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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Kennst du den Marsch? Erklinget die Weise,
Dann zuckt es elektrisch durch Kinder und Greise;
Den Buben und Mägdelein fährt’s in die Glieder,
Die alten Klänge – sie sind es wieder.
Und sitzen die ernsten Männer beisammen,
Und hören sie tönen, da bricht in Flammen
Heraus die alte verklungene Lust,
Der Jubel wird los in jeglicher Brust;
Die ernstesten Alten sind wieder jung,
Das Auge lacht in Begeisterung,
Sah’s vorher auch noch so finster und barsch;
Das ist der Ulmer Fischermarsch.

Und ob auch durch die Neugestaltung Deutschlands unser Verhältniß zu Oesterreich ein ganz anderes geworden ist, und ob auch Ulm zu den gut deutsch-national gesinnten Städten sich zählen darf, so hat sich in seiner alten Liebe zur Kaiserstadt Wien an seiner Donau nichts geändert, und noch jetzt wie zuvor singt der Schiffer nach den Klängen des Fischermarsches:

Willkommen du Fluth, die mein Schifflein bewegt,
Es munter hinunter nach Oesterreich trägt.
Den Knaben schon zog’s auf die wogende Bahn,
Wie der Vater gethan, sich zu schaukeln im Kahn.
O du Donau, dich lieb’ ich treuherzig und fromm,
Du führst mich zu Freunden. Sie rufen: Willkomm!

Bei einer solchen Stimmung in Ulm kann es nicht befremden, wenn fast Jeder in dem Gruß der Wiener: „Auf Wiedersehn in Wien“ mehr als eine Mahnung erblickt, und daß in allen Schichten der Bevölkerung der Wunsch und Wille vorwaltet, die Wiener Weltausstellung zu besuchen. Da fiel etwas abkühlend in die Begeisterung das Gerücht von einer ganz ungeheuren Preissteigerung der Quartiere in den Wiener Gasthäusern während der Ausstellungszeit. Das Schreckgespenst der Wohnungsnoth trat bedrohlich vor das ersehnte Paradies.

Die Fahrt selbst macht wenig Bedenken. Bei solchen Veranlassungen pflegen die Eisenbahnverwaltungen ein Uebriges zu thun und die Reisenden um eine extra ermäßigte Taxe zu befördern. Auch weiß ein Jeder, daß man überall, namentlich auch in Wien, stets seinen Hunger und Durst in jedem Bierhause, jeder Weinstube, jeder Garküche, jeder Restauration um ein Billiges stillen kann. Wo aber soll man bei der Völkerwanderung, die voraussichtlich zur Weltausstellung wallfahrten wird, in Wien ein Unterkommen finden? Was wird bei dem Massenandrang in der Noth nicht Alles zum Logiren mißbraucht werden! Mit wem wird man zusammengerathen? Und welch enorme Preise wird man schließlich zahlen müssen!

Die Ulmer Schiffer, die während der Ausstellungszeit nach Wien zu fahren haben, blieben von allen diesen Sorgen unangefochten. Sie finden ja Herberge auf ihrem Schiffe. Sie können allenfalls auch den einen oder andern Freund bei sich aufnehmen. Wo aber sollen die Uebrigen bleiben?

Da war es zunächst der Präsident von Steinbeis, der auf diese Frage die praktische Antwort gab: „Baut Wohnungsschiffe!“ Dieser Rath eines Mannes, der seit Jahrzehnten überall in ganz Europa, wo immer eine Ausstellung auftauchte, als Commissär der württembergischen Regierung erschien und wegen seiner Umsicht und Erfahrung freudig willkommen geheißen wurde, schlug alsbald zündend ein. Es traten sofort fünf Ulmer zu einem Comité zusammen. Zwei davon tragen die Namen uralter Ulmer Schifferfamilien: Hailbronner und Molfenter. Sie sind im Comité die Sachverständigen, was den Bau der Schiffe betrifft. Ein dritter Ulmer, Gustav Kuhn, im Besitze eines renommirten Aussteuergeschäfts, war der geeignete Mann, für die erforderlichen Betteinrichtungen zu sorgen. Die anderen Zwei, die dieses Fünfer-Comité bilden halfen, sind Apotheker Dr. Wacker und Fabrikant Max Neuburger.

Anfangs waren sie Willens, das ganze Unternehmen auf ihre eigene alleinige Rechnung und Gefahr auszuführen und die Schiffe vorzugsweise ihren Ulmer Landsleuten zur Verfügung zu stellen. Doch kaum war ein Wort davon in die Oeffentlichkeit gedrungen, als auch schon Zustimmungen, Ermunterungen, Rathschläge und Anmeldungen von allen Seiten einliefen.

Das Comité mußte sich sagen, daß das Gelingen des Unternehmens hauptsächlich davon abhänge, ob die österreichische Regierung den Wohnungsschiffen einen günstigen Platz zuweisen würde; es mußte sich ferner sagen, daß es auf die Unterstützung weder der österreichischen noch der württembergischen Regierung rechnen

Ulmer Wohnungsschiffe zur Wiener Weltausstellung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_242.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)