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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Es ist nur eine kleine Weihnachtsgabe; sie werden wohl nicht zu viel schenken!“

Eine zweite schlug auf dem Kiesweg vor der Saalthür nieder. Ein Pferd, durch das Krachen scheu gemacht, hatte sich losgerissen. Der Officierbursche suchte es zu beruhigen, indem er es hin- und herführte. Eine Granate riß ihm den Kopf weg, fuhr in das Kellergeschoß und crepirte mit furchtbarem Getöse.

Nun begann in Folge des Niederbrechens der Baumäste und des Crepirens der Granaten, die zahlreich wie Hagelkörner geflogen kanten, ein so heftiges Krachen und Sausen, daß es doch an der Zeit schien, das Haus zu verlassen, obwohl bis jetzt wunderbarer Weise noch keine Granate so recht das Haus getroffen hatte; offenbar aber hegten die Franzosen die löbliche Absicht, Alles in diesem Geschützkreise in Grund und Boden zu schießen.

Wir waren Alle aus unseren Quartieren und von unseren bescheidenen Weihnachtsfreuden aufgescheucht worden, und als nun die Officiere und hinter ihnen die Burschen mit dem kopflosen Körper des Getödteten ankamen, und wir von ihnen das Nähere hörten, konnten wir nicht zweifelhaft sein, daß die Franzosen sowohl von dem Ort wie der Zeit des Soupers Kenntniß gehabt und womöglich alle Officiere mit einem Schlage zu vernichten beabsichtigt hatten.

„Ein schönes Feiertagsessen!“ meinte Einer. „Das wird Allen eine angenehme Erinnerung für die Weihnachtsfeiertage des nächsten Jahres sein. Ich will doch im nächsten Jahre, wenn wir wieder zu Hause sind, um dieselbe Zeit einen gehörigen Schluck auf mein Wohl trinken. Wie spät ist es? Ich habe meine Uhr im Quartier vergessen.“

„Sieh’ doch nach der Thurmuhr! Es ist freilich schon etwas finster, aber ein Soldatenauge ist scharf und dringt durch Nacht und Nebel,“ meinte ein Anderer im Scherz.

Obwohl wir Alle wußten, daß die Uhr nicht mehr ging, seitdem die Granate durch den Thurm gefahren war, sahen wir doch unwillkürlich nach oben – aber was war das?

Ein Licht an einem der Schalllöcher! Es mußte weithin zu bemerken und konnte nichts Anderes sein, als ein Zeichen für die Franzosen. Deswegen hatten sie auch im Dunkeln so gut zielen können. Wer hatte das Licht dort aufgesteckt? Die Kirche wurde um sechs Uhr geschlossen, und später konnte nur ein Kirchenbeamter, der einen Schlüssel hatte, hinein. Also der Vicar oder Jean oder Beide waren die Schuldigen. Vielleicht konnten wir sie noch überraschen. Alles stürmte der Kirche zu, der Hauptmann, den wir unterwegs trafen und auf das Licht aufmerksam machten, voran, um die Verräther zu entdecken.

Das Portal war verschlossen; die Kirche wurde umstellt; aufgeregt und geräuschvoll umwogten die Herbeigeeilten das Gebäude, indem man voller Spannung den Nachrichten entgegensah, welche die in die Häuser des Vicars und Jean’s entsandten Patrouillen bringen würden. Da verschwand das Licht.

„Sie sind noch drinnen!“ jubelten Alle. „Paßt nur auf die Thüren gut auf!“

„Still!“ gebot der Hauptmann.


(Schluß folgt.)



Der Obstplatz in Bozen.
(Mit Abbildung.)

Wenn der berühmte Fragmentist das bischöfliche Brixen das rhätische Coblenz nannte, so möchte ich Bozen, die alte Handelsstadt, als das tirolische Florenz bezeichnen. Giebt es wohl eine Ortschaft in Tirol, die diesen Namen mit größerem Rechte verdient, als das blumenliebende, an Gärten so reiche Bozen? Der Wanderer aus dem Norden wird bezaubert von dem Glanze südlicher Blumenpracht, von der Schönheit und Mannigfaltigkeit der Gesträuche und Bäume, die nur unter einem so milden Himmel gedeihen oder diese Schönheit und Ueppigkeit entwickeln können. Wer die Gärten des Erzherzogs Heinrich, des Grafen Sarnteim, des Baron Goldegg oder die Gartenanlagen des Dr. J. Streiter besucht hat, kann ihre Herrlichkeit nicht mehr vergessen; ihr Zauberbild steigt ihm gewiß oft aus dem Dunkel der Erinnerung leuchtend empor. Und wer so glücklich ist, den Garten des Herrn Moser zu sehen, wenn Hunderte der verschiedensten Rosenbüsche in voller Blüte stehen, die wasserreichen Brunnen rauschen und die Vögel im Dickicht singen, der denkt unwillkürlich an König Laurin’s Rosengarten, von dem der alte Dichter sang:

„Wer ihn konnte sehen an,
Der mußte all sein Trauern lan.“

Ja, wenn ein Fremder den feinsten Reiz dieser Stadt kennen lernen und genießen will, muß er jene lauschigen Heiligthümer südlicher Flora besuchen, wo „im dunkeln Laub die Goldorangen glühen, die Myrrhe still und hoch der Lorbeer steht.“ Allein nicht nur Anlagen und Gärten, selbst andere Plätze und stille Winkel mahnen uns, daß wir an der Schwelle Italiens stehen. Minaretähnliche Cypressen und breitkupplige Pinien erheben sich aus den Weinbergen; der dunkle Lorbeer und die zarte Myrthe grünen an den Felswänden, und die Fackeldistel breitet ihre saftigen Blätter über das rötliche Porphyrgestein. In reichster Toilette zeigt sich aber Bozen als Blumenstadt am ersten Mai, an dem der vielbesuchte Blumenmarkt gehalten wird. An diesem Tage bildet der ganze Obstplatz, den der Künstler in unserer heutigen Nummer teilweise im Bilde vorführt, einen großen wunderbaren Garten voll von Glanz und Glut und berauschendem Duft. Was Blumenfreunde, Gärtner und Bauern an Blumenpflanzen und scheuen Gewächsen auszustellen und zu verkaufen haben, wird von nah und fern hierher gebracht, um den Reiz dieses unvergleichlichen Maifestes zu erhöhen. Die wechselvollen Trachten, die schönen Gestalten und interessanten Typen des hin- und herwogenden Volkes beleben dieses blumen- und blütenreiche Fest. Da findet man Abkömmlinge der Hessen, die von dem Reggelberge niederstiegen, neben Gothen und Gothinnen, die aus dem romantischen Sarnthale oder von den Höhen des Tscheggelberges gekommen sind; Bajuwaren aus der nächsten Umgegend, verdeutschte Romanen aus Ueberetsch und Wälsche aus dem Trentino drängen sich im dichten Gewühle.

Es erinnert dieses bewegte, reiche Bild an das Gewühle und Treiben auf dem Obstplatze in alten Zeiten, als noch die berühmten Messen abgehalten wurden, zu denen die Handelsherren aus Sinigaglia und Venedig, aus Augsburg, Ulm, Calw und Nürnberg herbeikamen, oder an die alten Volksfeste, die einst hier gefeiert wurden. Ich erinnere nur an das Georgispiel, das am Frohnleichnamsfeste gegeben wurde, an das Ringelrennen um Pfingsten und an den Bindertanz mit seinen Auswüchsen lustigster Volkslaune. Allein selbst an gewöhnlichen Tagen bietet der Obstplatz, der schon im Mittelalter den belebtesten Punkt der Stadt bildete und zwei öffentliche Bäder besaß, ein bewegtes, lautes, farbenreiches Bild, das mit seinem halbitalienischen Charakter jeden Fremden, der aus dem Norden kommt, durch Eigenthümlichkeit und südliches Leben ansprechen muß.

Das Hauptgebäude dieses Stadtteiles, von dem die Straße nach Meran abzweigt, war das Gasthaus „Zur goldenen Sonne“, welches schon 1420 bestand. Wie unzählige Fremde mögen in dieser Sonne, die ihr Licht über Gerechte und Ungerechte leuchten ließ, eingekehrt sein und sich an ihrem Scheine erfreut haben! Damals schon hatten venetianische Kaufleute hier ihre Herberge; wälsche Fischer und Geflügelhändler boten hier ihre Waare feil und zahlten je einer sechs Gulden jährliche Steuer. Bis in die neueste Zeit noch ehrten italienische Handelsleute die alte Sitte. Daß aber auch gute Deutsche im Schatten der „Sonne“ sich nicht nur wohl fühlten, sondern auch das Zeitliche segneten, zeigt uns der Umstand, daß hier 1515 der Schulmeister Benedict Debs aus Ingolstadt, dessen Name mit den religiösen Volksschauspielen in Tirol in engster Beziehung steht, seine literarische und irdische Laufbahn beschloß. Als im vorigen Jahrhundert die „Sonne“ ihren Höhepunkt erreicht, beehrten Fürsten und Kaiser dieses Wirthshaus mit allerhöchsten Besuchen, wie die Kaiserin Maria Theresia, wovon der große, hohe Salon Nr. 10 im zweiten Stocke noch jüngst den Namen „das Kaiserzimmer“ führte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_720.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)