Seite:Die Gartenlaube (1885) 592.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zu mir in meinen Giebel zu ziehen. Was Du dem da in seinem jetzigen Zustande helfen kannst, weiß ich freilich nicht; aber wir Beide wollen unsere Köpfe zusammenlegen, den alten und den jungen, und es mit einander bereden, jeder aus seiner Erfahrung, wie man am leichtesten durch die lustige Welt und zu einem friedlichen Ende kommt. Der Räkel ist vielleicht nicht der schlimmste Gast in der Komödie. Den kenne ich gut genug aus seinen Jugendjahren, wo er uns Kräuter und Beeren ins Geschäft trug und auch mit meinem seligen Bruder Philipp aufs Botanisiren ging. Aber das ist Einerlei, wir werden Zeit haben, von Allem zu reden, und auch von seiner Frau, der armen Anna. Da wär’s mir auch schon recht, bei der zerquälten Seele meine letzte stille Stelle zu finden, gleichviel, wer an ihrer anderen Seite zur Ruhe kommt.“

„Lieber Herr Doktor,“ sagte jetzt Phöbe Hahnemeyer, „ich kann nicht mehr schlafen da oben im Pfarrhause, seit der Herr uns Dieses zur Strafe für unsere Verwegenheit zugeschickt hat. Nun soll er mich hier finden, was auch nach seinem Willen daraus werde, ob Leben, ob Tod für Einen von uns Zweien oder für Beide. Ich will ja nichts für mich; aber, Doktor Hanff, lieber Herr Doktor, seit dem Begräbniß der Fee bin ich zum ersten Male in dieser Stunde wieder geworden in meiner Seele, wie ich früher war, und ruhig wie bei meinen armen Kindern im Schutze des Allmächtigen zu Halah.“

„Und Das will keinen Willen haben!“ rief Doktor Hanff. „So thue, was Du nicht lassen kannst, und komm herein mit Deinem Bündel! Was soll Unsereiner weiter dagegen machen, wenn Einen das Weltall aus Augen wie den Deinigen ansieht! Was redet Fräulein Dorette da aber von Komödie? Das ist freilich bitterster Ernst! Für einen aus einem alten Landdoktor in einen jungen neumodischen Bade-Arzt verwandelten Mitkomödianten auf der nur zu realen Bühne der Welt falle ich in meiner Rolle in diesem Moment jedenfalls kläglich ab. Da sieht man aber ’mal wieder, wozu die Reminiscenzen nützen und vorzüglich solche nichtsnutzigen wie die Ihrigen, Fräulein Kristeller. Kommt herein, Beide! Euer Gast aus der Gesellschaft fängt bei sinkender Sonne ganz sachgemäß an, etwas unruhiger zu werden.“

Fräulein Dorette legte ihren Arm in den des jungen Mädchens, und so traten sie in das Haus und an das Bett des Kranken. Der lachte eben in seinem Fieber und befand sich in seinen Träumen mitten in seinen gewohnten Lebenszuständen; und nicht Wenige von Denen, die dieselben heiter, bunt und behaglich gemacht hatten, waren um ihn her und sprachen in seiner Phantasie mit.

Er war auch im Fiebertraum auf der Reise – er war mit Fräulein Valerie auf dem Wege und zwar auf dem Wege hinauf zum Krater des Vesuvs. Er lobte die muthige Begleiterin fröhlich und laut, daß sie die neue Zahnradbahn nicht hatte benutzen mögen, sondern den alten Weg und die alten Führer mit ihren Eseln und Tragsesseln der geschmacklosen, wenn auch bequemen Neuerung vorgezogen hatte. Er klomm an der Seite der schönen Freundin und half ihr empor durch die Schlacken, die Asche, die Lavablöcke des letzten steilen Kegels.

Dabei wurde er unruhiger, und seine Einbildungen wurden ängstlicher. Er richtete sich auf, wie in schwerer, vergeblicher Mühe keuchend. Er rief heftig, böse, angsthaft den Namen Valerie. Sie schien leicht weiter zu schreiten, während er immer vergeblicher und mit immer ohnmächtigeren Gliedern mit dem Wege und der Asche kämpfte. Stöhnend sank er zurück auf sein Kissen und lag leise wimmernd bewegungslos, bis wieder ein „Wandel über seinen Traum“ kam. Jetzt sprach er wieder, als ob er nun doch mit der Genossin aus der Zeitlichkeit auf dem Gipfel des alten grimmigschönen Feuerberges stehe allein mit ihr – alle Pracht und Wunder der Erde: Festland, Meer und Inseln im Sonnenglanze unter ihnen ausgebreitet, wie ein ihnen Beiden erbeigenthümlich angehöriges Reich. Er sprach jauchzend von dem dumpfen Grollen und Rollen unter ihren Füßen in der Tiefe der Erde, er freute sich, daß die „Herrin“ keine Furcht habe.

„Horch, Valerie!“ …

Der kluge Bauern- und Bade-Arzt sah nochmals, verstohlen forschend und erwartungsvoll, in das Gesicht der Idiotenlehrerin, aber vergeblich, denn das blieb wie es war, im Mitleiden ruhig und unbewegt. Phöbe wußte ja schon, wer Fräulein Valerie war; sie hatte es genau auf dem Kirchhofe ihres Dorfes an dem Grabhügel der Fee erfahren. Der Name des schönen leidenschaftlichen Mädchens aus dem Munde des Kranken war ihr jetzt nur wie ein mattes Echo von dort her. So saß sie regungslos auf dem Schemel neben dem Lager Veit Bielow’s, die Hände im Schoß zusammengelegt, gewappnet gegen jeden Blick und Ton aus jener Welt, die ihr bis jetzt nach den Worten der Schrift ein Buch mit sieben Siegeln gewesen war.

„Ja, Du bist gefeit und sitzest wahrlich im Schatten Deines Glaubens am heißesten Erdentag!“ murmelte Doktor Hanff. „Fräulein Dorette,“ sagte er dann laut, „wenn Sie also Ihre Kammer und das Uebrige hier mit diesem braven, kleinen Starrkopf theilen wollen, so weiß ich wirklich nicht, weder amtlich noch privatim, was ich Euch Beiden noch in den Weg legen könnte. Vernunft habe ich am Ende mal wieder genug vergebens gesprochen. Den letzten schäbigen Rest darf ich mir also dreist für bessere passendere Gelegenheiten aufheben, – nicht wahr, Fräulein Kristeller?“

Die alte Dame war wie außer sich. Sie streichelte der neuen jungen Hausgenossin die Wangen und die Hände, sie strich ihr über die Haare und nannte sie mit hundert zärtlichen Kosenamen und wiederholte immer von Neuem, sie, Dorette Kristeller, sei zwar eine alte, gelbsüchtige, verhuzzelte, in sich verbissene Egoistin, aber verlangen könne man auch nicht, daß sie diesmal dieses ändere und höflich sich wehre gegen den Segen oder grob danke für den Blumenstrauß, der ihr nach so viel Ekel und Verdruß im Leben zu guterletzt in hohen Alters-Tagen noch auf den Tisch gestellt werde.

Grob mochte sie sein, gröblich verfuhr sie jedenfalls gegen den braven Doktor Eberhard Hanff.

„Haben Sie sich zur Genüge Alles wieder wissenschaftlich beschnüffelt und befühlt, Hanff, so scheren Sie sich dreist wieder hin zu Ihrem Volk da draußen,“ sagte sie. „Wie weit her Ihre Kunst ist und was Sie damit ausrichten, wissen Sie ja ziemlich genau, also das braucht Sie durchaus nicht länger als nothwendig aufzuhalten. Lassen Sie mich und mein Kind; wir renommiren nicht, wie Ihr Herren, dann und wann sogar mit unserer Unzulänglichkeit. Lassen Sie uns ruhig hier allein beisammen. Ganz gut treffen wir Zwei hier bei diesem Elend in Eins, das Kind aus dem Frieden des Herrn und ich aus der Verbitterung meines Alters und aus dem Ueberdruß an Allem – an euch Allen!“

„Und ich gehe wie ein alter Narr,“ sagte Doktor Hanff, „ich schere mich zum Teufel, wie Sie mir das eben aus verjährter Ranküne so freundlich durch die Blume zu verstehen geben. Na, wir kennen uns ja freilich schon seit lange, und also darum – auf ein angenehmes Wiedersehen, morgen früh, Fräulein Dorette. Aber Du – Du, Mädchen, kannst es eigentlich nicht verantworten, einen alten Physikus und Praktikus so aus einander zu reißen und das beste Stück von ihm hier bei Dir zu behalten! Wie soll ich’s mit der schlechten Hälfte nun ausrichten da oben im Karneval? Fühle Du heute Abend mal der Frau Kommerzienräthin mit der gehörigen Visage den Puls! Lasse Du Dir mal diese Nacht so vielleicht zwischen zwei und drei Uhr von ihrer Brut die liebe Zunge aus überladenem Magen mit dem wünschenswerthen Mitgefühl zeigen!“

„Sie reiten wohl morgen auch durch unser Dorf, lieber Herr Doktor,“ lächelte Phöbe Hahnemeyer. „Da sehen Sie auch wohl meinen Bruder und sagen ihm noch einmal, wie dankbar ich ihm sei für seine Güte und die Erlaubniß, die er mir gegeben hat, und wie ich gern so bald als möglich zu ihm heimkehren würde.“

„Natürlich werde ich dem Burschen die Leviten lesen, und zwar reichlich!“ brummte der Landphysikus. „Haben Sie vielleicht auch noch an unseren sauberen Freund und Spießgesellen Spörenwagen was von dieser Art zu bestellen, Fräulein Hahnemeyer?“

„O, wenn Sie so gütig sein wollen, einen schönen Gruß.“

„Nicht zu vergessen die Tante Spörenwagen, die so trefflich unsere Stelle in der Eremitage in der Wildniß da oben vertritt? Sie soll ja nicht vergessen, dem Herrn Pastor die Offenbarung Johannis kühl vor der Nase zuzuschlagen, wenn sie ihn dreimal vergeblich zu Tisch gerufen hat und die Suppe sich nicht länger warm halten läßt.“

Damit ging er, den Hut schon im Zimmer sich aufdrückend – zaudernd – stehenbleibend – trabend, wenig in der Stimmung, auf seinem Wege ins Getümmel zurück, Grüße zu erwidern, oder sie gar selber zu bieten. Nur das brave Faktotum aus der weiland Apotheke „Zum wilden Mann“, Fräulein Dorette Kristeller’s alten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_592.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)