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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

in der Gesellschaft und bei den hohen Vorgesetzten des Onkels, bis er sich wegen der eingegangenen Verbindung von allen aristokratischen Kreisen ausgeschlossen und in Ungnade gefallen sah. Eine Zeit lang entschädigte ihn die Zärtlichkeit und aufopfernde Treue der jungen Frau für alle diese Unbill, aber er war leider nicht der Philosoph, sich auch für die Dauer mit Gelassenheit in sein Schicksal finden zu können. Der Ehrgeiz ließ ihn nicht ruhen, und alle die Zurücksetzungen, die er erfahren mußte, verbitterten ihn nicht nur gegen diejenigen, die ihn kränkten und verfolgten, sondern bald auch gegen die ganz unschuldige Ursache dieser Angriffe. Er gab sich nun selbst einen ganz unverzeihlichen Fehler schuld und hielt sein ganzes Leben für verfehlt, weil er immer gegen seine bessere Natur nachgiebig gewesen war. Dazu kam, daß seine Gläubiger jetzt rücksichtslos andrängten und ihn nöthigten, seine Wirthschaft gänzlich zu zerstören, um nur nicht in ein Gehaltsabzugsverfahren willigen zu dürfen, das den letzten Rest von Ansehen vernichtet haben würde. Alle haushälterische Sparsamkeit der armen Frau konnte der mehr und mehr einreißenden Unordnung nicht steuern, und ihre inständigste Bitte, sich den Verhältnissen anzupassen, blieb unbeachtet; ja, ihre Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit, die er kleinbürgerliche Beschränktheit nannte, waren gerade die Eigenschaften, die ihm zu fortwährendem Tadel Anlaß gaben. Von fünf Kindern dieser Ehe erhielten sich nur zwei, ein Mädchen und ein Knabe, am Leben, von dem Vater, der noch immer durch seine Kinder erster Ehe den verlorenen Anschluß an die vornehme Verwandtschaft wiederzugewinnen hoffte, wenig geliebt und auf die Erziehung durch die Mutter angewiesen, von den Stiefgeschwistern gemieden oder als Eindringlinge in die Familie gehaßt. Sie können sich vorstellen, daß jetzt, nach des Onkels Tode, jede Verbindung aufgehört hat. Jene haben sich beeilt, der Erbschaft nach ihrem Vater zu entsagen, obgleich ihre glänzende Lage es ihnen ohne große Beschwerde erlaubt hätte, ihm durch Tilgung seiner Verbindlichkeiten ein reines Andenken zu bewahren. Meine Tante hat den ganzen Nachlaß den Gläubigern hinterlassen und sich auf eine kleine Wittwenpension beschränken müssen, die sie selbst kaum zu ernähren im Stande ist. Die beiden Kinder, jetzt siebzehn und fünfzehn Jahre alt, stehen ganz hülflos da.“

„Sie sind gut unterrichtet,“ konnte ich mich nicht enthalten zu äußern. „Sicher haben Sie die so bemitleidenswerthe Familie nach Kräften unterstützt; um so mehr wundert es mich aber, daß Sie nicht länger dort –“

„Was konnte ich für sie thun?“ fiel er mir lebhaft in’s Wort. „Ich war ja selbst von der Unterstützung meines Vaters abhängig, und bei seiner bekannten feindseligen Stimmung mußte ich fürchten, Alles zu verderben, wenn ich brieflich eine Aufklärung versuchte. Aber ich gestehe, daß meine Uebersiedelung hierher mit diesen Dingen Zusammenhang hat und daß ich nicht zum Wenigsten deshalb ein festes amtliches Einkommen erstrebe, um der vortrefflichen Frau und ihren Kindern nach Wunsch und Bedürfniß Beistand leisten zu können.“

„Das Mädchen ist siebzehn Jahre alt?“ fragte ich möglichst leichthin.

(Schluß folgt.)




Eine Wanderung durch die Friedhöfe Weimars.
Von Dr. Moritz Müller.


„Liebreiches, ehrenvolles Andenken ist Alles,
was wir den Todten zu geben vermögen.“
Goethe.

Wie vier reizende Parks die nächste und nähere Umgebung der Stadt Weimar ausmachen – Kunstgärten, die ihre eigenthümliche, zum Theil classische Geschichte haben: wir meinen den Park der Residenz selbst, dann die von Tiefurt, Ettersburg und Belvedere –, so stellen sich uns im eigentlichen Weichbilde der Stadt zwei andere, in ihrer Art nicht minder bemerkenswerthe Gärten dar, welche einem ernsten Zwecke dienen – die beiden Friedhöfe Weimars.

Merkwürdig vor vielen des deutschen Reiches, verdienen diese beiden Gottesäcker unsere volle Beachtung, und eine kurze Wanderung durch dieselben lohnt wohl die darauf verwendete Zeit. Zum älteren lenken wir der Natur der Sache nach zuerst unsere Schritte. Er befindet sich im nördlichen Bezirke der Stadt selbst, in der St. Jakobsvorstadt, und auf ihm die St. Jakobskirche (Hof- und Garnisonkirche).

Betritt man von der Jakobsstraße aus den beregten Platz, so wird der Blick unwillkürlich von einer sogleich rechts oberhalb der Umfassungsmauer eingegrabenen, in Goldlettern prangenden Inschrift gefesselt; sie lautet:

Schiller’s erste Begraebnisstaette.

Welche Erinnerungen, die sich an diese wenigen Worte, an diese kleine Stelle knüpfen! Hier also ist der Ort, dem die irdische Hülle eines der bevorzugtesten Geister aller Jahrhunderte, des Lieblings der deutschen Nation in der Nacht vom elften zum zwölften Mai 1805 übergeben wurde, nachdem zwei Tage vorher seine Seele der untergehenden Sonne, welcher seine letzten Blicke zugewendet gewesen, nachgeeilt war. – Es ist ein in seiner Art einziges Drama, das sich an jene Begräbnißnacht anschließt, ein Drama, das zu seiner Zeit weit und breit von sich reden machte und manche Stimme der Entrüstung hervorrief. Schiller, der Gefeierte, so einfach, gleich dem geringsten Tagelöhner bei Nacht und Nebel, ohne Sang und Klang hinausgetragen – das fand man unverzeihlich, entwürdigend. Man setzte das in der gegebenen Weise dem großen Todten bereitete Schicksal in Parallele mit dem des Goethe’schen Werther, des Selbstmörders: „Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.“ Freilich wußte man auswärts nicht, daß die ominöse Nachtstunde in Weimar die für die Beerdigung ausgezeichneter Personen übliche, ja, eine ehrende war und daß gewöhnlich Tags darauf in der Kirche für sie ein feierlicher Gedächtnißgottesdienst, „Collecte“ genannt (für Schiller einer der feierlichsten), gehalten wurde. Ferner und vor Allem schien nicht bekannt, daß die Wittwe des Dichters im Einverständnisse mit sämmtlichen Verwandten ein stilles Begräbniß ausdrücklich gewünscht hatte. Auch an der Eile, womit dieses vollzogen worden, nahm man Anstoß, ohne den Zustand der Leiche, der solche gebot, in Rechnung zu bringen. In Hinsicht auf das Hinaustragen des Todten wäre wohl das Richtigere gewesen, wenn die Männer aus höheren Ständen mit den Bürgern abgewechselt hätten. Gehört Schiller ja Allen an. Nein, nicht daß man ihn so gepränglos, so schleunig der Erde übergab, nicht daß Handwerker, wie dies in Weimar auch bei Hochgestellten Sitte war, ihn tragen sollten – das Alles nicht konnte und kann Vernünftige so überaus empören, wohl aber mußte als höchst auffällig, ja ungerechtfertigt erscheinen, daß man volle einundzwanzig Jahre hingehen ließ, ehe man sich wieder um den Zustand der Schiller’schen Ueberreste in dem feuchten „Cassengewölbe“ (Eigenthum der Landschaftscasse, daher der Name) bekümmerte, jenem Orte an dem Schiller beigesetzt worden war, und der überhaupt zur Todtenwohnung für solche im Range hervorstechende Abgeschiedene diente, die kein eigenes Erbbegräbnis besaßen. Dem Bürgermeister der Stadt, Hofrath Karl Schwabe, bleibt das Verdienst, in dem Cassengewölbe, worin er die mühevollsten Nachforschungen anstellte, im Jahre 1826, wo eine sogenannte „Aufräumung“ jenes Gewölbes bevorstand, das heißt wo die Sargtrümmer, Todtengebeine etc. zusammengelesen und irgendwo auf dem Gottesacker eingegraben werden sollten, beim Suchen nach Schiller’s Gebeinen wenigstens seinen Schädel unter dreiundzwanzig anderen entdeckt zu haben.[1] Am Sonntagsmorgen des 17. September 1826 wurde dieser unter einer entsprechenden Feierlichkeit in dem Postamente der Dannecker’schen Büste des Dichters auf der großherzoglichen Bibliothek zur Aufbewahrung niedergelegt.

Wir setzen unsere Wanderung auf dem alten planirten Friedhofe weiter fort. An das Gotteshaus herantretend, erinnert sich gewiß Jeder, der früher schon einmal diese Stelle besuchte, an ein dort jetzt verschwundenes, noch immer aber vorhandenes

  1. Alles Nähere über die ganze Angelegenheit findet man in der trefflichen Schrift von Dr. Julius Schwabe: „Schiller’s Beerdigung und die Aufsuchung und Beisetzung seiner Gebeine etc. Leipzig. Brockhaus. 1852.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_548.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)