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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Fast durch jeden Fremden, den Florenz, Neapel, Venedig und Genua hingerissen, geht, wenn er zum ersten Male Rom betritt, eine eigenthümliche Verwunderung, daß er sich selbst nicht mehr verwundert. Dieses Gefühl erfaßt uns, wenn wir den weltbekannten Corso entlang schreiten, der an Breite kaum den Straßen einer Mittelstadt gleichkommt und trotz seiner den zum großen Theil unansehnlichen Gebäuden eingereihten Paläste uns lange nicht so imponirt, wie wir glauben, daß er uns imponiren müsse; es verläßt uns nicht in der Peterskirche, deren kolossale Maßverhältnisse die Fassungskraft unseres Auges übersteigen und nur durch Einzeleindrücke und Reflexion uns einen Begriff ihrer Riesengröße gewinnen lassen, und selbst die Ruinen Roms, das Colosseum und die Foren, machen vereinzelt, wie sie sind, mit elenden modernen Bauten untermischt, auf den ersten Besuch entschieden den Eindruck nicht, den man erwartet. Man muß sich in diese römische Welt erst einleben, muß erst erlernen jene neue Kunst des Sehens, die uns Goethe in seiner italienischen Reise – nebenbei die einzige Beschreibung Italiens, die ihrem Gegenstand wirklich gewachsen ist – so herrlich beschreibt und für die Rom die wahre Hochschule ist. Dann wird uns Rom zu unserer geistigen Heimath; die stille Erhabenheit seiner Denkmäler, die öde Hoheit seiner Landschaft lernen wir verstehen und lieben, und wir ziehen die, mit den glänzenden modernen Hauptstädten verglichen, fast langweilige Stadt und die einfache monotone Umgebung glänzenderen und unterhaltenderen Städten und Gegenden in tiefster Seele vor. Worin dieser mit jedem Tage wachsende Reiz liegt, darüber giebt es fast keine Erklärung, und doch bleibt er die herrschende Empfindung, die Jeden, der länger dort verweilt hat, mit ihrem ganzen Zauber faßt.

Man lernt in Rom künstlerisch sehen, und ich meine damit nicht nur, daß man durch den Anblick der ersten Meisterwerke der Welt das wahrhaft Schöne vom Häßlichen und Gemeinen, eine prahlerische Decoration vom wahren Kunstproducte scheiden lernt, man gewöhnt sich auch namentlich auf den Wanderungen durch die Ruinen, die verstreuten Reste jener einzigen Bildnerzeit aus der oft widersprechenden und entstellenden modernen Umgebung, die sich an dieselben angeklebt, herauszulösen und das Beschädigte und Zerfallene im Geiste wieder aufzubauen. Man betritt gern schmutzige Höfe, voll Unrath, Gestank und verdächtigen Gesindels, einen Säulenrest, ein Stück einer Mauer zu sehen, um sich aus dem Einzelnen ein Ganzes herzustellen. Man achtet nicht der Mahnungen seines furchtsamen Hauswirths, nicht der Geschichten, die über beraubte und geprügelte Engländer unverbürgt herumgetragen werden, und wandelt einsam in der Nacht auf dem öden Forum umher, um in der bläulichen Nebelwelt, in die der Mond die bunte Tageswirklichkeit auflöst, ungestört diesen wunderbarsten Ort der Weltgeschichte in seiner ehemaligen Gestalt sich wieder vorzumalen.

Wie Vieles uns in Rom auch verlockt und reizt, unsere Spaziergänge gelten doch am liebsten den Ruinen Roms, und auf dem Forum Romanum, das einst das Herz des republikanischen Roms war, wird auch unser Herz sich erst voll und ganz bewußt, daß wir in Rom sind. Es giebt in der Welt keinen Platz, wie der vom Capitol an dem einen, vom Colosseum am andern Ende begrenzte, keinen Weg, wie den vom capitolinischen Hügel durch den Titusbogen, bis zum letzten Monument der Kaiserzeit, dem Bogen des Constantin. Jeder Stein erzählt hier die Geschichte von Ländern und Völkern. Jetzt stehen nur noch Säulenreste, einzeln oder durch morsche Architrave zu drei und mehr miteinander verbunden, am Schlusse die gigantische Steinschale des Colosseum, das Ganze wie ein Riesenskelet der vergangenen Römerherrlichkeit. Armselige Häuser sind an der Seite hingebaut und prachtvoll gehörnte silbergraue Stiere lagern am Wege, nach denen durch einen grausamen Spott der Weltgeschichte dieser ehrwürdige Boden jetzt Ochsenfeld (Campo vaccino) benannt wird.

Einst war es anders, als von der Rednerbühne, wo jetzt die Kastanienfrau ihre Waare preist, die Rednerstimme an das Volk erscholl; als im Eintrachtstempel, dessen Unterbau noch steht, wie er stand zu Camillus’ Zeiten, Cicero seine vernichtenden Reden gegen Catilina und seine Genossen schleuderte; als hier das Lebens- und Vernichtungsloos über die Völker gezogen wurde, die lanzenbewehrten Legionen die Via Sacra hinabzogen und des Feldherrn höchste Siegesehre war, vor dem Volke hier mit seiner Siegesbeute zu erscheinen. Aber wie das Volk wuchs, das kleine Forum nicht mehr zu den Verrichtungen des öffentlichen Lebens ausreichte, prachtvolle Säulenhallen zu beiden Seiten gebaut wurden, die einflußreichsten Söhne der Republik sie schon als ihr Erbe zu betrachten begannen, da beginnt das Forumleben, auf dem die Republik ihr eigentliches Dasein führte, zu schwinden; wenn Julius Cäsar ein neues Forum in der Nähe baute, so sollten die Römer eben begreifen, daß das alte Forum nicht mehr ihr war. Mit Augustus, der ein drittes Forum baute, beginnt die Zeit der römischen Prachtanlagen. Er sagte bei seinem Tode, er habe eine Stadt aus Lehm in eine Stadt aus Marmor verwandelt. Das Forum mußte den würdigsten Boden zu den kostbarsten Monumenten geben, der kleine Raum wurde fast erdrückend gefüllt, mit Tempeln, Bildsäulen, Triumphbögen; beherrschend ragte über dieselben die Kaiserburg der Cäsaren auf dem palatinischen Hügel, von dem entmenschtesten Ungeheuer erbaut, das je auf dem Throne gesessen. Vespasian und Titus erbauten das gewaltige Colosseum, Hadrian den kolossalen Doppeltempel der Venus und der Roma, auf dem Capitol prangte mit goldenem Dache und goldverzierten Säulen und goldenen Thüren der Jupitertempel, und die herrlichsten Gartenanlagen dehnten sich auf dem Quirinal und Pincio aus, palastartige Straßen liefen nach alten Himmelsgegenden, Theater, Brücken, bedeckte Säulengänge führten von einem Vergnügen zum andern; in den Bädern, die Titus, Caracalla, Diocletian erbauen ließen, vereinigten Kunst und Ueppigkeit, was dem edelsten und wollüstigsten Genusse des Lebens diente, und prachtvolle Grabthürme, schon bei Lebzeiten ihrer Besitzer erbaut, von denen der eine, die heutige Engelsburg, noch immer ein Wahrzeichen Roms bildet, schreckten von der rauschenden Lust nicht ab.

Der Ruhm des Augustus ließ Domitian nicht ruhen, ein neues Forum anzulegen, in dessen Mitte ein Pallastempel prangte, dessen großartige Reste im siebenzehnten Jahrhundert Paul der Fünfte mit dem barbarischen Sinne, den die heiligen Väter oft bewiesen, geplündert, um mit dem Marmor eine nach ihm genannte Fontaine zu schmücken. Auch von den Umfassungsmauern, die diesen Tempel umgeben, ist noch ein Stück vorhanden, und dieses ist ausreichend, uns eine Ahnung von der großartigen Pracht zu geben, in der dieser Bau mit seinen Säulen und Friesen aufgeführt sein mußte. Obgleich von Domitian erbaut, trägt dieses Forum, von dem unsere Abbildung einen Theil vor Augen führt, den Namen Nerva’s, der es vollendete und an den wir auch lieber erinnert werden, als an jenen düsteren Tyrannen. An das Forum des Nerva schließt sich das des Trajan, die kolossalste und prachtvollste Bauunternehmung in dieser Art. Hier war es, wo der persische Prinz Hormisdas, der mit Kaiser Constantin Rom besucht und alle Zierden der ewigen Stadt bewundert hatte, niederfiel und ausrief, er freue sich, daß auch in Rom die Menschen sterblich seien.

So wuchsen die Stätten des öffentlichen Lebens in Rom, je mehr das öffentliche Leben selbst verfiel, und in dieser Pracht hat Rom bis zur Zeit des Honorius bestanden. Der Umfang seiner Mauern betrug damals einundzwanzig Miglien; sechszehn Hauptthore führten in’s Freie, achtundzwanzig gepflasterte Straßen verbanden die Stadt mit den Provinzen, vierzehn Wasserleitungen, die in meilenlangen Bogengängen durch die Campagna bis in’s Gebirge sich hinzogen, versorgten die Stadt mit dem herrlichsten Wasser, das aus prachtvoll verzierten Brunnen sprudelte. Aber die Herrlichkeit des alten Rom ging zu Ende, fremde Völker drangen ein und die alte Pracht fiel ihnen zur Beute, die Tempel und Paläste wurden zu Trümmern, bis zu zwanzig und dreißig Fuß hoch liegt der Schutt über dem Niveau der alten Kaiserstadt aufgethürmt. Die Säulen am Nerva-Forum stehen noch achtzehn Fuß unter der Erde; auf dem Forum Romanum waren sie noch Anfang dieses Jahrhunderts bis zum Capitäl mit Erde bedeckt, und ein Anstreicher, der an diesem Capitäl seine Werkstatt errichtet, spritzte in die Verzierungen desselben seine Pinsel aus, was später die Archäologen zu dem Glauben verlockte, die Capitäle seien bemalt gewesen. Die Kunstschätze wurden theils verschüttet, theils vergraben. Vieles hat man davon wieder zu Tage gefördert, Vieles steigt jeden Tag empor, unendlich viel harrt noch der Entdeckung. Was die Barbaren verschont hatten, das ging in der Hand der Römer selbst zu Grunde; aus prachtvollen Grabmälern wurden im Mittelalter Castelle, die in den Kämpfen der streitsüchtigen römischen Barone als Vertheidigungspunkte dienten; das Colosseum, das einst siebenundachtzigtausend Zuschauer auf seinen Sitzen gesehen, um sich an den Gladiatorenschlächtereien zu

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