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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

ist es aber doch bester, auf dem Plaid, den der Begleiter untergebreitet hat, zu sitzen und nicht den Abstieg von der felsigen Warte, sondern einen guten Weg vor sich zu haben. Ist es aber schlechtes und kaltes Wetter, hüllen sich die Gipfel in Wolken und scheint nur manchmal in einer Nebellücke ein Felsstück durch das Grau zu schimmern, so richtet sich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft mehr auf Braten und Wein, ohne deshalb in Pausen die Nebel zu übersehen, die vom sommerwarmen Boden und Wasser in die kalte Luft aufsteigen, die violetten Huflattichblüthen am Bach und das Spiel von Wolkenschlangen in den Wipfeln des Forstes.

An solchen Tagen wird nicht mehr weiter nach dem Schachen gegangen. Auch ich bescheide mich bei der Wettersteinalp, weil jenes Haus bereits anderweitig geschildert worden ist. Wir kehren also mit der Gesellschaft unter die schützenden Arcaden des Postgartens zurück. Obwohl es kein Kunststück ist, nach der Wettersteinalp oder nach dem „Verein“ und anderen Reitwegzielen zu gehen, so liegt es in der galanten Weise der Mittenwalder, den Damen hierüber Complimente zu machen. Hierin ist vornehmlich der treueste Hüter des Posthaines, der kundige Arzt, bewandert. Mit schmeichelnder Rede weiß er das Verdienst der Bergpilgrime zu überschätzen und diese dadurch zu neuen Thaten auf den Bergen anzufeuern, deren Tannenwipfel auf die Salatstauden des Haines herabschauen.




Für die armen Eisenbahnarbeiter.

Angesichts des ungeheuren Aufschwungs, welchen in den letzten Jahren der Eisenbahnbau in Deutschland gewonnen hat, und des immer drohenderen Ernstes, welchen die Arbeiterfrage annimmt, erscheint es als eine Aufgabe, die das Interesse aller Kreise, auch Derer, die zunächst nicht dabei betheiligt sind, in Anspruch nehmen sollte, sich mit der Lage Derer eingehend zu beschäftigen, durch deren Schweiß und Arbeit die segensreichen Werke des Verkehrs hergestellt werden. Man hat sich fast daran gewöhnt, die Arbeiter an den Eisenbahnen als die Parias ihrer Kaste zu betrachten, weil Jeder dazu taugt, der nur zwei gesunde kräftige Arme als Betriebscapital aufzuweisen hat; man wendet sich mit vornehmer Scheu und Verachtung ab von der Rohheit und Verwilderung, die in jenen Kreisen oft sich kund giebt, oder nimmt sie hin mit Achselzucken als unabänderliche Thatsachen. Wollte man aber die materielle Lage dieser Leute zum Gegenstande besonderer Fürsorge machen, so würden nicht nur die Arbeiter selbst, sondern auch die Arbeitgeber, ferner die Gemeinden, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen bei Bahnbauten oft in Bezug auf die öffentliche Sicherheit schwer geschädigt werden, und endlich der Staat, der am Gemeinwohl aller seiner Glieder interessirt ist, bald die segensreichen Folgen davon verspüren. Dadurch, daß die schwere Arbeit des Erdekarrens, des Steinbrechens etc. verhältnißmäßig theuer bezahlt wird, ist man dieser Verpflichtung nicht etwa überhoben, denn trotz des hohen Lohnes bleibt der Eisenbahnarbeiter meistens arm. Bei der großen körperlichen Anstrengung müssen jene Leute einen bedeutenden Theil ihres Verdienstes auf ihre Beköstigung verwenden, diese aber besonders da, wo ihre Arbeitsstelle weit von bewohnten Ortschaften abliegt, einzig und allein von gewissen speculativen Privatunternehmern beziehen, die nicht an der Mäßigkeit, sondern an dem möglichst großen Verbrauch des Arbeiters ein Interesse haben, und durch Gewährung von Credit denselben nur zu leicht zu größeren Ausgaben verleiten. So soll es zum Beispiel eine gar nicht ungewöhnliche Praxis sein, daß gewissenlose Schachtmeister mit solchen Schankwirten gemeinsames Spiel treiben, und dem Arbeiter, der um Vorschuß bittet, denselben nur in Gestalt von Marken geben, für die der Arbeiter nichts als Speisen und Getränke bei einem bestimmten Wirte erhalten kann, welcher wieder dem Schachtmeister für diese Gefälligkeit einen nicht geringen Rabatt bewilligt.

Noch wichtiger als die Kostfrage, welche sich leichter regeln läßt, ist für die Eisenbahnarbeiter die Wohnungsfrage. Denn es ist geradezu jammervoll, wie elend sich die Arbeiter in einsamen Gegenden oder kleinen Dörfern, die natürlich für solche Massen zuströmender Bevölkerung nicht genügendes Unterkommen aufzuweisen haben, oft behelfen müssen. Es ist vorgekommen, zum Beispiel in Ostpreußen, daß Männer, Frauen und halberwachsene Burschen im bunten Gemisch in elenden Bretterbuden oder gar in Erdhöhlen ihr kümmerliches Nachtlager und Obdach gesucht haben, und solche Löcher wurden erst dann Gegenstand der polizeilichen Aufmerksamkeit, als sie zu Brutstätten des Typhus und der Cholera wurden. Um die sittlichen Nachtheile, die aus solchem engen Beisammensein vieler Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts unausbleiblich entstehen müssen, hatte man sich bis dahin nicht gekümmert.

Den Ruhm, den Anfang gemacht zu haben, um solchen Uebelständen zu steuern, darf die württembergische Regierung für sich in Anspruch nehmen, welche, ohne Hoffnung auf Gewinn, lediglich um des Wohles der Arbeiter willen und eben damit im besten eigenen Interesse, bei ihren ausgedehnten Eisenbahnbauten für Wohnung und Beköstigung ihrer Arbeiter sorgte und nun durch siebenjährige Erfahrung bestätigt gefunden hat, daß diese Fürsorge nicht nur von den Arbeitern dankbar empfunden worden ist, sondern auch ihrer financiellen Seite nach gute Früchte getragen hat. Dieselbe ließ auf solchen Strecken ihrer neu zu erbauenden Bahnlinien, wo die Bevölkerung weniger dicht ist und bedeutende Erdarbeiten, Tunnel, Brücken etc. die Concentrirung einer größeren Anzahl von Arbeitern auf längere Zeit notwendig machten, auf Kosten der Bauverwaltung Wirtschafts- und Speise- Gebäude errichten und in eigener Regie betreiben, in welchen die Arbeiter einfache, aber gute und reichliche Beköstigung und dazu gesunde und reinliche Schlafstellen finden sollten. Da der Betrieb der einzelnen Wirthschaften doch nur verhältnismäßig kurze Zeit dauert, so begnügte man sich mit einfacher Bauart. Die Gebäude sind in der Regel einstöckig mit Kniestock, aus Riegelmauerwerk mit doppelter Bretterverschalung und mit Dachpappe gedeckt, haben Einrichtungen für Küche, Keller und Speisekammer, einen Speise- und Wirthschaftssaal, Büffet und Räumlichkeiten zur Aufstellung von siebenzig bis hundert Betten, zwei Zimmer für den Agenten und den Koch, zuweilen auch ein eigenes Lesezimmer. Um die Nachtheile, welche das Zusammensein so vieler Leute in einem einzigen großen Schlafsaal im Gefolge hat, zu vermeiden, werden die Schlafgelasse durch Bretterwände geschieden und mit je ein bis zwei, selten mit vier Betten belegt. Jeder hat sein besonderes Bett und zwar mit eiserner Bettstelle, eine Strohmatratze, mit Stroh gefüllte Kopfpolster, ein Unterbett, Deckbett, Kissen mit Federn, je zwei doppelte Bezüge und zwei Betttücher. Federbetten wurde der Vorzug gegeben vor den bei dem Militär eingeführten Matratzen mit Decken, weil die Kosten ziemlich gleich, Federbetten im Winter aber schützender sind. Die Kosten eines vollständigen Bettes mit eiserner Bettstelle beliefen sich uns neunundzwanzig Thaler. In den Schlafcabineten ist für jeden Mann eine verschließbare Kiste zur Aufbewahrung der Kleider angebracht. Für Ordnung und Reinlichkeit in der Schlafcabine hat der Arbeiter selbst zu sorgen.

Die Beköstigung besteht in Frühstück (Kaffee mit Zucker), einem kräftigen reichlichen Mittagsessen mit einem halben Pfund Fleisch für den Mann und einem Abendessen, letzteres abwechselnd aus Suppe oder Wurst bestehend. Außerdem bekommt Jeder ein und ein halbes Pfund gutes Brod täglich und drei Schoppen Bier, wovon ein Schoppen Mittags und zwei Schoppen Abends (oder umgekehrt) verabreicht werden. Für diese volle Beköstigung, einschließlich des Schlafgeldes, hatte der Arbeiter den äußerst mäßigen Betrag von dreißig Kreuzern (acht und einen halben Groschen) zu zahlen, welcher an den Lohntagen mittelst Abzugs verrechnet wird. Auf Verlangen erhalten die Arbeiter außer jenen drei zur Beköstigung gehörigen Schoppen Bier auch noch mehr; der Betrag dafür muß aber sofort baar bezahlt werden; ebenso Branntwein, den man im Winter, bei schlechter Witterung und bei Arbeiten im Wasser den Arbeitern nicht glaubt versagen zu dürfen. Anborgung findet unter keinen Umständen statt. Wein wird nur an das Baubeamtenpersonal und an die Unternehmer abgegeben.

Die meisten Wirthschafts-Gebäude enthalten hundert Bettstellen. Die zugelassenen Arbeiter müssen in der Regel die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_689.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)