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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

nichts darauf an, wo es Niemand sieht. Wie kann man aber nur Hösli heißen? Wenn ich mich zu Hause einmal verschnappte, daß ich mit Hösli’s gespielt! Gehen denn auch Deine Eltern mit den Leuten um?“

„Natürlich, weshalb sollten sie nicht?“

„Na höre, mit Bürgerlichen!“

Alfred blieb stehen und sah den Vetter mit einer eigenthümlichen Schärfe im Ausdruck an. „Sind Bürgerliche etwas Anderes als Adelige?“

Victor blieb auch stehen und war seinerseits ebenso erstaunt über Alfred’s Rede wie dieser über die seine. Das Wort blieb ihm buchstäblich vor Verwunderung im Halse stecken. Solch’ eine Frage war ihm nie in den Sinn gekommen. Die Knaben betrachteten sich gegenseitig in einer unbewußt aufkeimenden Feindseligkeit. Zum Glück ward der Streit beigelegt, ehe er entbrennen konnte; die Vorangehenden riefen den Knaben zu, sich zu beeilen.

„Sind die Leute reich?“ fragte Victor, von dem Hauptpunkte absehend, im Weitergehen.

„Ja.“

„Reicher als Ihr?“

„Gewiß!“

„Ach!“

„Seid Ihr denn nicht reich?“

Victor lachte: „Wir? Ja! Reich an Schulden! Vater hat Alles verputzt, die Mutter weiß oft nicht, wie sie bei Hof erscheinen soll, und wäscht sich Nachts heimlich die Handschuhe selber. Wenn mich der Fürst nicht erziehen ließe“ – er blies sich durch die Finger – „da könnte ich Holzhacker werden.“

„So nimmst Du Unterstützung von einem Fremden an?“ fragte Alfred mit steigender Geringschätzung.

„Nun, von einem Fürsten kann man sich doch etwas schenken lassen.“

Alfred richtete sich stolz auf: „Ich würde nicht von Almosen leben, gäbe es mir ein Fürst oder ein Bauer, lieber würde ich Holzhacker!“

„Du würdest ein schöner Holzhacker,“ lachte Victor, „Du kannst ja kein Beil schwingen!“

„Nun, wenn mir gar keine Wahl mehr bliebe, dann würde ich lieber sterben,“ sagte Alfred und tiefe Furchen legten sich um den bitter verzogenen Mund.

Victor sah ihn befremdet an: „Wie überspannt Du bist! Was uns der Fürst giebt, ist unter allen Umständen eine Ehre, denn er hat gesagt, er wolle ein so altes verdientes Geschlecht, wie das unsre, nicht verkommen lassen.“

„Das ist keine Ehre,“ sagte Alfred störrisch, „was uns ein Anderer giebt – das nur ist eine Ehre, was wir uns selbst erwerben.“

„Wer sagt denn das?“

„Nun, das ist doch so einfach wie ‚zweimal zwei ist vier‘.“ Sie waren am Hause angelangt.

„Alfred,“ rief ihm die Mutter zu, „wie erhitzt bist Du! was ist Dir, mein Kind?“

„Nichts, liebe Mutter!“ versicherte Alfred ungeduldig, es war ihm peinlich, so in Gegenwart der Fremden als Angstkind behandelt zu werden.

„Es ist die Freude über seinen neuen Gefährten!“ sagte sein Vater vergnügt, „Ihr seht Euch ja heute zum ersten Male. Als wir von M… nach der Schweiz zogen, war Dein Vater noch am Leben und garnisonirte in S… Nicht wahr, lieber Victor?“

„Zu dienen, ja!“ antwortete Victor, schlug die Fersen aneinander und machte Front gegen den Onkel, als erstatte er einem Vorgesetzten Rapport.

„Habt Ihr denn bereits recht gute Freundschaft mit einander geschlossen?“ fragte Egon.

„Zu dienen, ja, lieber Vetter!“ antwortete Victor mit militärischer Präcision.

Alfred schwieg. In diesem Augenblick erschien der Candidat auf der Treppe. Alle in der Vorhalle Versammelten wandten sich nach ihm um, er mußte die Stufen unter den Spießruthen der musternden Blicke der Gäste herabkommen. Er hatte die Augen niedergeschlagen, aber nicht aus Bescheidenheit, sondern nur aus vollkommenster Gleichgültigkeit, der es nicht der Mühe lohnt, die Anwesenden früher als nöthig zu betrachten.

In gespannter Erwartung harrte Egon des Nahenden. Rasch hatte er das Bild des düsteren Mannes in sich aufgenommen. Er sah die denkende Stirn mit den buschigen Brauen, die tiefliegenden verschleierten Augen und das reine Profil, die fest verschlossenen und doch so üppig geschweiften Lippen und das dichte blauschwarze Haar. Dieser Mann war gefährlich, wenn auch nicht eigentlich schön, denn dazu war er zu finster und zu eckig von Gestalt, aber er war mehr als schön: interessant und spröde! – das sah Egon auf den ersten Blick und er streifte prüfend Adelheid’s Mienen. Sie bemerkte es und erglühte. Der Candidat kam heran. „Herr Baron,“ sagte er zu dem Freiherrn, „Sie haben mich befohlen.“

„Mein lieber Herr Feldheim, ich konnte es nicht erwarten, bis ich zwei so auserlesene Männer mit einander bekannt gemacht! Herr Candidat Feldheim, Herr Graf von und zu Schorn.“

Feldheim verneigte sich zuvorkommend und tief, Egon grüßte leicht und obenhin. Der Candidat stutzte: hatte es der Graf überflüssig gefunden, seine Höflichkeit in gleicher Weise zu erwidern? Es war nur eine Form, aber sie entsprach in diesem Falle genau dem Maße des Inhalts und der Graf hatte Feldheim weniger Ehre zugemessen, als dieser ihm. Er überschaute den Grafen mit einem langen Blick von oben bis unten. Dieser ward nicht minder herausfordernd erwidert. Es stand kein guter Stern über dem Hause, als die fremden Gäste seine Schwelle betraten.

Adelheid befiel eine so bange Ahnung, daß sie darüber vergaß, was sogar Feldheim sah: wie schön sie der sorgenvolle Ernst kleidete, mit dem sie die beiden Männer beobachtete, während diese einige Höflichkeitsphrasen wechselten. Nur der Freiherr war in seiner biedern Weise gänzlich unbefangen. Er nahm Victor bei der Hand und stellte ihn Feldheim vor. Er hoffte, Victor werde Alfred, der so lange der Geschwister entbehrt, ein lieber brüderlicher Gefährte sein.

Feldheim sah Victor und dann Alfred an. Letzterer schüttelte leise das Haupt, Feldheim verstand ihn.

„Aber nun bitte ich Sie wirklich, meine Schwestern zu begrüßen, bester Graf,“ flüsterte Salten, „sonst müssen wir’s Alle entgelten!“

Egon war natürlich mit dem größten Vergnügen bereit und man trat bei den Tanten ein.

Egon, der gute, vortreffliche Cavalier, der immer wußte, was sich gehört, küßte nach der Reihe die schimmeligen Glacés Bella’s, die schmutzigen Lilly’s und die fetten handschuhlosen Grübchen Wika’s und alle mit dem gleichen „Empressement“! Er hatte ein gar zu wohlthuendes Wesen, der liebe Vetter. Bella führte ihn gleich zu einem Tisch, wo die wollene Bescheerung für die „barmherzigen Samariter“, mit rothen Bändchen gebunden, aufgethürmt lag.

Das freudige Erstaunen Egon’s über solchen Fleiß entsprach denn auch vollständig Bella’s Erwartungen.

„Lieber Gott, wenn man so alt wird und die Prüfungszeit, die uns von Gott gesteckt ist, länger dauert, als die Kräfte reichen, da kann man wenig mehr nützen,“ flüsterte Bella und verdrehte die Aeugelchen wie ein Papagei, den man unter den Flügeln kraut; „indessen Sie werden vorlieb nehmen, theuerster Graf und Mitarbeiter am Werke des Herrn – es ist nichts Kostbares, aber ich strickte mit dem Herzen!“

„Ja, und sechs Waisenkinder haben ihr dabei geholfen!“ fuhr Lilly arglos heraus.

Aber „au! was kneifst Du mich denn?“ schrie die kleine Unbedachte erschrocken auf und hielt sich das schlottrige Aermchen. Es war ein bedenklicher Moment für die doppelt blamirte Bella, ein noch bedenklicherer für das enfant terrible, welches seiner Strafe sicher war und vor lauter Angst ärger als je mit den Zähnen wackelte.

Gutmüthig wie immer machte der Freiherr der Verlegenheit ein Ende und bat Egon und Victor, sie auf ihre Zimmer führen zu dürfen. Noch einmal handküßte sich der galante Vetter der Reihe nach durch und diesmal kam auch selbstverständlich Adelheid daran, bei der er sich für eine Stunde verabschieden mußte. Als er seine Lippen auf Adelheid’s Fingerspitzen drückte, traf sein Auge das des Candidaten, der still beobachtend zur Seite stand. „Auf Wiedersehen!“ nickte er ihm herablassend zu und verließ das Zimmer.

Wenige Minuten später trat Adelheid mit dem Candidaten in die Vorhalle. Er wollte sein Zimmer aufsuchen, Adelheid ging in den Garten. Bevor sie sich trennten, blieb Adelheid stehen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_146.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)