lang bei einer Tiefe von 27 Fuß unter Wasser. Die Wassertiefe des Canals wird 30–40 Fuß betragen und nöthigenfalls durch Dampfkraft geregelt, d. h. durch Pump- und Schöpfwerke dafür gesorgt werden, daß die Tiefe nie weniger beträgt.

Das durch Trockenlegung des Y gewonnene Land wird 6000 Bunders (1 B. = 1 franz. Hectare oder 1000 Quadrat-Meters) betragen. Der Vorhafen in den Dünen wird 300 Ellen Strahl groß sein, und dahinter werden zwei starke Schleußen gebaut, um nöthigenfalls einem übermäßigen Steigen des Wassers in dem Canale, wodurch Ueberschwemmungen entstehen würden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_287.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)