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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 14.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Darauf war ich in der That nicht gefaßt!“ sagte der Baron endlich langsam. „Er selbst? Das hatte ich nicht erwartet!“

„Gleichviel!“ rief Curt in aufflammender Zärtlichkeit, „wenn er Dich uns nur zurückgiebt, Eugenie! Noch hat Keiner von uns sich des Erbtheils, des Besitzes freuen können, weil wir Dich unglücklich wußten um unsertwillen. Erst wenn Du zu uns zurückkehrst, wird der Vater, werden wir Alle aufathmen können in dem neuen Leben; Du hast uns überall darin gefehlt!“

Er schlang den Arm um die Schwester, und diese verbarg einige Secunden lang das Gesicht an seiner Schulter, aber das schöne Antlitz war so todtenbleich und todtenkalt, wie er es einst am Altar gesehen hatte, und doch sollte sie jetzt in das Vaterhaus zurückkehren, dem sie damals entrissen wurde.

Der Baron blickte mit einiger Befremdung auf seine Tochter, die sich jetzt emporrichtete und mit dem Taschentuche über die Stirn fuhr.

„Verzeihe, Papa, wenn ich Dir heute seltsam erscheine. Ich bin nicht ganz wohl, wenigstens nicht wohl genug zu einem Gespräche über diesen Gegenstand. Du mußt mir erlauben, mich zurückzuziehen, ich –“

„Du hast zu viel gelitten in der letzten Zeit,“ ergänzte der Vater weich; „ich sehe es, mein Kind, auch wenn Du es mir nicht eingestehst. Geh’ und überlass’ Alles meiner Sorge! Ich werde Dich schonen, so viel es nur möglich ist –“

„Das ist doch eigenthümlich, Papa!“ meinte der junge Baron, als die Thür sich hinter seiner Schwester geschlossen hatte. „Begreifst Du diesen Berkow? Ich nicht!“

Windeg machte mit gerunzelter Stirn einen Gang durch das Zimmer. Für ihn mischte sich in das Befremdende dieser Eröffnung noch etwas Beleidigendes. Der stolze Aristokrat hatte es im Grunde ganz erklärlich gefunden, daß ein Emporkömmling, der über Millionen gebot, weder Intriguen noch Opfer scheute und Alles daran setzte, um eine Verwandtschaft mit ihm zu erzwingen, wenn er diesen Zwang auch nur mit Haß und Verachtung lohnte, aber er hatte es seinem bürgerlichen Schwiegersohne nie verziehen, daß dieser die Hand einer Baroneß Windeg mit einer Gleichgültigkeit empfing, als handle es sich um eine ganz gewöhnliche Heirath, daß er sich auch späterhin ebenso unempfindlich gegen diese Ehre zeigte, als sein Vater empfänglich dafür. Und jetzt trat er, trat Arthur Berkow von dieser Verbindung zurück, noch ehe man ihn dazu veranlaßt hatte. Das war zu viel für den Hochmuth eines Windeg, der bereit gewesen war, sich seine Tochter zurückzuerkämpfen, der es aber nicht ertragen konnte, sie von der Großmuth oder der Gleichgültigkeit ihres Gatten zurückzuempfangen.

„Ich werde mit Berkow sprechen,“ sagte er endlich, „und wenn er wirklich einverstanden ist, woran ich trotz Eugeniens Erklärung noch immer zweifle, so muß die Sache unverzüglich in’s Werk gesetzt werden!“

„Unverzüglich?“ fragte Curt. „Sie sind seit kaum drei Monaten vermählt, und ich glaube, sie haben Recht, einen allzu frühen und allzu plötzlichen Bruch zu vermeiden.“

„Gewiß haben sie das, und ich würde ihnen unbedingt beistimmen, hätte ich nicht meinerseits dringende Gründe, die Angelegenheit zu beeilen. Es steht hier auf den Werken nicht Alles, wie es sollte, ich habe von befreundeter Hand einen Wink erhalten, daß die jetzt ausgebrochene Bewegung unter den Arbeitern dem so unermeßlich geglaubten Berkow’schen Vermögen eine tödtliche Wunde versetzen könnte. Bricht es wirklich zusammen, so kann seine Gattin ihn gerade in dem Momente nicht verlassen, der Welt gegenüber kann sie es nicht. Wenn wir auch wahrhaftig ernstere und tiefere Gründe zur Trennung haben, man würde jenen Grund annehmen, und das darf nicht sein! Besser, wir nehmen das Auffallende eines so frühen Bruches auf uns, als daß wir uns die Hände binden, wenn die gefürchtete Katastrophe wirklich eintritt. Ein solches Unternehmen, wie dies hier, fällt nicht in wenig Wochen, dazu gehört ein Jahr mindestens, und in der Hälfte dieser Zeit kann die Scheidung durchgesetzt werden, wenn er uns keine Schwierigkeiten macht. Eugenie muß in unser Haus zurückgekehrt, muß frei sein, ehe man in der Residenz ahnt, wie hier die Verhältnisse liegen.“

„Ich dachte, die Schwester würde unseren Plan weit lebhafter und freudiger erfassen,“ meinte Curt gedankenvoll. „Freilich, wenn sie schon vorher das Gleiche beschlossen hatte, so war ihr die Idee nicht neu, aber trotzdem ist sie so kalt und stumm, als läge ihr das Alles unendlich fern, als handle es sich dabei gar nicht um ihre eigene Freiheit.“

Der Baron zuckte die Achseln. „Sie leidet bei dem Gedanken an das unvermeidliche Aufsehen, an die Weitläufigkeiten und Unannehmlichkeiten des Processes, die ihr nicht erspart werden können! Es ist immer ein bitterer Schritt für eine Frau, solch eine Scheidung, und dennoch muß er gethan werden. Wenigstens haben wir in diesem Falle die ganze Residenz auf unserer Seite!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_219.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)