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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 40.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Nur Du und ich!
Von Otto Ludwig.[1]

Auf bunten Blumenmatten,
Vom Weltgedräng’ so weit,
Im tiefen Waldesschatten,
In süßer Einsamkeit,
Da sollt’ ein Leben werden,
Mein Lieb’, so wonniglich!
Was wär’s, das wir entbehrten?
Für uns wär’ nichts auf Erden,
Mein Lieb’,
Mein Lieb’, mein lieblich Lieb’, als Du und ich.

Wenn über Thal und Berge
Der junge Tag sich hebt
Und über ihm die Lerche
Auf süßen Wirbeln schwebt,
So selig und alleine,
So frisch und feierlich
Im gold’nen Morgenscheine!
Nur Gott im stillen Haine,
Mein Lieb’,
Mein Lieb’, mein lieblich Lieb’, und Du und ich.

Magst schlafen oder wachen,
Magst sitzen oder geh’n,
Magst sinnen oder lachen –
Ich kann nicht satt mich seh’n.
So kam’ es, daß in Eile
Der Abend uns beschlich.
In Städten, manche Meile
Von uns, wohnt Langeweile,
Hier, Lieb’,
Mein Lieb’, mein lieblich Lieb’, nur Du und ich.

Und kam’ die Nacht gezogen.
Wir schauten, Brust an Brust,
Zum blauen Himmelsbogen
Und seiner Sterne Lust.
Und – süß dahin gerissen,
Die Sterne senkten sich
Herab auf unsre Kissen –
Die Nacht sollt’ es nicht wissen,
Mein Lieb’,
Mein Lieb’, mein lieblich Lieb’, nur Du und ich.

  1. Aus „Otto Ludwig’s literarischem Nachlaß“, welcher demnächst mit einer Biographie und Charakteristik des Dichters und seiner Werke von Moritz Heydrich, bei C. Cnobloch in Leipzig erscheinen wird. D. Red.     




Die weiße Rose.

Aus meinen Erinnerungen.

An einem frühen Morgen – die Sonne war eben erst aufgegangen, und die Vögel sangen noch ihr erstes Lied – ging eine schon bejahrte Dame auf dem Weg, der von der Stadt B…g auf den nahen Friedhof führt. Ihre Kleidung war, wenn auch einfach und ihrem Alter angemessen, doch gewählt und von feinsten Stoffen. An ihrem linken Arme hatte sie ein elegantes Körbchen hängen, welches mit rothen Rosen gefüllt war. Oefters blieb die Dame stehen, und dann schweifte ihr Blick hinaus über die nahen Felder zu den fernen, noch mit einem feinen Nebel umhüllten Bergen, aber immer kehrte dieser Blick rasch zu den Rosen an ihrem Arm zurück; sie betrachtete diese fast mit Zärtlichkeit, und wenn eine Blume etwas tiefer in den Korb gesunken, erhob sie dieselbe wieder sorgfältig, ja ein paar Mal schien es, als hauche sie einen Kuß auf die Rosen.

Als die Frau den Mauern des Friedhofes nahete, begann sie rascher zu gehen; ihre Augen strahlten in erhöhtem Glanze – man sah, dort hatte sie ihr Ziel erreicht. Gleich am Eingange des Friedhofes erhob sich ein wohl gepflegtes Grab, welches von einer Trauerweide überschattet wurde. Hier blieb sie wie in tiefer Andacht stehen. Nachdem sie dann die Rosen auf dasselbe gelegt und sie geordnet, setzte sie sich auf den Grabstein und faltete ihre Hände in den Schooß. Ob ihre Gedanken und Gefühle sich in ein Gebet auflösten, oder ob ihr Gebet nur ein Gedanke war, wer will es entscheiden?

Es kam eine Ruhe über ihre ganze Gestalt, daß man hätte glauben können, alles Leben sei aus ihr gewichen; nur wer sie genauer beobachtet hätte, würde gesehen haben, wie die Linien um den festgeschlossenen Mund schmerz- und wehmuthsvoller wurden. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_639.JPG&oldid=- (Version vom 18.5.2020)