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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Wirkung blieb der Gesammteffect des Feuerwerks. Auch hier müde und abgespannt, nahm der Schah dasselbe hin, wie etwas Unvermeidliches. Sein Gefolge erwartete ihn bis zu seiner Ankunft sitzend. So lange er stand, verließen die Perser ihre Sitze nicht, in dem Augenblick, wo er den für ihn bereitgestellten Sessel einnahm, schnellten die Granden des Reichs empor. Die persische Sitte gestattet nicht, daß irgend wer von der Umgebung des Schah’s thue, was er thut. Steht er, so darf das Gefolge sitzen, sitzt er, muß es stehen. Eine spanische Wand, welche ihn in solchem Falle von dem Gefolge trennt und die bereit gehalten wurde, lehnte er ab. Dagegen gefielen ihm ausnehmend die Wappenschilder und Fahnen, welche an seinem Sitze in einem Garten von Blumen und Palmen angebracht waren. Auch die persische Flagge, grün und weiß, mit dem persischen Löwen und dem geschwungenen Damascener in der Pranke, erregte seine Aufmerksamkeit in hohem Grade. Er selbst trug ein Bandelier von Diamanten, daran einen äußerst reichen und voll mit Edelsteinen besetzten, trefflich gearbeiteten persischen Dolch.

Plötzlich erhob sich der persische Despot und wandte sich, während das Feuerwerk noch seine leuchtenden Garben entsandte und die beiden Musikcapellen ihre Märsche spielten, den Sälen zu. Seine erste Frage war in schlechtem Französisch nach den früheren Spielsälen. Also von der einstigen Existenz dieses Instituts war sogar der Perser unterrichtet! Mehrere Damen wurden ihm vorgestellt, und diesen gegenüber trat zum ersten Male eine gewisse Liebenswürdigkeit bei ihm hervor. Nach und nach belebten sich seine Züge, und er schritt dem einen der Säle zu. Hier stand ein Concertflügel zufällig geöffnet. Mit Interesse schritt er auf denselben zu und gab, allerdings sehr linkisch, einen Ton an, sofort die Frage stellend: ob Niemand da sei, der gut spielen könne. Zufällig weilte in der Nähe Fräulein Ottilie Lichterfeld aus Berlin, eine tüchtige Pianistin welche kürzlich in einem der großen Curhausconcerte gespielt hatte, zugleich eine sehr schöne und liebenswürdige, echt deutschblonde Dame. Diese spielte ein Concertstück in brillanter Weise, und nie haben wir die Wirkung der Musik in auffälligerer Weise hervortreten sehen, als der dieser Gelegenheit. Mit wahrhaftem Interesse folgte er den Tönen und der Fingerfertigkeit der Künstlerin, nebenbei einen Blick auf die Saiten des Instruments und die anschlagenden Hämmer desselben werfend. Seine Laune war sofort eine vortreffliche und sie verließ ihn auch nicht mehr während des ganzen Abends. Wohl dreimal erkundigte er sich nach dem Namen der Dame, dankte wiederholt und riß sich augenscheinlich nur mit Widerstreben von diesem musikalischen Genusse los.

Im nächsten Saale entdeckte er mit großer Freude auf den Spieltischen Schachspiele: „Ah, Schach!“ war sein überraschter Ausruf. Als er die Lesesäle erreichte, die hier allerdings in ausgedehnter Weise vorhanden sind, staunte er über die Zahl der Zeitungen und durchschritt die vier aneinanderstoßenden Räume mit dem Ausdruck der Verwunderung. Er ließ sich die ganze Einrichtung erklären, da er offenbar zum ersten Mal ein derartiges Local zu sehen Gelegenheit hatte, und frug dann sofort nach der „Independance belge“ , das Journal, welches ihm am bekanntesten zu sein schien. Hier suchte er sich selbst Artikel über seine europäische Reise. Als ihm sodann die letzten Nummern zweier illustrirter Blätter mit seinem Portrait gezeigt wurden, lachte er plötzlich so laut, daß das Hofgefolge sich vor Erstaunen nicht zu fassen vermochte. Das war seit Gedenken nicht geschehen. Ein Wort entschlüpfte ihm dabei, das von wirklich komischem Effect war und ebensowohl für seine Eitelkeit Zeugniß ablegte, wie es kein Compliment für die Zeichner seiner Abbildung sein dürfte. „Mauvais – portrait! Moi – non!“ – in richtiger Uebersetzung etwa: „Das soll mein Bild sein! Bewahre!“

In ähnlicher Weise führte er seine Conversation überhaupt. Auf einem Balle redete er eine ältere Dame an: „Vous – vieille – pourquoi – bal?“ mit andern Worten: „Zum Ballvergnügen sind Sie zu alt, Madame. Gehen Sie nach Hause!“ Ueber das Publicum äußerte er sich höchst herablassend: „Ils sont – très bons gens – ici.“ Es sei hier noch eines Scherzes erwähnt, der allgemein belacht wurde. Nassr-Eddin erhielt auf der Reise nach Wiesbaden die Nachricht, daß seine Mutter verstorben sei. Ein gemüthlicher Berliner nahm diese Botschaft mit der drolligen Bemerkung auf: „Was thut denn det? Der hat ja mehrere.“

Nachdem der Schah noch einen Gang in den Garten gemacht, die große Fontaine bewundert und sich an schnellservirtem Eis erfrischt hatte, verließ er das Etablissement, wie er gekommen, in vierspänniger königlicher Equipage. Im Schloß harrte seiner eine große Ueberraschung. Ein Taschenspieler, der Tags vorher im Curhause Vorstellungen gegeben und der ihm empfohlen war, fesselte ihn noch bis Mitternacht durch seine Experimente ohne Apparate. Alle Kunststücke, welche dieser producirte, erregten seine Neugier und seine Heiterkeit, die sich um so mehr steigerte, als der Künstler mit dem Gefolge jene kleinen Scherze trieb, die auf Geschwindigkeit beruhen, und die für uns selbst, mehr also noch für Perser, im Augenblick unerklärlich scheinen. Er ließ auf diese Weise einen der Herren seines Gefolges so in Verlegenheit bringen und ergötzte sich so an dessen Verzweiflung, daß der auf diese Weise Ausgezeichnete den Schah schließlich beschwor, ihn für heute entlassen zu wollen, da der Taschenspieler offenbar ein Hexenmeister und jedenfalls ein gefährlicher Mensch sei.

Es scheint, als wenn der Schah selbst unsere deutschen Eisenbahn-Directionen für eben solche Hexenmeister hält, denn es war ihm nicht klar zu machen, daß die Extrazüge für ihn in größter Pünktlichkeit abfahren müssen, soll Unglück vermieden werden. Von Pünktlichkeit ist ihm überhaupt kein Begriff beizubringen, ein Umstand, der preußische Militärs jedenfalls zur gelinden Verzweiflung bringen kann. Ob er sich in dieser Beziehung später durch seinen Generalbauunternehmer Baron von Reuter (früher Buchhändler in Berlin) belehren lassen wird, steht dahin. Ein besseres Gründungsgeschäft ist lange nicht gemacht worden, als von dem genannten Herrn, der hier viel mit dem Schah und den Ministern conferirte. Baron von Reuter hat die Errichtung sämmtlicher Eisenbahnen für den Umfang des ganzen persischen Reiches, sowie die Anlage aller Verbindungswege, Chausseen, Canäle, die Ausnutzung sämmtlicher Bergwerke und Wälder, die Errichtung sämmtlicher Banken und Fabriken übernommen. Ein Monopol, wie es sich wohl selten wieder finden dürfte! Der Baron begleitet den Schah auf seiner Reise durch Belgien und England. Es soll denn auch von hier aus der Befehl nach Teheran ergangen sein, sofort mit dem Bau der bereits vorbereiteten Eisenbahnlinien zu beginnen.

Wie sehr wenig das Weinverbot von dem persischen Hofe beachtet werden mag, geht daraus hervor, daß des Schah Bruder, nachdem er hier mehr denn zwanzig Sorten der besten Weine im Keller versucht hatte, eine bedeutende Bestellung auf Hochheimer Edelweine aufgab. Einen Festball, von nahe zweitausendfünfhundert Personen besucht, beehrte der Schah nicht mit seiner Anwesenheit, wie man sagt, weil ihn die erzwungene Abreise seiner Berliner Herzensfreundinnen in zu traurige Stimmung versetzt hatte.

Wie in Berlin, so war auch hier Nassr-Eddin bei seiner Abreise höchst freigebig. Reich beschenkt wurden die Schutzleute und Gensdarmen, die Dienerschaft und Schloßbediensteten. Mit Uhren, Gold und persischen Shawls war er nicht zurückhaltend. Von seinen Brillanten aber scheint er sich schwer zu trennen. Die baaren Summen, welche er bei sich führt, sind bedeutend. Ziemlich sorglos werden die Geldsäcke, sämmtlich Imperials enthaltend, von der Dienerschaft behandelt. Sie liegen in offenen Wagen fast ohne Wache. Der Zweck, warum er in Baarem so viel bei sich führt, geht aus einem Geschäft hervor, das Nassr-Eddin am Abend seiner Abreise von Wiesbaden abschloß. Er kaufte für 54,000 Gulden Juwelen von zweien der ersten Juweliergeschäfte, und es gewinnt fast den Anschein, als ob der Diamantenkönig mehr eine Entdeckungsreise auf derartige Schätze, als zu anderen Zwecken unternommen habe. So zog er denn auch am Tage der Abreise auf den Wellen des deutschen Stromes dahin, silberglänzend wie die hochaufspritzenden Wogen unter dem Bug des von der Dampfschifffahrts-Gesellschaft stattlich geschmückten Dampfers (Deutscher Kaiser), eine absonderliche Erscheinung, mehr bewundert wegen seines äußern Schmucks, als wegen seiner sonstigen Eigenschaften. In seinem Sinne, gestützt auf seinen Juwelenreichthum, ist er sicher der Reichste der Könige, der aber nicht, wie Eberhard im Bart, „sein Haupt kann ruhig legen jedem Unterthan in Schooß!“

Rhenanus.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_440.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)