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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wurden und sich zum Dank dafür in Wachs dargebracht haben. Solche Figuren kosten bis zu achtzig Gulden; die Photographien der betreffenden Persönlichkeiten werden nach München geschickt und dort die Köpfe in Wachs danach bossirt; das Uebrige mit vollständigem Anzuge besorgen die Wachszieher, die an den Buden ihre Waaren feilhalten. Haben die Figuren einige Zeit gestanden, dann werden sie von der Kirche wieder an den Wachszieher verkauft. So ist es auch mit den Kerzen, mit den wächsernen Pferden, Kälbern, Kühen, Armen und Beinen, die geopfert werden – Alles, was dargebracht wird, ist angenehm, und je mehr, desto besser. Die dicken Franziskaner machten dazu höchst vergnügte Gesichter und schienen mit Mephisto’s beißender Bemerkung, daß die Kirche einen guten Magen habe, vollkommen einverstanden zu sein.

Karl Eyßer.




Blätter und Blüthen.


Ein Nachtrag zu den „Briefen eines Wissenden“. Die Leser der Gartenlaube werden sich noch der in Nr. 39 von 1871 enthaltenen „Briefe eines Wissenden“ und des darin berührten Conflictes zwischen dem damaligen Chef des Militärcabinets General von Manteuffel und dem damaligen Obersten Grafen von der Gröben erinnern.

In neuester Zeit hat ein abermaliger Conflict zwischen diesen, indeß auf höhere Dienststufen gestiegenen beiden Herren stattgefunden, als dessen Ausgang die Zeitungen die Nachricht brachten, daß alle in der Armee dienenden Mitglieder der gräflichen Familie von der Gröben ihre Verabschiedung aus dem Dienste beantragt hätten. Diese Nachricht ist nur theilweise richtig. Wir haben über Veranlassung und Verlauf dieses neuesten Conflictes das Folgende erfahren:

Als General von Manteuffel Ende des Jahres 1870 im Norden Frankreichs die erste Armee (erstes und achtes Armeecorps) commandirte, am 28. November Amiens besetzt hatte und am 1. December den Marsch auf Rouen und Dieppe antrat, ließ er in Amiens den Commandeur der dritten Cavalleriedivision, General Graf von der Gröben zurück, dem sechs Bataillone Infanterie, zwei Regimenter Cavallerie und drei Batterien mit dem Auftrage unterstellt waren, die Stadt Amiens und die Somme-Linie, sowie die hinter der letztern laufende Eisenbahnlinie la Fère zu sichern und der geschlagenen französischen Nordarmee mit mobilen Colonnen zu folgen. – Um diesen Aufträgen zu genügen, hielt General Graf von der Gröben in Amiens nur die Citadelle besetzt, wodurch der Besitz der Stadt selbst ihm hinreichend gesichert erschien. Dem Angriff des etwa mit seiner Armee auf Amiens zurückkehrenden General Faidherbe war er ohnedies nicht gewachsen. Als Faidherbe später wieder gegen Amiens vorrückte, kehrte auch Manteuffel schleunigst um und warf ihn über den Abschnitt der Hallue zurück.

Bald nach dem auf Rouen angetretenen Marsch ging ein Befehl von Manteuffel ein, die Stadt Amiens selbst mit zwei Bataillonen besetzt zu halten. General Graf von der Gröben meldete sofort, daß er nur die Citadelle besetzt und über die anderen Truppen, seiner Aufgabe gemäß, anderweitig verfügt habe.

In einem darauf erlassenen mißbilligenden Schreiben des General von Manteuffel waren die Worte gebraucht: „Sie haben also den Rückzug gewählt.“ General Graf von der Gröben fühlte sich hierdurch in hohem Grade verletzt, beschwerte sich und es trat vom 2. Januar 1871 ab der Prinz Albrecht Sohn an seine Stelle. Später, als Commandeur der in Rheims stehenden Division der Occupationstruppen, wieder unter Manteuffel stehend, beantragte der General Graf von der Gröben, unter der Anführung, daß es ihm in Rheims nicht möglich seinen Kindern den erforderlichen Unterricht zu gewähren, seine Verabschiedung aus dem Dienst. Es wurde ihm erwidert, daß er einstweilen verbleiben und das Weitere abwarten möge. Darauf erfolgte seine Versetzung als Commandeur der 5. Division nach Frankfurt an der Oder.

Nun nicht mehr direct unter Manteuffel stehend schrieb er wegen jener Aeußerung einen äußerst scharfen Brief an Manteuffel, und soll denselben auch gefordert haben. Manteuffel erstattet, unter Uebersendung des Briefes, Meldung an den Kaiser, und da es nach dem Militärstrafgesetz einem Untergebenen nicht gestattet ist, über einen erhaltenen Dienstbefehl oder Verweis den Vorgesetzten zur Rede zu stellen, die Handlung des General Graf von der Gröben sich aber auf eine Zeit zurückbezog, zu welcher er Untergebener des General von Manteuffel war, so wurde er durch ein Kriegsgericht zu einem längeren Festungsarrest verurtheilt, den er in Glogau auch antrat. Schon nach vierzehn Tagen erfolgte seine Begnadigung. Er wiederholte nunmehr sein Abschiedsgesuch und trat seine Functionen als Commandeur der 5. Division erst wieder an, nachdem der Kaiser, unter Ablehnung seines Abschiedsgesuchs, ihm ein sehr gnädiges und anerkennendes Schreiben hatte zugehen lassen, und nachdem ihm schon vorher seitens des General-Feldmarschalls Grafen von Moltke versichert worden, daß dieser in seiner Lage in Amiens ebenso gehandelt haben würde, wie es von dem General Graf von der Gröben geschehen sei.

Eine so durch den höchsten Kriegsherrn selbst in liebenswürdigster Weise ihm gewordene Genugthuung mußte den General vollständig befriedigen, und damit erhielt der Conflict äußerlich seinen Abschluß.

X.




Für die Todten um Metz. Eine Dame aus Berlin schreibt uns: „Wie so viele Tausende, habe auch ich dem Vaterlande in den Tagen der großen, weltgeschichtlichen Ereignisse große, schwere Opfer bringen müssen. Bei Mars-la-Tour fiel mein heißgeliebter siebenzehnjähriger Sohn und ruht nun fern von mir, doch Gottlob! in deutscher Erde! Nach einundzwanzigmonatlichen namenlosen Leiden habe ich nun auch das zweite Opfer, meinen Mann (Hauptmann R…), vor drei Monaten zur Erde bestatten müssen! Das ist in wenig Worten Leid genug für ein ganzes Menschenleben!

Mein Mann ruht in meiner Nähe, ich vermag sein Grab zu hüten und zu pflegen. Nicht so das meines theuern, heißgeliebten Kindes!

Seit jenen denkwürdigen und doch so schweren Augusttagen war meine heiße Sehnsucht nach jener Stelle gerichtet, wo mein Kind ruht, ich wollte einmal nur den Hügel mit meinen Armen umschließen, mit meinen Thränen netzen! Dank dem vortrefflichen Hauptmann meines Sohnes – leider fiel auch er in den schweren Kämpfen bei Orleans – wußte ich genau den Platz, wo er ruht. Jedoch nun erst, nachdem ich die Pflicht gegen meinen armen Mann erfüllt, wurde es mir möglich, jener Herzenssehnsucht zu folgen. Anfang August dieses Jahres war ich in Metz und besuchte all’ die Stellen, wo ferne oder nahe Bekannte von ihm lagen.

Die Ebene um Metz – St. Privat, St. Marie aux Chênes, Vionville, Gravelotte – gleicht einem weiten Kirchhof, nur daß die Gräber vereinzelt und oft – wie recht vergessen stehen. Ginster und Unkraut wuchern darüber hin; die kleinen Holzkreuze können nur kurze Zeit noch Wind und Wetter widerstehen, und über ein Kleines geht die Pflugschar über den Hügel und die Spur ist verweht! Wohl erheben sich einzelne stolze Monumente, doch dienen diese noch mehr dazu, die Verlassenheit der anderen Gräber hervorzuheben. Beim Anblick dieser trostlosen Vergänglichkeit kam mir nun der Gedanke: wäre es nicht möglich, auf dem ganzen Terrain einige Invaliden zu stationiren, denen gegen eine Pension die specielle Pflege aller Gräber anvertraut und zur Pflicht gemacht würde? Das wäre doppelter Nutzen, denn auch der arme Invalide könnte durch solch ein Amt und Zulage vor großer Noth geschützt werden!

Wäre es nun ausführbar, daß auf einen Aufruf alle Diejenigen, welche dort theure Angehörige liegen haben, sich zu einem bestimmten, wenn auch noch so kleinen Beitrage vereinigten, so müßten auf diese Weise Hunderte von Thalern zusammenkommen, und es würde einem Invaliden möglich sein, ein Terrain von einer bis zwei Meilen zu beaufsichtigen. Ja, sind wir es nicht auch dem lebenden Geschlechte schuldig, zu zeigen, daß Dankbarkeit über das Grab hinaus dauert und daß unsere Helden mit ihrem Tode nicht aufgehört haben, für uns zu sein?“

Wir schließen uns der obigen Anregung in Allem an und halten in Uebereinstimmung mit der tief gebeugten Mutter die Errichtung einer Gräberwacht um Metz für eine Ehrenpflicht, deren Erfüllung die deutsche Nation ihren todten Helden schuldet. Die Art, in welcher unsere Briefschreiberin ihre Idee verwirklicht wissen will, erscheint uns als eine durchaus ausführbare. Möge diese Anregung an maßgebendem Orte ein offenes Ohr finden und durch Errichtung eines Comités – etwa in Metz – der hiermit gegebenen Idee bald die Ausführung folgen!




Der Leichnam eines Unbekannten. Die hessische Polizeiverwaltung zu Gießen ersucht uns zum Abdruck nachstehenden Aufrufs:

Ein sehr elegant gekleideter, anscheinend dem gebildeten Stande angehörender Mann von vierundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren hat sich in der Nacht vom 1. zum 2. Februar dieses Jahres auf der Fahrt zwischen Frankfurt und Gießen erschossen. Die in einigen Zeitungen und Polizeiblättern erlassenen Ausschreiben scheinen nicht genügend in’s Publicum gedrungen zu sein, weil die Identität des Erschossenen noch nicht ermittelt worden ist. Sein weißes feines Taschentuch und seine Unterhosen waren „O H“, sein feines Hemd und seine Strümpfe waren „F K“ gezeichnet. Seine prächtigen in Perlen und Seide gestickten Hosenträger lassen vermuthen, daß sie nicht gekauft, sondern ein Geschenk einer Dame sind. Der Mann ist groß und hat dunkelblonde Haare, eine gebogene Nase, blaßblaue Augen, schwachen hellrothen Backen- und hellrothen schwachen Schnurrbart. – Interessenten wollen sich an Stadtgericht oder Polizeiverwaltung Gießen wenden, wo die Effecten des Erschossenen aufbewahrt werden.




Abermals ist die „Gartenlaube“ von einem schweren Verluste betroffen worden: ihr erster und ältester Mitarbeiter und der Liebling eines weiten Leserkreises durch vier Jahrzehnte, ist am 29. September, an seinem sechsundsechszigsten Geburtstage, von uns geschieden, unser edler guter

Ferdinand Stolle!

Sie zählen nach Tausenden, die ihn hoch gehalten haben als geistreichen Erzähler und herzerwärmenden Dichter, die von dem immerfrischen Humor des gemüthlichen „Dorfbarbier“ sich allwöchentlich durch viele Jahre erquicken ließen, und sie Alle werden dem nun Heimgegangenen mit Wehmuth nachblicken und ihm ein dankbares Angedenken weihen. Um wie viel tiefer ist die Trauer und dann wieder die Erinnerung des engern Kreises seiner Freunde, die den liebenswürdigen Menschen ganz und innig erkannt und seinen einfachen äußeren Lebenswandel mit ihm getheilt von Dresden über Leipzig und Grimma in die von ihm so sehr geliebte Vaterstadt zurück: sie Alle stimmen ein in den Ausspruch, daß selten ein besseres Herz und ein begabterer Kopf mit größerer Bescheidenheit zusammen gelebt und gewirkt haben. Glänzendere Schriftsteller hat die Nation viele gehabt, aber keinen Mann von höherer Seelengüte!

Die „Gartenlaube“ wird der Ehre seines Namens ein besonderes Blatt widmen.

Die Redaction der Gartenlaube.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_684.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2020)