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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Generalingenieur Gasteyer, ein alter biederer Oesterreicher, der als Unteroffizier vor fünfzehn Jahren nach Persien kam, dort die persische Armee drillte und jetzt die Straßenbauten regelt und das persische Geniecorps befehligt. Von ihm erhielt der Verfasser manchen Aufschluß über die Eigenthümlichkeiten seines Herrn. Auf unsere Bemerkung, daß wohl von dem Gefolge, den höheren Officieren des Schah’s, aber nicht von ihm selbst das Bestreben zu Tage trete, sich auf der Reise zu belehren, erwiderte er: „Es sei kein Wunder, daß der Schah unbeholfen und verstört erscheine. Man dürfe sicher in Deutschland glauben, daß diese ganze Reise überhaupt ein gewagtes Spiel für den Schah sei, daß er beständig in der Sorge sein müsse, die Priester würden seine Abwesenheit benutzen, um ihn zu stürzen. Seine Reise sei ganz gegen deren Willen geschehen, und nirgends sei eine Palastrevolution sicherer zu fürchten und häufiger, als in Persien. Nur die etwa hunderttausend Mann zählende Armee, an deren Spitze er zuverlässige Leute zurückgelassen, mache es ihm, dem wenig bevölkerten Lande gegenüber, möglich, eine so lange andauernde Reise zu unternehmen. Nur gestützt auf englischen und russischen Beistand habe er sein lange gehegtes Project ausführen können. Hier in Europa aber werde er erdrückt von all dem Neuen und Ueberraschenden, für welches er vielleicht nicht Verständniß genug mitbringe, um Alles in sich aufzunehmen. Den bedeutendsten Eindruck hätten nicht die Paraden, welche ihn in ihrer schnellen Aufeinanderfolge ermüdet haben, auf ihn hervorgebracht, sondern die Eisenbahnen und vor Allem der Knotenpunct Deutz-Cöln. Da kommende und abfahrende Züge auf verhältnißmäßig beschränktem Raum, dort die Eisenbahnrheinbrücke und hin- und herfahrende Dampfer, hier wieder der majestätische Rhein mit seinem belebten Strombett, der ihm, dem Fürsten eines wasserarmen Landes, das nicht einen schiffbaren Fluß besitze, am meisten imponirt habe. Das Gefühl der eigenen Dürftigkeit lasse ihn unbeholfen und niedergedrückt erscheinen. Auch sein oft übermüthiges Benehmen gegen hohe Häupter rühre aus diesen Gründen her; es sei eben der Zustand eines von der Sonne geblendeten Beherrschers der – Sonne. Für ihn und sein Gemüth spreche die besondere Vorliebe für Blumen, für Kinder und vor Allem für die freie, wunderbare Gottesnatur, die ihn hier noch mehr fessele, als im eigenen Lande.“

Nichts interessiere ihn mehr, als die prachtvollen Umgebungen des Curortes, die Waldungen und öffentlichen Gärten. Auch das Gefolge hat vielen Sinn für landschaftliche Schönheiten. Dabei erfuhren wir freilich gleichzeitig, daß ein Bruder des Schah in Constantinopel geblendet lebe. Geblendet in Folge einer versuchten Palastrevolution. Noch mehr aber durften wir staunen, als uns ein hoher Officier, dessen Name nichts zur Sache thut, auf eine Schmarre, ähnlich dem Hiebe eines Studentenschlägers, im Gesichte des Großveziers aufmerksam machte. Unser Gewährsmann ist Genüge für die Wahrheit der folgenden Mittheilung: „Bei einer Streitigkeit zwischen Hofbeamten erhielt vor Jahren der jetzige Ministerpräsident einen Hieb mit einem jener kurzen persischen Dolchmesser in’s Gesicht. Dem Thäter wurde in Gegenwart des Schah’s und in dessen Zimmer der Hals mit einem Federmesser durchschnitten, aber langsam, ohne große Uebereilung, damit die Strafe gründlich sei.“ Mein Gewährsmann kannte den Fall genau, da er als Mitglied der russischen Expedition im Kaukasus die Hofverhältnisse in Teheran kennen zu lernen genügend Gelegenheit hatte.

Der Hauptzweck der ganzen Reise des Schah ist jedenfalls, sich die Freundschaft Englands für alle Fälle zu sichern, und er dürfte, da aus handelspolitischen Rücksichten ihm gerade von hier aus Bereitwilligkeit entgegen getragen wird, in diesem Falle wesentliche Förderung für seine Pläne finden. Daß der Schah, wie von Berlin berichtet wird, sich allabendlich Notizen über das Geschehene und Erlebte mache, ist hier nicht bekannt geworden, indessen schließt dies die Möglichkeit nicht aus, daß es von seinem Gefolge geschieht. Faul sind die Zustände des Landes sicher. Das Volk ist verarmt, der Boden größtentheils Wildniß, die Cultur vernachlässigt. Da soll nun Hülfe von außen kommen.

Gemüthlicher als die oben mitgetheilten wenig anmuthenden Beweise der persischen Culturstufe ist der Umstand, daß am nächsten Tage die Herren des persischen Gefolges in den verschiedenen Badhäusern der Stadt heiße Bäder nahmen und daß nun natürlich jeder derselben für den Schah gehalten wurde. Da die Wiesbadener Thermen etwa fünfzig Grad Réaumur heiß sind, so war es leicht, den Herren entsprechende Badetemperatur herzustellen, von denen einige bis zu nahe vierzig Grad bestellten und – aushielten. Einer der Granden des Reichs entstieg in einem seidenen Schlafrock seiner Droschke, ging mit diesem in die Zelle und behielt den Schlafrock auch im Bade an. Ob dies Kleidungsstück gleichfalls einer Abbrühung bedurfte, war nicht zu erfahren. In jedem der Badehäuser hatte nun der wirkliche Schah gebadet, und um Niemandem wehe zu thun, nannte der Volkswitz diese verschiedenen Schah’s im Plural die – Schächer. In einem der Badehäuser befindet sich eine große Schale zur Trinkcur, in welcher das heiße Wasser direct entquillt. Da fällt es einem der persischen Granden ein, in nahezu unaussprechlichem Costüme das Marmorbecken jener Schale als Badewanne zu benutzen. Ein Schauspiel für die übrigen Gäste, das nicht geringe Heiterkeit erregte, und eher nicht war der Sonnenritter zu bewegen sich zurückzuziehen, bis der Sprudel ohne Weiteres abgestellt worden war.

Der Schah reitet einen braunen arabischen Fuchs, sein Paraderoß und Lieblingspferd, von kleiner Statur. Reichgesticktes Sattelzeug (im Werte von circa zwanzigtausend Thalern) zeichnet das flinke, edle Thier vor allen Dingen aus. Berühren darf eine Christenhand dieses Pferd und seine Zierrathen, sein Riemenzeug, nicht. Der in unserer Gegenwart gemachte Versuch wurde durch ein persisches Gebet des Reitknechtes sofort unschädlich gemacht. Den Wachtdienst hierfür hat Moutchoul Khan, der Sattelüberwacher, ein Posten, der nicht zu den letzten im Gefolge gehört. Das Paraderoß hat in der That, wie schon öfter berichtet, einen carmoisingefärbten Schweif, der lang zur Erde herabreicht. Man erklärte uns diese abenteuerliche Färbung durch den Umstand, daß das Pferd eine Wallfahrtsreise des Schah (russische Berichte sagen nach Mecca) zu einem bestimmten Ziele mitgemacht habe. Daher diese Auszeichnung. Ist doch der Schah auch das geistliche Oberhaupt seines Landes.

Am Tage nach seiner Ankunft erlustigte sich der Schah damit, dieses Edelroß auf einem Kartoffelacker an den Ufern des Rheins herumzutummeln. Ob er die Kartoffeln für Wiesenland gehalten, oder ob er die naheliegenden Wege und Matten als zu schlecht für sich und sein Roß taxirte, blieb fraglich. Genug, daß er sein Beginnen nicht eher einstellte, als bis der Acker gründlich zusammengeritten war. Eine Entschädigung wird dem wackeren Bauersmann und Besitzer desselben wohl nicht ausgeblieben sein.

Des Schah Befehle konnten die wachthuende Umgebung deutscher Nationalität fast zur Verzweiflung treiben. In einer Stunde wechselte er mindestens sechsmal seine Dispositionen. Anspannen, abspannen, ausreiten, absatteln folgten in kurzen Zwischenpausen als allerhöchste Befehle aufeinander.

Das zu seinen Ehren arrangiere Doppel-Concert in den Cur-Anlagen mit bengalischer Beleuchtung besuchte der Schah nicht, weil er nothwendig Berlinische Dialektstudien zu pflegen hatte. Dagegen erschien sein ganzes Gefolge, auffallend durch die persischen Sonnen- und Löwen-Orden mit reichem Brillantschmuck und jener in ovaler Form mit seinem Brustbilde geschmückten Brillantendecoration um den Hals. Welch’ eine Augenweide für das schöne Geschlecht! Unzweifelhaft sind auch jene Nachrichten nicht genau, wonach sich die Perser den Frauen in auffälliger Weise bei öffentlichen Festlichkeiten nähern. Es ist nach unserer Erfahrung leider weit eher das Gegentheil der Fall. Die liebe Neugier und die persischen Diamanten mögen dies verschulden. Der Oberhofphotograph, der gleichzeitig Kammerherr ist, Aga Riza, erfreute sich stets besonderer Aufmerksamkeit.

Am nächsten Tag erschien der Schah zu dem ihm zu Ehren veranstalteten Feuerwerk, nachdem er mindestens viermal vorher seiner Begleitung Gegenordre gegeben hatte. Am meisten imponirten ihm die römischen Lichter, welche sich in Form eines Kreuzfeuers über den Platz ergossen. Raketen und dergleichen haben die Perser auch, jedoch kennen sie, trotz des brillanten Effectes, alle anderen Feuerwerkskörper wenig oder gar nicht, so wenigstens erzählte mir einer der militärischen Begleiter des Schah’s. Muthmaßlich ist auch in dieser Beziehung der Effect der Diamanten bevorzugt. Während des Feuerwerks trank Nassr-Eddin aus seiner mitgebrachten silbernen Theekanne und zwar direct aus dem Abguß derselben. Indessen trank er sehr mäßig, nur scheinbar zur Anfeuchtung der Lippen. Ohne sonderliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_439.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)