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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Ich dank’ schön,“ sagte er, „Du meinst es schon ein Bissel gar zu gut mit mir. Mein Vater ist der reichste Mann und der Bauernhof, den ich einmal kriege, der schönste in der ganzen Gegend. Mir ist das Haus auf den Buckel gewachsen wie einem Schnecken; ich kann nit heraus.“

Die Tänzerin sah ihn mit den mächtigen Augen wehmüthig an; sie waren von einer Thräne verschleiert. Durch den Sinn der Landfahrerin ging, vielleicht zum ersten Male, das verlockende Bild einer festen, trotz ihrer Beschränkung geliebten Heimath, das Bild eines Glückes, das in ihren wenn auch noch so eng umschriebenen Grenzen liegt. Sie faßte abermals nach Wolf’s Hand, die er ihr auch ließ; aber mit der andern schlug er schon den Vorhang zurück, der den Ausgang verhüllte.

„So lebt wohl!“ sagte die Tänzerin, „mög’ es Euch recht gut gehen und Ihr Alles erreichen, was Ihr wünscht! Laßt es Euch nicht gereuen, der wandernden Komödiantin eine Freude gemacht zu haben!“

Das Tuch fiel zwischen ihm und ihr nieder. Er wandte sich um und – stand vor Th’res. Nach langem vergeblichen Warten war es ihr wie ein Blitz durch den Sinn geschossen, er könne wohl gar noch bei den Gauklern sein; sie ging an die Rückseite der Bude und stand wenige Schritte vor dem Abschied nehmenden Paare, das ihr Näherkommen nicht gewahrte.

Ueberrascht, wortlos blickten Wolf und Th’res einander an, aber die Ursache, die sie verstummen machte, war bei Jedem eine verschiedene, ja geradezu entgegengesetzte, bei ihm ein Erschrecken der Freude, bei ihr ein Aufzucken des Entsetzens. In dem Burschen wallte bei Th’resens unvermuthetem Anblicke eine so warme innige Empfindung auf, wie er sie noch nie gekannt hatte, aber Th’res war ihm auch nie so schön vorgekommen, sei es, daß ihm das Lob des Schützenpeters die Augen geöffnet hatte, sei es, daß die Anmuth und liebliche Eigenart ihres Wesens ihm gerade jetzt durch den Gegensatz der trotz aller Aehnlichkeit so sehr von ihr verschiedenen Tänzerin aufgegangen war. Th’res dagegen, die mit einem Herzen voll Sorge, Rührung und Schmerz gekommen, war es bei dem Anblicke, der ihr geworden, als ginge ein Eishauch über sie dahin, der, wie im Frühling der Reif, alle die zarten Knospen und Keime versengte und welken machte, die sich eben angeschickt, zu Blüthen aufzugehen. War es ihr auch unsäglich schwer gefallen, den Burschen, den sie vor Allen hoch hielt, in der Bude unter den Gauklern wie Einen von ihnen zu erblicken, so hätte sie das vielleicht doch zu erklären vermocht, sie hätte es vielleicht sogar über’s Herz gebracht, es zu entschuldigen, aber daß sie ihn jetzt wieder antraf, Hand in Hand und in vertrautem Gespräch mit der Landstreicherdirne, erfüllte sie mit unsäglicher Bitterkeit. Einen Augenblick war sie gesonnen, ihr Vorhaben ganz aufzugeben und Wolf dem Schicksale zu überlassen, das er sich selber bereitete. Der herb trutzige Zug ihres Wesens gewann die Oberhand in ihr und machte den Blick kalt und den Mund so streng, als hätten Beide dem Lächeln für immer Valet gesagt.

„Ja, seh’ ich denn recht,“ rief Wolf, der sich zuerst sammelte und mit dem Ausdrucke strahlender Freude auf sie zueilte. „Du bist da, Th’res? Bist Du’s denn wirklich? Das ist schön, das ist lieb von Dir, das … das … ich kann’s Dir gar nicht sagen, wie mich das freut, daß Du auch auf den Markt hereingekommen bist und wir uns da so schön treffen.“

Er streckte ihr die Hand zum Gruße hin, aber mit einer Hast, die an Abscheu grenzte, zog sie die ihrige zurück; sie wollte die Hand nicht berühren, die er noch eben vor ihren Augen der Komödiantin gereicht hatte.

„Ja, wir haben uns recht schön ’troffen,“ sagte sie, „ich bin aber nit allein da; der Vater ist auch mit herein; ich glaub’, er hat Dich gesucht.“

„Weil ich nit heim’kommen bin,“ rief Wolf erbleichend, „ich hätt’ mir’s denken können. Ich weiß selber nit recht, warum ich’s gethan hab’; es ist halt so gekommen, Eines aus dem Andern. Ist er recht zornig gewesen? Aber um das brauch’ ich nit erst zu fragen. Wenn er aber Alles weiß, und ich hab’ mir’s vorgenommen, daß ich ihm Alles sag’, gerad’ heraus und ohne Umschneiderei, dann wird er schon wieder gut werden – und Du auch …“ setzte er zögernd und in etwas unsicherem Tone hinzu.

„Was hab’ ich damit zu schaffen?“ entgegnete Th’res so hart, als sie es nur zuwege brachte. „Der Vater hat nichts geredt, aber das hat man ihm wohl anmerken können, daß es ihn justament nit viel gefreut hat. Und damit Du nur gleich Alles weißt: er war vorhin da in der Komödiantenhütten drinn und hat Dich gesehen, wie Du der Springerin zum Tanze aufgespielt hast – ich hab’ Dich aufsuchen und Dir’s sagen wollen, damit Du doch weißt, wie Du daran bist, und Dich darnach richten kannst.“

Wolf hatte es fast die Rede verschlagen. „Der Vater in der Hütten?“ rief er beinahe stammelnd. „Das ist das Letzt’! ich fürcht’, das stoßt dem Faß den Boden aus. Was soll ich jetzt thun? Wo ist der Vater?“

„Das weiß ich nit. Ich soll ihn im Bräuhaus wieder treffen, wo die Bräuneln eingestellt sind; er hat gesagt, er hätt’ noch einen Gang zu machen, wohin aber und wegen was, das weiß ich nit.“

„Ich könnt’ mich gleich selber zerreißen vor lauter Gift,“ rief Wolf. „Ich hab’ mir Alles so schön aus’denkt gehabt und vorgenommen, wie’s werden sollt’ in der künftigen Zeit – und jetzt, was soll ich jetzt thun?“

„Das mußt mich nit fragen,“ entgegnete Th’res, sich kalt abwendend. „Du hast mir’s ja erst gestern in der Früh’ ausgedeutscht, daß Eins dem Andern nichts einreden soll und wie’s bald überall so sauber werden thät, wenn Jeder vor seiner Thür kehrt; das hab’ ich mir wohl gemerkt und denk’, Du brauchst auch Unsereins gar nit … wenn Du einen guten Rath willst, darfst ja nur die Tänzerin, die Komödiantendirn’ fragen, mit der Du so gut freund bist.“

Mit einem flüchtigen halblauten „Behüt’ Gott!“ war sie verschwunden und ließ ihn niedergeschmettert zurück, unfähig sofort den Entschluß zu fassen, der bei der nun eingetretenen Wendung der Dinge nicht zu verschieben war. Er stand da mit der Miene eines Mannes, der eben angefangen, die Fehler und Gebrechen seines Hauses durch einen Umbau zu ändern und dem dabei das Gebäude durch eine plötzliche Erschütterung überm Haupte zusammenstürzt. – Vergangenheit und Gegenwart, Mängel und Entwürfe des Bessern lagen in Trümmern durcheinander und hatten den Platz verschüttet, auf welchem die Zukunft vielleicht etwas entstehen lassen konnte. Er war sich im Herzen bewußt, daß er redlich das Rechte gewollt hatte, und nun war ein neues, wie es schien, unübersteigliches Hinderniß in die beabsichtigte neue Bahn gewälzt – sein Leid, seine gramvolle Reue war also vergeblich gewesen; er hatte nichts damit erreicht, als eine innere Demüthigung vor sich selbst; nun begann es ihm wieder dessen leid zu werden, der alte Groll der Verkennung und das grimmige Gefühl erlittenen Unrechts stieg in hohen Wogen wieder in ihm auf, aus denen die früheren Vorsätze nur noch wie Baumspitzen oder Hügel aus einem überschwemmten Lande hervorragten.

In diesen gedankenschnellen Betrachtungen wurde er durch den Gerichtsdiener unterbrochen, der ihn von rückwärts auf die Schulter klopfte und mit rauher Stimme anrief. „He da, Du Loder!“ sagte er, „bist Du nicht der Lindhamersohn von Lindham, der …“

Er konnte nicht vollenden, denn Wolf war mit einem wilden Fluche auf ihn losgefahren, wie ein auf’s Höchste gereizter Hund, der seine Kette zerreißt. „Wer untersteht sich, so mit mir zu reden?“ rief er. „Sag das Wort noch einmal, Du Schergenknecht, und Du hast Deinen letzten Schnaufer gemacht …“

Der Gerichtsdiener, welchen der graue mit blauen Schnüren eingefaßte Rock und die Schirmmütze mit dem Löwen deutlich machte, war zurück getreten und hatte die Hand an den Säbel gelegt, den er an einem Gurt um die Mitte geschnallt trug. „Oho,“ sagte er, „Du wirst schon der Rechte sein, weil Du so aufbegehrst. Probir’s aber einmal und rühr’ mich an, nur mit dem kleinen Finger, dann kehr’ ich den Stiel um und mache Dir den Garaus … Ich bin von Gnaden Herrn Landrichter geschickt, Dich zu suchen. Du sollst gleich zu ihm kommen, der wird Dir dann schon sagen, ob ich Dir einen unrechten Namen gegeben hab’.“

„Zum Herrn Landrichter – ich?“ fragte Wolf betroffen. „Was soll ich denn bei dem?“

„Das wird er Dir wohl selber sagen,“ entgegnete der Gerichtsdiener, „also spute Dich, daß Du hinaufkommst, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_416.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)