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Briefe eines Wissenden/1

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Titel: Briefe eines Wissenden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 647–650
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Ein Nachtrag zu den „Briefen eines Wissenden“
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[647]
Briefe eines Wissenden.[1]
Erster Brief. Manteuffel und Falckenstein.

Geehrter Herr! Unserer Verabredung, Ihnen einige Licht- und Schattenbilder aus der politischen Welt und aus dem Leben und Weben der höheren Kreise unserer neuen Reichshauptstadt zu übersenden, soweit dergleichen Abrisse für die „Gartenlaube“ geeignet sein möchten, komme ich mit Vergnügen nach, obwohl mir gleich bei der Auswahl der Skizzen für diesen ersten Brief schon recht ernste Bedenken entgegengetreten sind.

Sie wissen, daß mich das Schicksal mit einigen der Männer, die heute in dem preußischen Staate eine Rolle spielen, ja zum Theil berufen sind, mächtig in die weltbewegenden Ereignisse der Gegenwart einzugreifen, schon vor Zeiten zusammengeführt hat, und daß ich andauernd Gelegenheit habe, mit den alten Bekannten zusammenzutreffen und mancherlei zu erfahren, was trotz seines allgemeineren Interesses nicht in die Oeffentlichkeit dringt. Mittheilungen solchen Inhalts für Ihr vielgelesenes Blatt, bedürfen aber einer doppelt sorgfältigen Sichtung. Zunächst schließt sich selbstverständlich alles aus, dessen Veröffentlichung eine Verletzung des Amtsgeheimnisses oder ein Mißbrauch persönlichen Vertrauens sein würde, zum Anderen werden die Gefühle der Pietät – die eigenen sowohl wie die der Leser – für die trefflichen Männer, denen das Vaterland seine Wiedergeburt verdankt, Beschränkungen auflegen sowohl in Bezug auf die Darstellung von Thatsachen als auf die Schärfe des Urtheils. Sie haben selbst, Herr Redacteur, diesen letzten Punkt besonders betont, und ich werde den Gedanken durchaus als einen leitenden betrachten, erlaube mir aber eine kurze Erwägung voranzuschicken.

Personen in hervorragender Stellung genießen die Gunst eines glücklichen Vorurtheils; sie werden von allen, die ihnen zum ersten Male nahe treten, mit der Erwartung betrachtet, als müsse ihnen jedenfalls etwas Ungewöhnliches beiwohnen; geht ihnen gar ein verdienter oder unverdienter Ruf voraus, so wächst die Spannung verhältnißmäßig und verwandelt sich in erstaunlich leichter und schneller Weise in Bewunderung, Ehrfurcht und Staunen. Für Menschen, die ein gütiges (bekanntlich nicht immer gerechtes) Schicksal auf eine gewisse Höhe des Lebens gehoben hat, bedarf es weiter keiner Anstrengung, um auf die Masse der gewöhnlichen Sterblichen den Eindruck des Bedeutenden, wohl gar Erhabenen zu machen. Der Mensch ist ein bewunderungssüchtiges Geschöpf; er verlangt durchaus nach einem Gegenstande, den er anstaunen, verehren, betoasten und vor dem er sich beugen und verbeugen [648] kann, und es ist dieses Bedürfniß keineswegs immer eine Aeußerung niedriger Gesinnung, Kriecherei oder Unselbstständigkeit, sondern ebenso oft der Ausdruck eines sittlichen Gefühls, der warmen Anerkennung des Tüchtigeren, Stärkeren in dem Genossen eines gleichen Strebens. Jedenfalls aber dürfen dergleichen Anregungen uns nicht soweit beeinflussen, daß, wenn wir mit der Schilderung von Personen, welche durch amtliche Stellung oder Thaten der Geschichte oder wenigstens der Oeffentlichkeit angehören, vor das Publicum treten, wir, einer Vorliebe oder Theilnahme nachgebend, die thatsächlich vorhandenen Schatten übergehen oder verwischen. Ein solches Verfahren würde sich mit der Aufrichtigkeit der Ueberzeugung nicht vertragen und auch unserm gemeinsamen Zwecke, Ihrem Leserkreise wahrheitsgetreue Bilder vorzuführen, widersprechen.

Bei allem Rücksichtnehmen daher auf hohe gesellschaftliche Stellung, Amt, Würde und Wirksamkeit der Personen, die hier der Besprechung unterzogen werden sollen, wird es doch nicht ausbleiben können, daß mancher Schmuck für unecht, manches eingerostete Urtheil für falsch erklärt wird. Es sind nicht Alle, welche die Wogen des Lebens emporgehoben, rarae aves; viele unter ihnen erscheinen dem schärferen Blicke als sehr gewöhnliches Geflügel; mögen sie denn als solches weiter flattern und auf eine bewundernde Betrachtung verzichten! – Aber wenn diese Darstellungen manche Voreingenommenheit enttäuschen, manchen falschen Schimmer trüben werden, so werden sie doch auch Streiflichter werfen, die in erfreulicher Weise bisher dunkle Partien erleuchten und zur Verbreitung gerechterer Urtheile dienen mögen.

Aber, mein verehrter Herr Redacteur, von vornherein mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ich von der behaglichen Freiheit, welche die Briefform gewährt, den ausgiebigsten Gebrauch zu machen gedenke. Schon Memoirenschreiber, zu denen ich mich allenfalls zählen möchte, besitzen das herkömmliche Recht, von der Geschichte zur Anekdote, von einer Begebenheit zur anderen, vom Ernste zum Scherze springen, von einer Persönlichkeit zur anderen übergehen zu dürfen; um so viel mehr mag eine solche Berechtigung der viel loseren Form des Briefes gewährt werden. Nur ein Versprechen habe ich gegeben und werde ich gewissenhaft halten, nämlich nichts als die Wahrheit zu erzählen, soweit ich Thatsächliches berichte. Mein Urtheil mag oftmals irrig sein oder scheinen, wie ich mich gern bescheide; doch ist es ein auf Beobachtung und Erfahrung gegründetes und mag daher wohl, gerade wo es von der landläufigen Meinung abweicht, auch seinerseits auf Beachtung Anspruch erheben.

Zur Sache. – Ich war anfangs geneigt, gleich mit der Schilderung derjenigen Persönlichkeit und ihrer Umgebungen zu beginnen, welche gegenwärtig die Aufmerksamkeit der Welt mehr als jede andre auf sich zieht und gewiß im vollsten Maße verdient, mit der Zeichnung also des Fürsten-Reichskanzlers und seiner Gehülfen, – ein Thema, das trotz des unleidlichen haut-goût, den das Hesekiel’sche Buch verbreitet hat, jeder Darstellung in unseren Tagen Reiz geben muß und daher zur Eröffnung dieses Bildercyklus ganz passend erscheint. Ich habe aber einen besonderen, vielleicht etwas egoistischen Grund, ein andres Bildchen in den Vordergrund zu schieben, nämlich den, aus meiner Mappe Einiges hervorzuholen, was in diesem Augenblick noch Anziehendes genug enthält, in kurzer Frist aber an Interesse wesentlich verlieren kann. Es betrifft dies den Hader zwischen Manteuffel und Vogel von Falckenstein.

Der General von Manteuffel steht bereits zum dritten Mal unter dem wenig beneidenswerthen Geschick, Gegenstand der heftigsten, ja feindseligsten Angriffe in den öffentlichen Blättern zu sein. Das erste Mal gab die bekannte Twesten’sche Brochüre und das darauf folgende Duell Veranlassung, den General auf eine Weise in die Oeffentlichkeit zu führen, welche für den größten Theil des Publicums eine unliebsame war. Zum zweiten Mal knüpften sich im Jahr 1866 für ihn höchst kränkende Insinuationen an die Abberufung des Generals von Falckenstein von dem Commando der Mainarmee und seine Nachfolge in dieser Stellung. Und endlich sind in diesen Tagen in einer Frankfurter Zeitung die gravirendsten Beschuldigungen gegen ihn erhoben und von allen Blättern wiedergegeben worden. Es ist dies eine sehr auffallende Erscheinung. Herr von Manteuffel ist in den beiden großen Kriegen ein glücklicher General gewesen, und nach den competentesten Urtheilen hochgestellter Officiere, die in beiden Feldzügen unter ihm gedient haben, hat er den klaren Blick, die Entschlossenheit und die Thatkraft, welche den Feldherrn machen, hinlänglich gezeigt. Nach denselben Zeugnissen ist er ein freundlicher Vorgesetzter und um das Wohlbefinden des Soldaten sorgsam bemüht.[2] Nur eine absichtliche Parteilichkeit kann diese Thatsachen in Abrede stellen, selbst wenn den Darstellungen in dem Generalstabswerke über den Krieg von 1866 und in den officiellen Entgegnungen auf den Artikel der Frankfurter Zeitung kein allein entscheidendes Gewicht beigelegt werden sollte. Und doch sind diese sämmtlich von dem Obersten von Verdy verfaßt, von einem Mann also, in dessen unbedingte Glaubwürdigkeit in der ganzen Armee nicht der entfernteste Zweifel gesetzt wird, und dessen Urtheil um so eher maßgebend sein kann, als er in dem Kriege von 1866 in dem Generalstabe Manteuffel’s sich befand. Wenn man auf der andern Seite in Betracht zieht, daß in der Presse wie auf der Tribüne minder glückliche Führer selbst nach Tagen wie der von Trautenau mit der äußersten Schonung behandelt sind, so ist die Frage wohl berechtigt, woher die Abgeneigtheit gegen den einen General stammt, wie sie sich nicht nur in den offenen Angriffen, sondern auch in den fast widerwilligen Zugeständnissen ihrer Unbilligkeit ausspricht. Die Hinweisung auf die frühere amtliche Thätigkeit des Herrn von Manteuffel an der Spitze des Militärcabinets kann wohl manche Abneigung erklären, wird aber schwerlich Jemandem ein erschöpfender Grund einer so weit verbreiteten Stimmung scheinen. Warum stößt sein Nachfolger in dem allerdings höchst delicaten Amt, General von Treskow, nicht auf dieselbe Gegnerschaft, obwohl er nach denselben Principien verfährt? – Auch die streng orthodoxe kirchliche Richtung, welche von dem General allerdings stets lebhaft betont worden ist, kann bei den Gegnern derselben nicht das abfällige Urtheil über seine militärischen Leistungen hervorgerufen haben, wie einige seiner Vertheidiger meinen.

Gönnt man doch anderen Männern in gleicher Stellung den Frieden ihrer religiösen Anschauungen, wie zum Beispiel dem Feldmarschall Grafen Moltke, der den Aufruf zu dem evangelischen Kirchentage im nächsten Monat unterzeichnet, deshalb aber noch keine Angriffe von Seiten Andersdenkender zu erdulden gehabt hat. Es mögen diese Dinge mitgewirkt haben; sie sind aber nicht die alleinigen Ursachen der nicht abzuleugnenden Mißstimmung. Ich glaube diese letztere auf zwei Momente zurückführen zu müssen, die ich mich nicht zu besprechen scheue, weil Herr von Manteuffel der Geschichte angehört und eine Charakteristik, selbst wenn sie Schwächen berührt, dem verdienten Mann keinen Abbruch thun kann.

Herr v. Manteuffel leidet selbst bei seinen Freunden unter dem Vorwurfe der übertriebenen Empfindlichkeit, den er bei ernster Selbstprüfung kaum wird zurückweisen können und der ihm an vielen Stellen die Theilnahme entfremdet hat, auf welche er sonst die gerechtesten Ansprüche erheben kann. Näherstehende hatten diese Schwäche schon früher wahrgenommen; sie mußte aber allgemein erkennbar werden bei Gelegenheit des Duells mit dem Stadtgerichtsrath Twesten, dessen Veranlassung eine so unzureichende war, daß sie nur in der verletzten Eitelkeit des vermeintlich Beleidigten ihre Erklärung findet. Wenn sich Jemand in einer so hervorragenden politischen Stellung befindet, wie es bei Manteuffel als Chef des Militärcabinets der Fall war, so muß er auch darauf gefaßt sein, daß seine amtliche Wirksamkeit einer öffentlichen Kritik anheimfällt, und einen rein sachlichen Tadel hat er zu achten, aber nicht als persönliche Beleidigung anzusehen. Wenn Twesten’s Beurtheilung der amtlichen Thätigkeit Manteuffel’s nicht beifällig ausfiel, so verdiente sie eine Widerlegung, enthielt aber so wenig eine Ehrenkränkung wie die Worte, in denen sie gipfelte: „dieser unheilvolle Mann“.

Nicht angenehm berührten sodann die zahllosen Reden, die Herr v. Manteuffel als Generalgouverneur in den Elbherzogthümern bei jeder denkbaren passenden und unpassenden Gelegenheit hielt. Es ist das natürliche Schicksal solcher Improvisationen, daß sie nicht immer den Nagel auf den Kopf treffen und ihre Verheißungen meist nicht in Erfüllung gehen, ein Schicksal, das den Redenden selbst nicht in ein günstiges Licht zu stellen geeignet [649] ist. So sind denn auch die bekannten „sieben Fuß Erde“ eine leere Redensart geblieben, deren Erinnerung einen fast komischen Eindruck macht. – Ebenso verhielt es sich mit den vielen Proclamationen, Tagesbefehlen, Begünstigungen etc., die Manteuffel in die Oeffentlichkeit schickte. Sie stachen seltsam ab gegen die soldatische Einfachheit und stolze Knappheit in den Publicationen der übrigen Generale, besonders des Kronprinzen und des Prinzen Friedrich Karl, die doch wahrlich nicht weniger zu publiciren hatten als der Führer der Nordarmee. Auch die edle Bescheidenheit Werder’s hob sich in einem solchen Gegensatz vortrefflich ab und rechtfertigte die vielfach laut sich äußernde Freude, daß es dem Helden von Belfort vergönnt war, die entscheidenden Schläge gegen Bourbaki vor Manteuffel’s Ankunft zu führen.

Den unbestreitbarsten Beweis der Neigung zu Ueberhebung und scharfer Empfindlichkeit auf Seiten des Letzteren hat jüngst die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ in ihrem vielbesprochenen Artikel über Herrn von Manteuffel geliefert, dessen Inhalt aller erfolgten Angriffe ungeachtet durchweg wahrheitsgetreu ist. Wie dort ganz richtig angegeben worden, richtete Manteuffel nach dem Friedensschlusse von 1866 an den König ein Schreiben, in welchem sich seine verletzte Eitelkeit auf eclatante Weise documentirte. Daß er nicht den Schwarzen Adlerorden erhalten und bei den Dotationen übergangen worden, machte er zum Inhalte so maßloser Beschwerden, daß die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand als die einzig mögliche Antwort befunden wurde. Wenn Herr von Manteuffel gegen diese Aufstellung die Behauptung durch die Zeitungen bei den Gebeinen seines Vaters erhärtet hat, daß er niemals einen unehrerbietigen Brief an Seine Majestät geschrieben, so ist das wohl etwas sophistisch, denn den bezeichneten Brief geschrieben zu haben, kann er nicht leugnen, und über die Schicklichkeit der Form ist von der höchsten Stelle ein Urtheil gefällt worden, dessen Gerechtigkeit das Publicum den Remonstrationen des Betheiligten zum Trotze zu bezweifeln keinen Grund hat.

Daß eine Empfindlichkeit, die selbst vor einer von dem General nach der eigenen Versicherung auf das Höchste verehrten Autorität nicht zurückweicht, überall, wo ein persönliches Zusammenwirken stattfindet, peinlich berühren muß und es nicht zu derjenigen Anerkennung des Verdienstes kommen läßt, zu welcher die militärische Leistungen berechtigen, liegt auf der Hand, und ich glaube deshalb nicht zu irren, wenn ich dieser Schwäche eines unserer ausgezeichnetsten Feldherrn seine geringe Beliebtheit zum größten Theile zuschreibe.

Wenn noch ein anderer und gewichtigerer Vorwurf gegen Herrn von Manteuffel erhoben wird, so befinde ich mich in der angenehmen Lage, demselben auf das Entschiedenste entgegentreten zu können. Es ist nämlich hin und wieder ein Zweifel an der Aufrichtigkeit seines religiösen Bekenntnisses geäußert worden; ich habe mich aber vergeblich bemüht, irgend etwas zu finden, was eine so schwere Verdächtigung begründen könnte, und theile deshalb vollständig die Ueberzeugung seiner langjährigen Bekannten von der Offenheit seines Charakters und seinem Geradsinn. Wenn Eitelkeit und Empfindlichkeit ihn zu einem Abweichen von den Grundsätzen, die er für recht erkannt und erklärt hat, verlocken, so mag man diese Schwächen tadeln; den Charakter anzugreifen, ist man deshalb noch nicht berechtigt. – Ich will hier einen Vorfall mittheilen, der seiner Zeit zu sehr harten Urtheilen Veranlassung gab, der aber doch meines Erachtens auf eine mildere Auffassung Anspruch hat.

Nicht lange vor seinem Duelle mit Twesten hatte Herr von Manteuffel eine an ihn ergangene Forderung abgelehnt. Die Sache verhielt sich folgendermaßen. Der alte Generaladjutant und General der Cavallerie Graf von der Gröben, ein bekannter Freund des hochseligen Königs, war von seinem Gute Neudörfchen nach Berlin gekommen, um als Mitglied des Herrenhauses der Abstimmung desselben über die Aufhebung der Grundsteuereinheiten beizuwohnen, und meldete sich am Tage vor dieser Abstimmung im Laufe des Vormittags bei dem Könige. Dieser, dem die Durchführung des Gesetzentwurfes sehr am Herzen lag, nahm die Gelegenheit wahr, mit dem Grafen Gröben darüber zu sprechen, und gab ihm die Erwartung zu erkennen, daß er, Gröben, der Vorlage zustimmen werde. Dieser aber erklärte offen, daß seine Ueberzeugung von der Unzweckmäßigkeit oder Unbilligkeit des Gesetzes ihn nöthigen werde, gegen dasselbe zu votiren; es erfolgte hierauf eine einigermaßen erregte Rede und Widerrede, und der Schluß der Audienz war, daß Gröben nicht mit denjenigen Zeichen der Gnade, an die er sonst von Seiten seines königlichen Herrn gewöhnt war, entlassen ward. Einige Stunden später versammelte sich in dem königlichen Palais die zu dem Diner befohlene Gesellschaft; darunter General von Manteuffel und der älteste Sohn des Grafen von der Gröben, der Oberst und Flügeladjutant Graf Georg von der Gröben (jetzt Generallieutenant und in dem letzten Feldzuge als Commandeur einer Cavalleriedivision öfters genannt). Dieser war einer der ersten unter den Gästen, die in dem Empfangszimmer auf den Eintritt des Königs harrten; Herr von Manteuffel erschien etwas später und trat, als er den Grafen Gröben erblickte, mit der Frage an ihn heran:

„Sie hier? Wissen Sie nicht, was Ihrem Vater heute passirt ist?“

„Ich bin hierher befohlen worden,“ erwiderte Gröben.

„Es ist unpassend für den Sohn hier zu erscheinen nach dem, was heute dem Vater widerfahren ist,“ entgegnete Manteuffel. Diese Aeußerung kann ich nicht wörtlich wiedergeben, stehe aber für den Sinn.

Der Oberst Graf Gröben fand in diesem mit der militärischen Disciplin in keinem Zusammenhange stehenden Verweise eine Beleidigung und forderte den General von Manteuffel; dieser aber wies die Forderung mit den Worten zurück:

Ich bin ein Christ.“

Alle Achtung vor dem Manne, der den Muth hat, seiner christlichen Ueberzeugung gemäß ein Duell von der Hand zu weisen, insbesondere wenn er als Officier durch diese Handlungsweise mit den Ansichten seiner Standesgenossen in Conflict tritt, obwohl man in dem vorliegenden Falle zu der Bemerkung geneigt sein möchte, daß der Christ vor Allem jede Kränkung des Ehrgefühls eines Anderen zu vermeiden habe. Aber wie verhält sich das Benehmen des Generals von Manteuffel bei dieser Gelegenheit zu seinem Auftreten Twesten gegenüber? Darf der Christ die unter Officieren gebräuchliche Genugthuung dem von ihm Beleidigten versagen, oder solche fordern, wenn er sich selbst beleidigt glaubt? – Das waren Fragen, die auch Manteuffel’s Freunde einander vorlegten und sie bei der Nachricht von dem Twesten’schen Duelle in hohem Grade stutzen machten. Daß ein solches Abweichen von einem bei ernster Gelegenheit erklärten Grundsatze leicht zu einem nachtheiligen Urtheile über die Charakterfestigkeit und die Aufrichtigkeit des Grundsatzes führen mußte, ja daß das ganze Christenthum des Generals angezweifelt wurde, ist sehr natürlich; und doch wird die Annahme richtig sein, daß in dem Twesten’schen Falle nur der Stachel der gekränkten Eitelkeit Herrn von Manteuffel getrieben hat, von dem als recht erkannten Wege abzuweichen.

Ich will doch gleich noch bemerken, daß der Streit zwischen Manteuffel und Oberst Gröben friedlich beigelegt wurde. Auf die ablehnende Antwort des Ersteren trug der Letztere die Sache dem Könige vor und dieser, der in seiner großen Herzensgüte gewiß längst bedauerte, einem alten treuen Diener nicht seine volle Gnade gezeigt zu haben, befahl, den Zwiespalt ruhen zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, daß eine andere Duellgeschichte von europäischem Rufe, welche wie die Twesten-Manteuffel’sche auf politischem Terrain spielte – das BismarckVirchow’sche Drama, gleichfalls schon ein Vorspiel gehabt hatte, welches meines Wissens nur mit sehr bescheidenen Schritten die Bühne der Oeffentlichkeit betreten hat, ein allgemeines Interesse aber keineswegs entbehrt. Es mag daher auch einen bescheidenen Raum in diesen bunten Blättern einnehmen.

In dem Abgeordnetenhause hatte Virchow in einer Rede über den damals vielbestrittenen Militäretat sich gegen den Kriegsminister Herrn von Roon, der so eben die Regierungsvorlage vertheidigt hatte und sich noch am Ministertische befand, direct gewandt und energisch gegen ihn und die ganze Armeereorganisation argumentirt. Die von dem Redner gebrauchten Worte sind mir nicht mehr erinnerlich, können aber die Schranken der Redefreiheit und die Rücksichten, die dem Eifer der Improvisation gezollt werden müssen, nicht überschritten haben, da der zunächst Betheiligte, der Herr Kriegsminister selbst, zu einer Rüge oder anderen Schritten gegen Virchow keine Veranlagung nahm. Sehr unerwarteter Weise fand aber eine Intervention in [650] diesem jedenfalls eminent persönlichen Procedere der beiden Herren von einer dritten Seite statt. Zwei Tage nach dem beregten Vorfalle, als die Hitze der Debatte längst verflogen war und Virchow’s, des Vielbeschäftigten, Gedanken sich bereits in ganz anderen Gegenständen bewegten, erhielt er ein Schreiben von dem ältesten Sohne des Kriegsministers, einem Jünglinge von 23 Jahren, der damals als Lieutenant bei dem ersten Garde-Regiment zu Fuß stand, worin dieser erklärte, daß er die von Virchow gehaltene Rede in den Zeitungen gelesen, durch die von dem Redner beliebten Ausdrücke die Ehre seines Vaters für verletzt erachte und sich daher genöthigt sehe, Genugthuung mit den Waffen in der Hand zu verlangen, falls sich der Beleidiger nicht zu einer befriedigenden Ehrenerklärung und einem Widerrufe der beleidigenden Redewendungen herbeilassen wolle. Offenbar hätte von Seiten Virchow’s die correcte Antwort in einer Zurückweisung des unbetheiligten, also auch unberechtigten Dritten bestanden, vielleicht unter Beifügung einer kurzen Belehrung über die bei Ehrenmännern übliche Sitte, Ehrensachen unter einander ohne Einmischung Dritter zu schlichten. Man sollte auch glauben, daß die Persönlichkeit des Kriegsministers Herrn Virchow um so mehr zu dieser allein richtigen Erwiderung hätte veranlassen müssen, als doch wohl er so gut wie alle Welt angenommen haben wird, daß der Minister von Roon einerseits ein competenter Richter über seine eigene Ehre ist und andererseits keines Beistandes bedarf, um sie zu hüten. – Wie dem aber sein mag, der ruhige, medicinisch nüchterne Virchow schlug einen anderen Weg ein; er antwortete dem jungen Manne, daß er bei seiner Rede im Abgeordnetenhause lediglich die Sache, nicht eine Person im Auge gehabt habe, daher auch keine Beleidigung des Kriegsministers von ihm beabsichtigt und er bereit sei, dies bei einer passenden Gelegenheit in einer der nächsten Sitzungen der Kammer zu erklären. Es wurde sodann im Verlauf dieser Verhandlungen ein Tag festgesetzt, an welchem Virchow sich in der von ihm bezeichneten Weise zu äußern versprach, und er kam der übernommenen Verpflichtung auch in der Art nach, daß er gleich nach Eröffnung der Sitzung das Wort zu einer persönlichen Bemerkung ergriff, sein Bedauern darüber aussprach, daß in seiner neulichen Rede eine Kränkung der Ehre des Kriegsministers gefunden sei, und daraus Veranlassung zu der Versicherung entnahm, es habe ihm eine Beleidigung seines parlamentarischen Gegners durchaus fern gelegen.

Da ich vorher von Herrn von Manteuffel gesprochen, so ist der Uebergang zu General Vogel von Falckenstein nicht blos natürlich, sondern durch eine merkwürdige Reihe von Verkettungen fast geboten. – Die kriegerischen Thaten des berühmten Heerführers sind bekannt und finden in militärischen Relationen ihre Würdigung. Hier möchte es nur am Orte sein, über zwei auffällige Thatsachen sich auszusprechen, nämlich die Abberufung Falckenstein’s von der Mainarmee im Jahre 1866 und seine Verschiebung noch nicht zwei Jahre nachher.

Die Gründe, welche seine Abberufung von dem Commando der so glänzend bis nach Frankfurt geführten Armee veranlaßten, sind in aller Kürze in dem oben erwähnten Artikel der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ angedeutet worden. Zur Ergänzung des dort Gesagten mag das Folgende dienen.

Am Tage vor der Schlacht bei Langensalza hatte Falckenstein dem General Flies, der mit seinem kleinen Corps dem überlegenen Feinde gegenüberstand, den Befehl ertheilt, „dem Feinde immer an der Klinge zu bleiben“, und war dann, obwohl die unmittelbare Nähe des Feindes eine bekannte Sache war, mit der Eisenbahn nach Kassel gefahren, wo er sich zur Ruhe begab. Er verließ auch an dem folgenden Tage sein Nachtquartier so spät, daß er auf dem Schlachtfelde erst nach Entscheidung des Treffens anlangte. Sowohl der unklare Befehl, „dem Feinde immer an der Klinge zu bleiben“, welcher es den General Flies als seine Aufgabe erkennen ließ, den Feind sofort und ohne Rücksicht auf die Ueberzahl anzugreifen, als auch die Entfernung von dem Punkte der Entscheidung und die Nachtruhe in Kassel wurden in dem großen Hauptquartier als die Veranlassungen zu dem Unglück der preußischen Waffen an jenem Tage betrachtet, und es scheint schon von diesem Zeitpunkte ab ein Mißtrauen gegen Falckenstein Platz gegriffen zu haben. Eine Aeußerung desslben war sogleich in der allerdings auffälligen Thatsache zu finden, daß die dem Tage von Langensalza folgenden Verhandlungen mit dem König Georg über die Capitulation des hannöverschen Heeres nicht dem Höchstcommandirenden, Falckenstein, sondern dem unter ihm befehligenden General Manteuffel telegraphisch übertragen wurden. Der Erstere hatte es als selbstverständlich angesehen, daß nur er zum Abschluß dieser Capitulation ermächtigt sei, und die bezüglichen Festsetzungen mit dem gegnerischen Heerführer in der That bereits vereinbart, als sein Untergebener Manteuffel mit der Vollmacht aus Berlin erschien und kraft derselben das getroffene Abkommen in mehreren wesentlichen Punkten modificirte. Hierdurch wurde ein Mißverhältniß zwischen den beiden Generalen hervorgerufen, welches sich während des ganzen Feldzugs vielfach ausprägte, Manteuffel zu der wiederholten Beschwerde, von dem Engagement mit dem Feinde absichtlich fern gehalten zu werden, Anlaß gab, und unzweifelhaft bis heute nachwirkt.

Ein zweiter gegen den General Falckenstein erhobener Vorwurf lautete dahin, daß er Befehle, die ihm aus dem Hauptquartier zugekommen, nicht oder nicht pünktlich befolgt habe. Ob alle Details, die in dieser Beziehung geflüstert wurden, sich der Wahrheit gemäß verhielten, zum Beispiel, daß Falckenstein seine Abberufungsordre einige Zeit unbeachtet in der Tasche behalten, lasse ich dahingestellt sein; so viel aber ist gewiß, daß die Unzufriedenheit mit ihm eine solche Höhe erreicht hatte, daß ein Kriegsgericht über ihn aburtheilen sollte. Mit diesem Vornehmen fiel in sehr unbequemer Weise zusammen, daß das falsch unterrichtete Publicum Falckenstein als einen von einer Hofpartei mißhandelten Mann ansah und sich sehr entschieden auf seine Seite stellte, während zugleich in dem Abgeordnetenhaus für ihn Antheil an der Dotationssumme gefordert wurde.[3] Es drohten solchergestalt höchst unerquickliche Erörterungen, die dem glänzenden Kriege einen gewiß allerseits unerwünschten Abschluß gebracht hätten. Dieser peinlichen Lage machte Graf Eulenburg ein glückliches Ende, indem auf sein Zureden Falckenstein zu dem König ging und um eine Vergebung bat, die ihm leicht und gern gewährt wurde. Er erhielt die Dotation und das Commando des ersten Armeecorps in Königsberg.

Seinen Abschied von dieser Stelle, der bei der geistigen und körperlichen Frische des Generals Aufsehen erregen mußte, erhielt derselbe auf seinen Antrag; die Motive zu letzterem aber glaubt man in Folgendem zu finden. Falckenstein soll in den oft wiederholten Fehler gefallen sein, in dem persönlichen Verkehr und mündlich zu loben, später aber schriftlich das vorher Gelobte zu tadeln, ein Verfahren, welches in allen Stellungen bei den Untergebenen böses Blut macht und das in dem militärischen Verhältnisse nothwendige Vertrauen des Untergebenen in den Vorgesetzten erschüttern muß. So hatte Falckenstein bei seiner ersten (und einzigen) Inspicirung der zweiten Division in Danzig um Kreise der Generale und Stabsofficiere seine volle Anerkennung der vorgeführten Leistungen ausgesprochen; sehr bald aber wurde ruchbar, daß er in seinem Berichte an den König die Division scharf getadelt hatte, und in Folge dessen griff eine solche Mißstimmung gegen ihn Platz, daß er zum zweiten Mal gar nicht mehr nach Danzig gekommen ist. In dieser Art war seine Stellung in Königsberg unhaltbar geworden und er trat freiwillig von derselben zurück.

Daß in beiden Fällen gerade General von Manteuffel, den er als einen Widersacher zu betrachten berechtigt zu sein glaubte, sein Nachfolger wurde, scheint die Verbitterung gegen diesen genährt zu haben, wie aus seinen jüngsten Expectorationen hervorgeht. Bei beiden Gegnern aber, wenn sie solche sein wollen, können wir mit Liebe und Dankbarkeit ihrer tapferen Thaten zu des Vaterlandes Wohl und Ehre gedenken, ihre Schwächen aber gern vergessen. Es würden diese auch hier keine Erwähnung gefunden haben, wenn die Herren sie nicht selbst öffentlich in die Erörterungen gezogen hätten.

  1. Unter diesem Titel und aus der Feder eines in den höheren Kreisen verkehrenden Mannes werden wir eine Reihe Charakteristiken der maßgebenden Persönlichkeiten des deutschen Reiches bringen. Wir glauben, unsere Leser besonders darauf aufmerksam machen zu dürfen.
    D. Red.
  2. Dem wird freilich von anderer Seite geradezu widersprochen. Officiere, welche unter dem General gedient, rütteln mit Entschiedenheit an der versuchten Glorificirung Manteuffel’s – als eines glücklichen Generals und bestreiten ebenso die Beliebtheit desselben bei seinen Officieren und Soldaten.
    D. Red.
  3. Seinem ungerechtfertigten Vorgehen gegen Jacoby hat es der Herr General zu danken, daß diese Popularität rasch geschwunden ist.
    D. Red.