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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

gute Nacht boten. Daß man hinsichtlich seines „Fortkommens“ durchaus auf das gute Glück angewiesen ist – denn auf die anderthalb Wagen in Pirna und das halbe Geschirr in Königstein läßt sich während der Sommersaison begreiflicher Weise nicht bauen – giebt der Existenz im Bielagrunde noch einen besonderen Reiz – man dünkt sich wie auf einer Insel mitten im Ocean, an welche die Brandung des Lebens nicht anschlägt.

Vor einer Reihe von Jahren kam ein Herr aus dem hohen Norden, ein Schwede, nach der Schweizermühle, um die Heilkräfte des kalten Wassers an seinem Leibe zu erproben. Die Gegend muthete ihn so eigenthümlich an, vielleicht mahnte sie ihn an die landschaftliche Scenerie seiner Heimath, daß er sich dicht hinter dem Curhause eine eigene Sommerwohnstatt errichtete. Zugleich erwarb er ein umfängliches Terrain von Wiese, Wald und Felsen und legte darauf einen allerliebsten kleinen Park und eine Gärtnerei speciellster Art an. Er widmete nämlich seine Liebhaberei einzig und allein den Nadelholzbäumen. Bald hatte er Coniferen (Zapfenbäume) aus allen Himmelsstrichen in seinen Baumschulen und Glashäusern vereinigt und schon damals den sogenannten „Schwedengarten“ zu einer Merk- und Sehenswürdigkeit des Grundes erhoben, von der man auch über die Grenzen der sächsischen Schweiz hinaus zu sprechen begann.

Dabei war der Schwede ein Original. Menschenscheu – man erzählte sich eine romantische Geschichte von der Untreue seiner Gattin, welche ihn aus seiner Heimath getrieben und zum Einsiedler gemacht hatte – schloß er sich hermetisch ab von jeglicher Gesellschaft. Regelmäßig am ersten April siedelte er mit zwei Dienern, einer alten Wirthschafterin und mehreren großen Hunden nach seiner Sommerresidenz im Bielagrunde über, um ebenso regelmäßig am ersten October wieder sein Winterquartier in Dresden zu beziehen. Bis Nachmittags drei Uhr pflegte er zu schlafen, und seine Domestiken hatten strengen Befehl, währenddem alle Störungen vom Hause abzuwehren. Dafür streifte er oft die ganze Nacht hindurch auf seinem Grundstück und im Felslabyrinth der Gegend umher. Den Besuchern der Schweizermühle, und namentlich ihren Curgästen, gestattete er zwar den Eintritt in seinen Garten, allein in äußerst launenhafter Weise. Manchmal gefiel es ihm, den Park Tage lang völlig zu verschließen, immer aber hatte man gewärtig zu sein, wenn Herrn Bergwal – so hieß der Sonderling – seine menschenfeindliche Stimmung anwandelte, auf ein Glockensignal urplötzlich den Garten räumen zu müssen. Damen waren dem Schweden ein Gegenstand besonderen Hasses; nur in seltenen Ausnahmefällen gönnte er ihnen die Besichtigung seiner Anlagen.

So trieb er sein wundersames Wesen, bis er im Jahre 1864 auf seiner Besitzung im Bielagrunde starb. Sein Erbe war ein in Schweden lebender Bruder. Derselbe hatte keine Lust, sein Sommerzelt im fernen Sachsenlande aufzuschlagen; er veräußerte darum die Besitzung, Haus, Park, Gärtnerei, Wiesen, Wald und Felsen, zusammen ein Areal von mehr als hundert Scheffeln Landes, an einen in Dresden privatisirenden Preußen, der sich in Rußland ein beträchtliches Vermögen erworben hatte, den ehemaligen Bankdirector Lässig – vielleicht den einzigen Menschen, zu welchem das verstorbene Original allmählich in nähere Beziehungen gekommen war, da sich Beide in der gleichen Passion für Gartenbaukunst und speciell in dem Interesse für Coniferen begegneten. Als ein tüchtiger Botaniker ist es Herr Lässig gewesen, welcher die Baumschulen von Oberhütten – so steht die Localität officiell in den Grundbüchern verzeichnet – zu dem Unicum entwickelt hat, welches sie heute sind: von allen Sachkundigen als einzig anerkannt auf dem weiten Erdenrunde. Mit dem liebenswürdigen Manne durch seine Anlagen zu wandern, ihn mit der Bescheidenheit, die jedes wahre Verdienst zu begleiten pflegt, seine Schöpfungen erläutern zu hören, ist ein Genuß und gleichzeitig ein Cursus in einem der interessantesten Zweige der Botanik, wie ihn kein Pflanzengarten der Welt in derselben Vollständigkeit darbieten kann.

Schon die Villa, welche Herr Lässig an Stelle des früheren Schwedenhauses erbaut hat, ist außen und innen ein Muster geschmackvoller Einfachheit. Mit ihren lichten Mauern und dem zierlichen Treppen- und Glockenthurme bringt sie eine heitere Abwechselung in den ernsten Fichtenwald ringsum, und wem es beschieden ist, vom Balcon des Hauses in die augentröstliche Fülle von Grün zu schauen, die es von allen Seiten umrahmt, während die den südlichen Horizont begrenzende Felsenwand bläulich herüber dämmert über die zahllosen Wipfel und das melodische Geplätscher verschiedener Fontänen uns in süßes Träumen einlullt – dem entschlüpft wohl ein leiser Seufzer, daß er sich nicht selbst den glücklichen Besitzer der entzückenden Waldeinsamkeit nennen darf.

Der Park füllt nahezu die ganze Breite des Thales aus. Das will freilich nicht viel sagen, denn der Weg von einer Bergseite zur andern beträgt in gerader Linie keine fünf Minuten. Die Ausdehnung ist mithin nicht der Schwerpunkt der Anlage; dieser liegt vielmehr in ihrer Schönheit, in dem feinen Verständniß landschaftlicher Gartenkunst, mit dem man aus dem scheinbar sprödesten und starrsten Material, aus nichts als Nadelbäumen und Coniferenbüschen ein überaus wirkungsvolles und, was fast wie ein Widerspruch klingt, weiches und mildes Ensemble geschaffen hat. Zwischen den lichten Tinten der californischen Edeltanne und dem dunklen, beinahe schwarzen Laube der nordamerikanischen Thuja wie viele Schattirungen von Grün! Der Laie, der, wenn er von Nadelholz hört, zunächst immer an unsere eintönigen Fichten- und Föhrenwälder denkt, sieht alle seine forstlichen Vorstellungen über den Haufen geworfen.

Ebenso mannigfaltig sind Formen und Größenverhältnisse der Coniferen. Gleich beim Eingang fesselt ein merkwürdiges Gewächs unsern Blick. Wie ein Candelaber erhebt es sich mit seinen in Quirlen stehenden langen Aesten und den schuppenförmigen, glänzend grünen, spitzen Blättern über dem kleinen Pleasure-Ground des Parkes. Es ist eine chilenische Araucaria, eine der größten Zierden, welche sich das Etablissement aus der Neuen Welt über den Ocean herübergeholt hat. Einzelne besonders schöne Exemplare des Baumes läßt es sich wohl mit fünfzig und mehr Thalern bezahlen. Nicht weit davon, gleichfalls aus dem Rasen emporwachsend, erregt ein Baum mit graziös herabhängenden Zweigen und in Büscheln stehenden feinen, weichen hellgrünen Nadeln unsere Aufmerksamkeit – ein Kind des hohen Himalaya, die Deodara, die schönste von allen bis jetzt bekannten Cedern, während die Ecken der Anlage von Gruppen der zierlichen nordamerikanischen Hemlock- (Schierlings-) Tanne decorirt werden, deren von federartigen lebhaft gefärbten Nadeln besetzte Zweige in üppigen, überaus malerischen Gehängen bis auf den Erdboden herabfallen. Es sind dies schon stattliche Bäume von zehn Ellen Höhe, welche, erst zwanzigjährig, uns eine Vorstellung von der Schönheit geben, zu der sich diese Conifere entwickelt, wenn sie das Alter ihrer Reife erreicht hat. Der Riesenbaum par excellence ist bekanntlich die aus Californien in unsere deutsche Heimath übersiedelte Wellingtonia oder Mammuthfichte. Irren wir nicht ganz, so ist es der Schwedengarten von Oberhütten gewesen, welcher diesen Giganten aus dem fernen Westen zuerst bei uns eingebürgert hat. Ist er völlig erwachsen, was in wunderbar kurzer Zeit der Fall, so erscheinen unsere gewaltigste Tanne und Fichte neben ihm wie Kinder. Wer sich heute den Luxus einer Parkanlage gewähren kann, wird die Wellingtonia kaum noch entbehren wollen, um so weniger, als der Baum selbst ziemlich hohe Kältegrade ohne Schutz in freiem Lande verträgt.

Als den speciellen Stolz von Oberhütte bezeichnete mir der Gärtner, mit welchem ich zu wiederholten Malen die interessanten Baumschulen durchstreifte, eine Tanne aus dem Osten.

„Von allen fremdländischen Coniferen, die Sie bei uns hier eingeführt sehen,“ erklärte er mir, „harmonirt keine mehr mit unserem Klima, als diese stolze Tochter des Kaukasus, die Nordmanniana. Betrachten Sie sich nur die Eleganz ihres breiten, pyramidalen Baues und ihre wunderschönen, dichtgedrängten, glänzenden Nadeln. Welches tiefe Grün da auf ihrer oberen Seite, während die untere mit ihren delicaten weißen Streifen dem matten Silber gleicht! Deshalb lassen wir uns die Cultur der Nordmanniana auch vorzugsweise angelegen sein und machen für sie nach Möglichkeit Propaganda als für einen nach allen Richtungen hin nicht genug zu empfehlenden Zierbaum. Wenn ich behaupte, daß Sie nirgends eine reichere Sammlung von Nordmannianen aller Größen und Altersstufen antreffen werden, als bei uns, so glaube ich mich keiner Uebertreibung schuldig zu machen. Von kleinen kaum halbfußhohen Samenpflanzen, die wir pro Stück mit vier bis sechs Groschen ablassen, bis zu ansehnlichen Bäumen von neun Fuß Höhe und vierundzwanzig Fuß Umfang, welche wir nicht unter fünfzig Thalern abgeben, finden Sie die prachtvolle Kaukasierin in zahlreichen Exemplaren bei uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_409.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)