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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Der Prior begrüßte mich bald darauf. Sein Gesicht trug den ausgeprägtesten Stempel des vollendeten Asceten; die scharfgeschnittenen Züge verriethen Intelligenz und Strenge zugleich, und mit lauerndem Blicke musterte er meine ihm noch unbekannte Persönlichkeit. Im Laufe des Gespräches wurde er ziemlich mittheilsam und gab mir bereitwillig erwünschte Auskunft.

Das Kloster besteht nach den in Preußen geltenden Gesetzen als solches eigentlich nicht, ist vielmehr als eingetragene Genossenschaft angemeldet, deren Mitglieder zum Prior wie die Knechte auf jedem Bauernhofe zum Herrn in dienendem Verhältnisse stehen. Es ist dies nur eine Beobachtung kluger Vorsicht, eine leere Form zur Umgehung des Staatsgesetzes, da in Wirklichkeit sämmtliche Ordensbrüder einen Zweig des noch heute in Frankreich existirenden ausgedehnten Ordens der Trappisten bilden und die genaue Observanz der strengen Regeln dieser Congregation zu halten verpflichtet sind. Diese Regeln, aus einer Verschmelzung und Verschärfung der Gebote und Gelübde der Benedictiner und Cisterzienser hervorgegangen, legen jedem Mitgliede ewiges Schweigen auf, das zu brechen nur auf vorherige Erlaubniß des Priors in seltenen Fällen gestattet wird.

Die Nahrung der Mönche besteht in Kräutern, Gemüsen und Wasser, dann und wann in einem Zusatze von Bier, das, wie ich schon bemerkte, von ihnen selbst bereitet wird. Fleisch, Wein und andere geistige Getränke sind ihnen gänzlich untersagt; nicht einmal bei der Zubereitung der Gemüse dürfen sie sich irgend einer Art von Fett bedienen. Die Kleidung besteht bei den Laienbrüdern in einer groben dunkelbraunen, mit einer beweglichen Kapuze versehenen Kutte, die um die Lenden durch einen Strick zusammengehalten wird und worin sie, dieselbe auf dem bloßen Leibe tragend, Sommers und Winters arbeiten und schlafen. Die ordinierten Priester, die auch Messe lesen dürfen, sowie auch der Prior, tragen dieselbe Kutte, jedoch feiner gewebt und in weißer Farbe; alle ohne Ausnahme gehen in Holzschuhen. Sie stehen zu jeder Jahreszeit um zwei Uhr Morgens auf, beten eine ziemlich lange Zeit und bringen die übrigen Stunden des Tages bei harter ihnen bestimmt angewiesener Arbeit, der sich selbst der Prior und die übrigen Priester unterziehen, schweigend zu; meistens besteht diese Arbeit in der Urbarmachung, Aufbesserung und Bearbeitung der umliegenden Ländereien; doch da unter ihnen fast alle Handwerkerstände vertreten sind, so wird auch zur Ausführung der in’s technische Fach einschlagenden Verrichtungen selten ein Fremder zugezogen, und der Prior versicherte mich, daß Alles bis in’s Kleinste hinein, sogar die Anfertigung der Kleidungsstücke, von ihnen allein und selbstständig betrieben würde, wobei ich gestehen muß, daß Brod, Butter und Bier, die man mir vorsetzte, ihren Zubereitern alle Ehre machten.

Krankheiten kommen, was bei einer so diätetischen Lebensweise natürlich ist, selten unter ihnen vor; die meisten Todesfälle betreffen den Zeitabschnitt des Lebens zwischen zwanzig bis dreißig Jahren; hat sich aber der Körper einmal an die ihm auferlegte strenge Behandlung gewöhnt, so erreichen viele von den Mönchen, erprobt in Mäßigkeit und Abhärtung, ein hohes Alter, zu dessen Erreichung aber auch nicht wenig das an solchen Orten weit häufigere Verschwinden der Leidenschaften, die Ruhe und Ergebenheit des Gemüthes beitragen mögen.

Daß die Trappisten jeden Abend an der Herstellung ihrer Gräber arbeiten und dabei das sprüchwörtlich gewordene memento mori murmeln, bestritt der Prior ganz entschieden. Ihr ganzes Leben ist aber eine ununterbrochene Kette von Gebet, schwerer Arbeit und harten Bußübungen, der Tod der vornehmlichste Gegenstand ihrer Betrachtungen, und indem sie, abgeschlossen von der Welt, allen Freuden der Welt entsagen, die Zunge nur zum Lobe Gottes gebrauchen zu dürfen wähnen, geben sie, frömmelnder Beschaulichkeit nachhängend, in sclavischer Unterwürfigkeit und knechtischem Gehorsam gegen ihre Oberen verharrend, das Beispiel einer Classe von Menschen, deren Thun und Treiben nothwendig alles edlere Gefühl im Menschen ersticken und ertödten muß. Wahrhaft peinlich berührte es mich jedes Mal, wenn ich sie die geringste Erlaubniß vom Prior knieend erbitten sah. Wie mir der Letztere versicherte, rekrutiert sich die Gesellschaft der Mehrzahl der dienenden Brüder nach aus Oesterreich. Wie Mancher unter ihnen mag vor seinem Eintritt in’s Kloster ein bewegtes Leben geführt haben; beruht es doch auf der durch die Erfahrung bewiesenen Thatsache, daß getäuschte Hoffnungen, Unglücksfälle, gedemüthigter Ehrgeiz, in Ausschweifung verbrachte Jugend die Haupttriebmittel sind, die das Individuum dazu vermögen, solche der Abgeschlossenheit von der Welt und kränkelnder Frömmelei geweihte Orte als letzte Zufluchtsstätte, wo es den Verlockungen des Lebens entflohen zu sein wähnt, auszuwählen. Beim Eintritt in’s Kloster bringt Jeder demselben seine ganze Habe als Eigenthum zu; doch ist es auch jedem Einzelnen freigestellt, vor erfüllter Probezeit den Orden ebenso zu verlassen, wie er gekommen ist. Die Probezeit selbst ist, wie ja überhaupt der ganze Dienst, hart und anstrengend, doch versicherte mir der Prior, daß schwerer als die strengsten Bußübungen und die größte Enthaltsamkeit von den Meisten die Beobachtung fortwährenden Schweigens empfunden werde, zu welcher Behauptung er mir den sprechendsten Commentar lieferte.

Mit meinem besten Danke gegen den Aufschlußgeber schied ich von demselben, froh, die Mauern des düsteren Gebäudes hinter mir zu haben und wieder freier in Gottes schöner Natur zu athmen, einem Kreise von Menschen entrückt, die, anstatt sich als nützliche Glieder der Gesellschaft mitten im vollen Leben, in der großen Kette der Menschheit helfend und fördernd zu bewegen, in thörichter Verblendung ein verwerfliches Dasein führen und durch strenge Abgeschlossenheit, mystisches Formenwesen, durch Mißachtung des Höchsten, was uns vor der unvernünftigen Creatur verliehen wurde, durch Verstümmelung der Sprache, ihrem Schöpfer angenehm zu sein wähnen. –

Der Weg vom Kloster Mariawald nach Heimbach, sich immer bergab ziehend, läuft dicht am Abhange eines Berges an üppigen Wiesen und anmuthigen Fruchtfeldern vorbei, und plötzlich, ehe der Wanderer sich dessen noch versieht, liegt Heimbach, rings vom Gebirge umschlossen, wie in einem Kessel tief unten zu seinen Füßen. Bei meinem Eintritt in den Ort drängte und schob sich auf den Straßen desselben eine unglaubliche Menge von Menschen, so daß man häufig seine liebe Noth hatte, sich ungestoßen durch den Knäuel hindurch zu arbeiten. Alle Wirthshäuser und die meisten Privatwohnungen waren überfüllt, so daß man mit Mühe ein Unterkommen fand; Männer, Weiber und Kinder flutheten bunt durcheinander und boten, aus allen möglichen Orten der Eifel zusammengeworfen, dem Auge ein Bild der sonderbarsten Trachten und Moden dar. Procession nach Procession, von der manche meilenweite Strecken Weges zurückgelegt hatte, bewegte sich, Hymnen singend und Gebete murmelnd, zu dem in der Mitte des Fleckens stehenden reich bekränzten Kreuze, einem der primitivsten in seiner Art, um dort gemeinschaftlich die Andacht zu verrichten; wenigstens elf derselben sah ich in kurzem Zeitraume an mir vorüberziehen.

Unterdeß läutete es zur Kirche, die in ihrem Schooße das weit und breit berühmte Mirakel birgt und, obgleich dieselbe räumlich eine ziemliche Ausdehnung hat, doch kaum zur Hälfte die Anzahl der Seelen zu fassen vermochte, die sich mit gläubigem Verlangen zu ihr hindrängten, während die andere Hälfte, rund um das Gebäude gelagert, noch weit bis in die angrenzenden Straßen und Plätze hineinfluthete und dort während der ganzen Dauer des Gottesdienstes in knieender Stellung unter dem heißen Brande der Julisonne betend verharrte. An den Thüren des Gotteshauses waren große Placate angeheftet, die allen Wallfahrern, natürlich gegen Hinterlegung eines angemessenen Opfergeldes und nach Ableierung der vorgeschriebenen Anzahl von Gebeten, reichlichen Ablaß versprachen. Daß der Ortsgeistliche dabei nicht am schlechtesten wegkommt, versicherten mir einige Einwohner selbst, indem sie mir mittheilten, wie derselbe zur Zeit der Wallfahrt oft ganze Taschen voll Münze zu seiner Wohnung trage, und daß dies einen nicht unbeträchtlichen Zusatz zu seinem Gehalte ausmache, was bei der bedeutenden Menschenmenge, die an diesen Tagen in Heimbach verweilt, auch eben nicht allzu unglaublich klingt, da diese Menge doch oft so zahlreich ist, daß, wie mir ebenfalls Einwohner versicherten, es vorkommt, daß zwölf assistirende Geistliche bis spät in die Nacht hinein in Activität sind, um die sich zum Beichtstuhle Drängenden zu absolviren. Mag dieses größtentheils dem gemeinen unbemittelten Manne entlockte Geld auch fließen, wohin es will, jedenfalls verdient eine solche auf Kosten der religiösen Dummheit und Leichtgläubigkeit in Scene gesetzte Besteuerung des Geldbeutels des blöden Haufens keine andere Bezeichnung, als diejenige ist, welche man jenen Erpressungen beilegte, deren sich Tetzel im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts theilhaftig machte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_620.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)