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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


sonst wäre er nicht eine Stunde lang geduldig bei mir sitzen geblieben.

Was er wissen wollte, war, ob ich Tizian allein oder auch andere alte Meister so täuschend nachbilden könne. Als er erfahren, daß nicht Tizian, sondern Rembrandt mein Steckenpferd sei, sprang er auf und umarmte mich öffentlich so stürmisch, daß zwei Engländerinnen, die eine mit der Blechbüchse zum Sehen, die andere mit dem Katalog in Händen, fast ohnmächtig wurden und „Good Gracious!“ stammelten. Sein Betragen mochte ihm selbst ein wenig auffällig erscheinen, denn er sprudelte nun hervor:

„Müssen schon meinem Enthusiasmus etwas vergeben! Ich bin nun einmal so, kann mich nicht halten vor Freude, wenn ich echtem Talent begegne. Ja, Sie sollen einmal sehen, wenn ich im Besitze der Geldsäcke meines Onkels bin, welchen Mäcen ich abgeben werde. O, die Kunst soll leben! Als hehre Göttin, aber auch als Mittel zum Zwecke!“

Seitdem weicht er mir nicht von der Seite, und wäre mein Vergnügen nicht so unendlich groß, zu wissen, wie wenig Chance er bei Hedwig hat, ich könnte sein stolzes Siegesbewußtsein, das sich zu jeder Stunde äußert, nicht ertragen. Er rechnet so sicher auf Hedwig’s Gunst, daß er selbst mich in die Irre führen könnte, sähe ich nicht bei jedem Zusammensein mit ihr, daß seine Nähe unangenehm auf sie wirkt, so daß ihr sogar Arsent willkommen ist, wenn er durch sein Kommen Werdau vertreibt. Ueberhaupt steigen Arsent’s Actien um ein Bedeutendes, was auch ganz natürlich, denn der junge Mann ist von solidem, bescheidenem Charakter und ganz dazu angethan, um sein Lebenlang zu Hedwig’s Füßen zu sitzen, glücklich, wenn nur hier und da einmal ein Gnadenblick auf ihn herabfällt. Herzog Ernst begünstigt ihn wahrscheinlich auch aus Familienrücksichten, denn Arsent’s Vermögen gehört zu den bedeutendsten des Landes, was seine Bescheidenheit nur um so anerkennenswerther macht.

Doch wie Alles aus Erden ein Ende nimmt, so darf auch dieses Briefes Schluß nicht ausbleiben, darum lebe wohl und bleibe der alte treue Freund

Deines Walter.     


13.

     Liebe Amalie!

Wie wirst Du erstaunt sein, Deiner Freundin Handschrift und den Stempel der Residenz zu erkennen! Ja, wir sind wieder hier, und wenn ich Dir’s gestehen soll, bin ich ganz vergnügt darüber. In der Heimath ist man doch viel glücklicher als draußen im fremden Lande, sei’s dort auch noch so schön. Schnee und Eis haben ihren eigenen Reiz, und ich konnte mich über ihre Abwesenheit gar nicht trösten.

Ernst’s Geschäfte waren abgeschlossen, konnten in einem geschriebenen Berichte nicht genügend referirt werden, und so wurde er denn per Telegraph gebeten, zurückzukehren.

Ich bin herzlich froh, einmal die zwei auf Entscheidung dringenden Bewerber los zu sein; fürchte aber, daß sie nicht lange durch ihre Abwesenheit glänzen werden, da sie in Italien ja absolut nichts zu schaffen hatten, als in unserem Salon zu sitzen und uns zu Spazierritten und -Fahrten zu überreden. Der Maler kehrte mit uns zurück, doch glich die Heimfahrt der Hinreise ebenso wenig, als ich der Hedwig von damals ähnlich bin.

Jawohl, Amalie, könntest Du Deine lebensfrohe Freundin jetzt von Angesicht zu Angesicht sehen, ich weiß nicht sicher, ob Du sie erkennen würdest. Die widerstreitendsten Gefühle reiben mich auf, so daß ich, obgleich nicht eigentlich unglücklich (ich habe dazu keine Ursache), dennoch keine frohe Stunde mehr genieße. Auf der Heimreise hatte ich eine lange Unterredung mit Ernst, in der er mir zu erkennen gab, daß es sein ausgesprochener Wunsch wäre, mich die Hand Arsent’s annehmen zu sehen. Länger als eine Stunde brachte ich meine Gründe vor, die aber alle so seicht waren, daß Ernst zum Schlusse den Kopf schüttelte. Was kann ich auch sagen? Arsent ist seelengut, sein Talent für Musik, das er bescheiden in den Hintergrund stellt, muß Jeden entzücken, seine äußere Erscheinung eine angenehme, und seine Anbetung meiner undankbaren Persönlichkeit eine ganz unbeschreibliche. Wenn ich mir Dies nun alles vorspreche, so komme ich stets nur wieder zu dem Schlusse: dem Manne, dem ich meine Hand vor dem Altare reiche, muß ich ganz anders freudig entgegenblicken, als ich es thue, wenn Arsent gemeldet wird. Wo habe ich nur diese romantischen, krankhaften Ideen aufgefangen, Amalie? Das lag sonst nicht in unserer Familie, und auch Du gabst mir nie das Beispiel dazu – Du schwärmtest höchstens für Ernst’s Geist und edlen Charakter.

Siehst Du, mein heißester Wunsch wäre, zu wissen, ob die Fornarina, wie sie aus dem berühmten Bilde des großen Malers blickt, die Gedanken bei ihrem Raphael hat; dann wüßte ich sicher, daß ich Arsent nicht heirathen darf, denn so könnte ich nicht blicken und an ihn denken zugleich. Das ist noch das Traurigste meiner Lage, daß ich mit Gedanken wie diese nicht zu Ernst darf, dem ich bisher das geheimste Winkelchen meines Herzens entdeckte. Er würde mich sehr mit Recht belehren, daß die Fornarina keine Familienrücksichten zu bedenken hatte und daß es blos bei mir liegt, Arsent zu meinem Raphael zu machen. Ach, nur einen guten Grund dagegen! Ein Königreich für einen Grund! Wenn ich sagen könnte, Werdau sei mir lieber als Arsent, so glaube ich, würde Ernst sie alle Beide entfernen, und ich wäre erlöst. Aber daran ist auch kein Fünkchen von Wahrheit, denn diesen Standpunkt habe ich längst überwunden und sehe in Werdau nur den eiteln Menschen, der vor Neid bersten möchte, wenn in einem Cirkel ein geistreiches Wort belacht wird, das nicht von ihm stammt.

Mein Bruder hat liebevoll, aber ernst gesprochen; er bedeutete mir, daß man einen in allen Punkten anerkennenswerthen Menschen nicht grundlos oder um einer Grille halber unglücklich machen dürfe, und gab mir einen Monat Zeit, die Sache zu überlegen. Das thue ich denn auch und überlege so viel, daß ich darüber ganz trübsinnig werde und es mir kaum gelingt, den Nebel, der Alles für mich umgiebt, zur Zeit der Zeichnungsstunde zu lüften. Dieser Beschäftigung habe ich mich wieder ergeben, und Herr Impach ist jeden Tag zwei Stunden bei mir, um meine Fortschritte zu leiten. Ich darf jetzt nach den aus Italien mitgebrachten Photographien copiren und muß manchmal bei ihrem Anblicke seufzen, weil sie mir die Woche in’s Gedächtniß zurückriefen, wo ich ganz dem reinen Kunstgenusse lebte, unbehindert durch einander überbietende Weltmenschen, von keinen widerstreitenden Gefühlen zerrissen. Ich betrachte jene Woche als die glücklichste Zeit meines Lebens, und, sonderbar, meine Meinung scheint von Herrn Impach getheilt zu werden. Als ich das Album, welches wir dort zusammen ausgesucht hatten, auf den Tisch legte, wollte ich ihn an jene für mich so genußreiche Zeit mahnen, ihm danken für das, was er dazu beitrug, mein Glück zu erhöhen. Indem ich, vom Album aufsehend, den Mund öffnete, begegnete ich in seinen Augen einem dergestalt leuchtenden Blicke, daß dessen Bedeutung nicht mißzuverstehen war. Sagen hätten wir Beide nicht mehr können, und so nickte ich denn und reichte ihm über dem Buche die Hand.

Der fände mir schon einen triftigen Grund gegen die Heirath mit Arsent, wenn ich es wagen dürfte, ihn zu consultiren. Aber Ernst hat mir schon früh eingeprägt, daß Menschen von anderm Stande Ansichten mit sich herumtragen, die von den unsrigen ganz abweichen; außerdem habe ich kein Recht, so vertraulich mit ihm umzugehen. Du, Amalie, birgst in Deinem erfinderischen Köpfchen nichts Dergleichen.

Die Zeichnungsstunde ist nicht die einzige Zeit, welche der Maler hier im Hause zubringt. Fast den ganzen Vormittag sitzt er in unserer Galerie und copirt. Welche Bilder, weiß ich nicht, auch darf ich nicht hinüber, um zuzusehen, weil Cousine Dorothea sich in den nicht tropisch geheizten Räumen gleich am ersten Tage einen Husten geholt und nun dasselbe für mich fürchtet, mich also wie ein Drache hütet und mir mit Ernst das Betreten jenes Theiles des Hauses verboten hat. Ich sehne mich auch nicht sehr hinüber, denn es ärgert mich stets, wenn ich ein vorzügliches Talent, wie Impach’s, auf’s Copiren verschwendet sehe. Ernst meint, es könne ihm nützen; ich aber glaube, dadurch gehen der Welt eine Anzahl seltener Kunstwerke verloren.

Nur Trübseliges habe ich zu erzählen, Amalie, und dazu kommt auch noch, daß Ernst dieser Tage fortgeht, um mich auf einige Wochen zu verlassen. Wenn er wiederkommt, erwartet er meine Entscheidung. Ich weiß, daß ich dann nicht weiter sein werde als heute, denn bis jetzt brachte mich noch kein Tag auch nur um einen Schritt vorwärts.

Schneewittchen ist mein einziger Trost, die Pflege der Blumen, die es umgeben, meine liebste Beschäftigung, denn selbst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_655.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)