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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Hier aus der Gegend freilich – er wohnt seit vielen Jahren auf der Ferme des Auges; aber ich denke, ich habe sagen hören, er sei von Geburt ein Belgier – es ist ein sehr schönes Gut, la Ferme des Auges, und Herr d’Avelon ein vorzüglicher Landwirth; er gehört auch zum Conseil général und ist ein Freund des Herrn Präfecten …“

„Sieh, sieh, Nicaise,“ rief jetzt Sontheim aus, „wie genaue Auskunft Du jetzt über den Herrn weißt, den Du anfangs mit Deiner patriotischen Discretion in Schutz nehmen wolltest.“

Max meldete sich scherzend bei seinem Hauptmann als wieder dienstfähig und die Anderen kehrten zu ihrem Spiel zurück.




2.


La Ferme des Auges lag nicht im offenen Flußthal der Maas, sondern im Hintergrunde einer Seitenbucht des Thals, eines nach allen Seiten hin leise anschwellenden Terrains, das, von einem Kranz von oben bewaldeten Höhen umgeben, nur nach Südost, nach dem Flusse hin offen war. Diese geschützte Lage mußte viel zu der Fruchtbarkeit des hübschen kleinen, in den Bergen versteckt liegenden Erdwinkels beigetragen haben – viel auch der fleißige und sorgsame Anbau, die zweckmäßige Bewirthschaftung, die überall wahrnehmbar war; der Besitzer schien besonders auf Obstcultur großes Gewicht gelegt zu haben; überall durchzogen Reihen wohlgepflegter Obstbäume die Felder; eine stattliche Nußbaumallee durchschnitt das Terrain in gerader Linie und führte auf das Wohnhaus zu – zunächst auf einen mauerumzogenen großen Garten, der, heute noch wie er vielleicht vor hundert Jahren angelegt worden, die ganze Regelmäßigkeit des alten französischen Geschmacks zeigte, sogar noch Taxushecken und Sandsteinfiguren am Ende dunkler Berceaux – im Hintergrunde des Gartens führte eine breite Steintreppe auf eine Terrasse und über ihr erhob sich das Herrenhaus – nicht, wie es der Charakter der Gartenanlage erwarten ließ, ein kleines Rococoschloß mit stattlichen Flügeln, sondern nur ein einfaches Landhaus, nur ein Stockwerk mit hohem Mansardendach darüber zeigend, weiß getüncht, mit grünen Jalousien; statt der Flügel nur ein kleines Gewächshaus an der einen und eine Volière an der anderen Seite.

Das Alles recognoscirte Daveland, als er am andern Tage um die Nachmittagsstunde, von Hartig begleitet, durch die Kastanienallee auf die Ferme des Auges zuritt und dann um die Gartenmauer herum den Hof des Gebäudes erreichte. Er hatte Hartig bewogen, ihn zu begleiten, und es bei diesem an Gründen, weshalb er so rasch das Versprechen erfüllen wolle, welches er Herrn d’Avelon gegeben, nicht fehlen lassen. Zuerst den, daß es in Void in Frankreich gerade ebenso langweilig war wie in jedem anderen Orte auf Erden, wo man eben nichts zu thun hat. Und weiter den, daß es sehr interessant sein mußte, eine vornehme französische Familie in ihrem „Interieur“ kennen zu lernen; ganz zuletzt den, daß ihn dieser Herr d’Avelon, sein Wesen, sein Gesicht anziehe – vielleicht nur aus Widerspruchsgeist, weil sich Sontheim so scharf wider ihn erklärt. Und doch war, was ihn zog, etwas ganz Anderes, ein Gefühl, das sich eigenthümlich mit Spannung, Scheu und Beklemmung vermischte und doch stark genug war, ihn mit einem gewissen Heroismus dieses Alles, was ihn zurückhalten wollte, überwinden zu lassen. Genug, unser Landwehrlieutenant hielt am anderen Tage, von Hartig, dem Gelehrten der Compagnie, gefolgt, auf dem Oekonomiehofe der Ferme und wurde, nachdem ein Knecht die Pferde übernommen, auf die Terrasse vor dem Wohnhause geführt, wo die Herrschaft sich befinden sollte.

Auf der Terrasse, an einem runden Tische von Gußeisen saßen zwei Damen; ein Herr stand vor ihnen und sprach sehr lebhaft. Max Daveland erkannte den Lenker des Wagens von gestern in ihm, in einer der Damen das Original seines Bildes, bei deren erstem Anblick ihn gestern ein großer Schmerz getroffen hatte; die andere war eine dunkle, ein wenig verblühte Schönheit, sie sah wie eine Engländerin aus, ein etwas zu längliches Gesicht mit feinen Zügen, umgeben von hängenden Locken und etwas Steifes in der Haltung, etwas Verurtheilendes, Mißbilligendes, das für die ganze irdische Erscheinungswelt und was der wechselnde neue Tag brachte, stetig um ihre Lippen lag, deuteten darauf hin. Daveland machte diese Bemerkung freilich erst später. Jetzt näherte er sich der Gesellschaft mit einiger Verlegenheit, er sah keine sehr freundliche Aufnahme von dem Herrn voraus, der ihn mit einem sehr kalten, fast feindlichen Blicke maß. Mit einer Verbeugung übergab er ihm seine und Hartig’s Karte und erklärte sein Kommen. Der Herr bat mit kühler Höflichkeit Platz zu nehmen und ging mit der Bemerkung, daß er Herrn d’Avelon rufen wolle, den Stufen zu, welche von der Terrasse in den Garten führten. Die Karten hatte er auf den Tisch geworfen.

„Sie wohnen in einem kleinen Paradiese hier,“ sagte Max, nachdem er mit seinem Begleiter auf eine abermalige Einladung der Damen Platz genommen, „und fühlen sich gewiß sehr glücklich, daß Ihre Berge Sie selbst vor den Stürmen des Krieges schützen.“

„Wir haben allerdings bis heute noch keinen Feind hier gesehen,“ versetzte die jüngere Dame – und dann mit einem Lächeln zu Max aufschauend, setzte sie hinzu: „und dem ersten, der bis hierher dringt, sehen wir sehr beruhigt in’s Auge! Nicht wahr, Miß Ellen?“

„O, Sie wissen, ich bin als Britin neutral, Valentine!“ antwortete die Miß mit einem Zucken der Lippen, das hinzuzusetzen schien: „und sehe überhaupt Männern nicht in’s Auge!“

Daveland verbeugte sich.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen bemerkt! Mein Auge ist durchaus unverletzt und im Stande Alles zu thun, wozu man eben zu seinem Glück wie Unglück ein Auge hat!“

„Ah – kann man ein Auge zu seinem Unglück haben?“ fragte Valentine aufhorchend rasch – ein offenbar spöttisches Lächeln zuckte um ihren Mund, es war wie ein muthwilliges Begehren in ihr, den Deutschen auf einer Lächerlichkeit zu ertappen.

„Gewiß … das Auge ist der Sinn, der uns am wenigsten gehorcht. Es spricht sehr oft, was wir um Alles in der Welt willen nicht verrathen haben möchten, und zuweilen faßt es Bilder auf, die wir um denselben Preis nicht in uns aufgenommen haben möchten, weil es Bilder sind, die uns unglücklich machen!“

„Ah,“ sagte die junge Dame, „dann ist aber das Ohr nicht besser – es giebt uns Manches zu hören, was uns auch nicht sehr glücklich macht!“

„Besonders in der jüngsten Zeit!“ fiel Miß Ellen scharf ein.

Sie verlassen das Gebiet der Neutralität, Fräulein!“ versetzte Max scherzend.


(Fortsetzung folgt.)




Ein Rococomaler der Gegenwart.


Unter den Düsseldorfer Volksmalern nimmt Karl Hoff eine eine ebenso eigenthümliche wie vereinzelte Stellung ein. Es ist dies sowohl in Beziehung auf die Wahl der Stoffe wie auf die Technik der Fall, Knaus, Vautier, Salentin pflegen ihre Gegenstände aus dem Bauerleben zu nehmen. Wilhelm Sohn und seine Schüler behandeln mit Vorliebe die deutschen Patrizier des siebenzehnten Jahrhunderts in durchweg ernsten Darstellungen. Hoff dagegen verkörpert gewissermaßen das höhere gesellschaftliche Leben der eleganten Franzosen in jenem Geiste, wie Molière und Beaumarchais das Leben ihrer Zeit auffaßten, indem er sich bald in humoristischen, bald in feierlichen Gegenständen bewegt. Und in diesem Sinne entwickelt er auch einen außerordentlichen Farbenreichthum. Man glaubt sich vor seinen Bildern in die elegantesten Pariser Salons versetzt und ist nicht wenig verwundert, daß ein deutscher Künstler so fein und charakteristisch das Thun und Trachten eines nachbarlichen Volkes aus einer vergangenen Periode zu behandeln versteht.

Der Künstler ist ein Mannheimer und im Jahre 1838 geboren. Es läßt sich also vermuthen, daß die umliegenden Schlösser der Pfalz, wie Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe, schon früh den Geist des Knaben angeregt, daß die Salons seine Phantasie beschäftigt und daß er dieselben, sowie die Terrassen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_336.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)