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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Krieger weggerufen; sie sind Alle auf den Kriegspfad gegen ihre weißen Brüder gegangen. Sie haben nur Weiber und Kinder und alte Männer zurückgelassen. Jetzt kann der rothe Mann seine alten Jagdgründe wiedernehmen. Wir wollen Alles nehmen, was uns gehört; wir wollen die Bleichgesichter tödten und ihre Häuser verbrennen. Wir wollen nichts schonen, denn sie haben uns nicht geschont. Dann wird der rothe Mann wieder der Herr des Landes sein bis an das große Wasser.“

Little Crow setzte sich. Tiefes Schweigen folgte seiner Rede. Nach einer Weile erhob sich Inkpaduta (der rothe Punkt), ein alter Indianer von abschreckender Häßlichkeit, der vor fünf Jahren mit seiner Bande eine Reihe scheußlicher Mordthaten begangen hatte und seitdem als Geächteter im fernen Westen umhergestreift war. „Die keine Krähe hat wahr gesprochen,“ sagte er, „die Stunde ist da, wo wir Rache nehmen können, und wir wollen’s thun; kein Bleichgesicht soll leben, wo der Fuß des rothen Mannes hinkommen kann; ihr Blut soll fließen wie die Wasser des Minnesota!“

„Die kleine Krähe ist ein weiser Häuptling und ein großer Krieger,“ sprach Cut Nose (die geschlitzte Nase), ein riesiger Wilder im vollen Kriegerschmuck, die Adlerfedern im aufgebundenen Haar. „Die kleine Krähe hat eine kluge Zunge und sieht weit wie Manito; sie muß uns sagen, wohin wir gehen sollen, die Bleichgesichter zu tödten, und wir wollen ihr folgen.“

Ein dumpfes Beifallsgemurmel durchlief bei diesen Worten die unheimliche Versammlung. Dann erhob sich Little Crow nochmals und sprach:

„Die kleine Krähe will Euch führen, und Ihr sollt Scalpe genug haben, Eure Wigwams zu schmücken, und Blut genug, Euch satt zu trinken. Morgen, wenn die Sonne aufgeht, sammelt Ihr Euch bei der Agentur und fallt über die Weißen her, ehe sie aus dem Schlafe sind. Die Häuser verbrennen wir. Dann zerstreut Ihr Euch nach allen Richtungen und tödtet und verbrennet Alles. Beim Fort sammelt Ihr Euch wieder; wir wollen es überwältigen und verbrennen; es sind nur wenig weiße Krieger drinn. Darauf ziehen wir durch’s ganze Minnesotathal hinunter, tödten die Männer und nehmen die Weiber und Kinder fort als Gefangene. Die treiben wir weit nach Westen; dann können uns die Bleichgesichter nichts thun, denn sie lieben ihre Weiber und Kinder. Und jetzt an’s Werk! Die Nacht ist bald dahin; dann kommt der Tag der Rache!“

Little Crow hatte seine letzten Befehle gegeben; schweigend, wie sie gekommen, verschwanden die dunkeln Gestalten in der dunkeln Nacht.

(Schluß folgt.)




Meine Schuljahre.
Von Gottfried Kinkel.
(Geschrieben Winter 1849–50 im Gefängniß zu Naugardt.)
II.

Mein Verhältniß zu den vorgenannten und zu allen übrigen Lehrern, deren ich heute noch mit Dank und Liebe mich erinnere, ist stets ein klares gewesen, und sie Alle haben später, da ich als College in ihren Kreis eintrat, ihren ehemaligen Schüler mit Herzlichkeit zum Genossen aufgenommen. Das Gesetz habe ich immer geachtet, und ihr Wille war mir an Gesetzes Statt. Selbst auf die Gefahr hin, von einem oder dem andern Mitschüler darum gehaßt oder verachtet zu werden, habe ich den Lehrern stets auf ihre Fragen die reine Wahrheit entgegengebracht und darf wohl sagen, daß sie nicht viele Schüler gehabt haben, die ihnen ergebener und gehorsamer gewesen sind als ich.

An dieser Stelle will ich eines überaus barbarischen Gebrauches gedenken, welcher unter den Bonner Gymnasiasten seit grauer Vorzeit sich fortgepflanzt hatte; denn da er in unserm Geschlechte ausstarb, bin ich ihm doch seine Leichenrede schuldig. Auf den höhern Schulen giebt es zwischen sämmtlichen Classen keine so tief einschneidende Kluft, als zwischen Tertia und Secunda. Bis in jene Classe wird der Junge als Lümmel betrachtet und behandelt; der Secundaner aber hat Ehrgeiz und Selbstgefühl. Man redete ihn wenigstens zu meiner Zeit noch mit Sie an; Knabenspielereien hörten auf, weil Einer sie dem Andern als unpassend verwies; in den häuslichen Studien wurde eine größere Freiheit verstattet. Wie nun auf den Universitäten die Füchse gehänselt werden, so war es in Bonn auch Gymnasiastensitte, die Pforte zu den obern Classen den Eintretenden etwas mit Dornen zu verzäunen. In jedem Schulsaal steht ein Schrank mit mehreren Gefächern, zu dem ein besonders braver Schüler den Schlüssel anvertraut erhält; er dient zum Aufbewahren von Karten, Kreide, Schwämmen und andern Schulutensilien. Hin und wieder sperrte man auch Maikäfer hinein, die dann aus einer kleinen Oeffnung hervorkrochen und durch ihr Gesumse in langweiligen Lehrstunden uns ein wenig aufmunterten. Nun war es unverbrüchlicher Grundsatz, daß jeder neu eingetretene Untersecundaner einmal oben auf diesem Schranke sitzen müsse; das war gleichsam das Maurerzeichen seiner Aufnahme in die Classe. Hätten wir bei unserm Aufsteigen aus der Tertia gutwillig diesem Gebrauche uns unterworfen, so würde er vielleicht sofort verschollen sein, allein wir setzten unsererseits eine Ehre darin, demselben so lange wie möglich uns zu entziehen, und der galt unter Allen für den tapfersten Helden, der zuletzt auf den Schrank hinauf mußte. Denn einmal kam es an Jeden: die Obersecunda hätte sich eher Mann für Mann in den Carcer sperren lassen, als dies einem von uns geschenkt. In der Regel wurde das Opfer voraus bestimmt. Waren die Lehrstunden zu Ende, so drängten sich ein paar Obersecundaner an den Bezeichneten heran und hinderten ihn, hinter dem Lehrer her zu entschlüpfen; alsdann faßten ihn zwanzig Fäuste und hebelten ihn oft mit wunderbarer Behendigkeit auf den neun Fuß hohen Kasten herauf. Auch mir war mein Tag bestimmt; beim Ausgang sah ich ein paar Geierkrallen nach mir sich öffnen; entsetzt rückwärts blickend sprang ich in die Thür und stürzte auf den Professor Schopen, der noch nicht heraus war, aber durch diesen Prellstoß einen Schritt weit auf den Gang geworfen wurde. Erstaunt sah er sich um, da er gerade von mir keine solche Ungezogenheit erwartete, aber ein Blick auf mein erschrecktes Gesicht und auf meine Verfolger belehrten ihn, daß ich nicht die erste Ursache gewesen war, und mit Lachen amnestirte er mich. Für diesmal entschlüpfte ich unter seinem Schutz, aber bald darauf erreichte auch mich das Geschick, und fast mit Lebensgefahr sprang ich von der Höhe des Schrankes wieder herunter. Nun waren aber ein paar äußerst starke Burschen bei unserer Partei, mit denen die Gegner so schnell nicht fertig wurden. Einen Sträubenden so hoch in die Luft zu heben, war immer eine Aufgabe, die Schweiß und oft noch mehr kostete; denn wenn der Gefangene oben erst festsaß und seine Peiniger nicht blitzschnell zurücksprangen, so konnte er mit seinen Absätzen höchst ungemüthlich auf ihre Hirnkasten und Nasenbeine einwirken. Jene noch nicht bezwungenen Helden stellten uns nun vor, daß die Obersecunda nur deshalb unfehlbar ihren Zweck erreiche, weil sie stets zusammenhalte, während bei uns der Einzelne sich immer aufzusparen suche. So kam auch zwischen uns ein Schutzbündniß zu Stande. War der Kampf nun bisher eine Art Carlistenkrieg gewesen, wo der einzelne Reisende festgehalten und zur Auszahlung eines Lösegeldes gezwungen wird, so boten wir uns jetzt eine offene Schlacht auf dem Blachfelde, und diese hub auch wirklich eines Morgens um elf Uhr im Schulsaale an. Der Streit war lang und grimmig. Es fehlte auch an Zuschauern nicht, denn die ganze Prima trat zu uns ein und sah wie Achill’s Myrmidonen in thatloser Bewunderung diesem homerischen Schlachtgewühle zu. In der That trennte erst Blut die Kämpfenden. Doch hätten wir am folgenden Morgen das Werk neu angehoben; allein einer der Primaner verrieth uns. Der Classenlehrer stellte eine sehr scharfe Untersuchung an, und die theils vollzogenen, theils angedrohten Strafen waren so streng, daß selbst der vom Alterthume geweihete Brauch gegen sie nichts mehr vermochte. Damit war denn die Kette der Ueberlieferung einmal zerrissen. Es gab nun Untersecundaner, die nicht auf dem Schranke gesessen hatten, und als wir im folgenden Jahre Pfleger der Sitte hätten werden sollen, da gaben wir sie freiwillig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_097.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)