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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Wenn, Herr Stanley, wie zu vermuthen, wenigstens die Anfangszahlen Ihrer Liste richtig sind, hatte die Expedition im ersten halben Jahre bereits 11% Todesfälle in Folge von Krankheit! und wenn wir die Zahl der Heimgekehrten, die doch gewiß möglichst schnell abreisten, berücksichtigen, sogar 14,4% Todesfälle. Für die folgenden vollen Jahre ist jedoch nach Ihrer Aufstellung der thatsächliche Procentsatz der Todesfälle nicht zu ermitteln. Warum geben Sie auch hier nicht einmal zuverlässige Zahlen? Es würde von höchster Wichtigkeit sein![1] – –

*  *  *

Sie belehren auch die Leser über die Preise der Waaren (I, 213) und wie billig die Association dieselben abgiebt:

„Eine Länge besteht aus 6 engl. Yards gewöhnlichem Calicot, die an der Küste einen Werth von 1 Dollar oder 4 Mark repräsentiren, während wir denselben nur mit 3 Mark berechnen.“

Daraus erkennt nun der Leser klar, wie uneigennützig das Unternehmen ist, wie einfach es praktische Philanthropie übt. Gerade darum muß ich Ihnen, Herr Stanley, recht scharf widersprechen. Sie haben überaus hohe Preise berechnet, und vor Allem die eigenen Beamten der Association sind davon betroffen worden. Hier etliche Thatsachen: Einige Stücke Zeug, welche mit 12 Mark ausgezeichnet sind, berechnen Sie mit 32 Mark! andere von 15 Mark mit 52 Mark! andere von 12 Mark mit 38 Mark, andere von 16 Mark mit 47 Mark, andere von 45 Mark mit 90 Mark, andere von 18 Mark sogar mit 108 Mark und so fort! Nun ergeben aber bereits die ersten Preise einen hübschen Verdienst; welch’ ausgezeichnetes Geschäft wird also bei dem unerhört gesteigerten Preise gemacht! Wie viel behält schließlich ein derartig behandelter Beamter von seinem Gehalte übrig?

Sie erzählen (I, 161, 165) von der Anlegung eines Gartens in der Station Vivi. Sie haben 2000 Tonnen der reichsten schwarzen Treibhauserde auf die Höhe schaffen lassen! Also etwa 2000 Tonnen! es ist kein Irrthum, denn die Zahl ist auf verschiedenen Seiten wiederholt. Binnen 20 Tagen wurden 5000 Kisten voll Erde, im Ganzen 2000 Tonnen auf den Berg getragen zur Herrichtung eines Gartens. Also pro Tag 250 Kisten, Gesammtinhalt 100 Tonnen. Jede Kiste enthielt demnach ⅖ Tonnen! Und je eine solche mit 400 Kilo Erde belastete Kiste hat ein Mensch auf seinem Kopfe den überaus steilen Hügelhang hinaufgetragen! Welche Leistung, Herr Stanley! Was sind neben Ihren und Ihrer Getreuen Thaten die Wunderwerke des Alterthums: der Pyramidenbau der Pharaonen, die schwebenden Gärten der Semiramis?

Ihre Erdumwälzung ist ein würdiges Seitenstück zu Ihrer Exportliste! Warum sollen Sie auch nicht statt 20 Tonnen 2000 Tonnen schreiben?

Diese 2000 Tonnen Erde wurden außerdem auch noch in einem bloß 2000 Quadratfuß großen Garten aufgeschichtet: 1 Tonne auf jeden Quadratfuß! Ein kleines Gebirge ist da aufgethürmt worden! Und „reichste schwarze Treibhauserde“, sagen Sie, Herr Stanley? Wo haben Sie diese denn in jener Laterit-Wüstenei herbekommen? Wo ist sie denn hingekommen? Wir haben nur schönen gelben Laterit gesehen, theilweise etwas grau gefärbt von der Kohle des verbrannten Hochgrases. Nichts wollte auf ihm wachsen, und selbst die Paar von Ihnen gepflanzten Bäumchen und etliches Grünzeug konnten nur durch fleißiges Begießen lebend erhalten werden! Die Dienstleute mußten das Wasser dazu 90 Meter vom Kongo heraufholen. Welche vortreffliche, praktische Gartenschöpfung!

Und wie hat sie sich bewährt? Die meisten Pflanzen sind elend zu Grunde gegangen. Ihre 2000 Tonnen der reichsten schwarzen Treibhauserde vermochten nicht, sie zu ernähren. Hören wir aber, was Sie darüber sagen. In der Schilderung Ihrer Rückkehr nach Vivi und Ihrer Begegnung mit mir loben Sie (I, 476) die Entwickelung Ihres Gartens im Gegensatze zu der von Ihnen behaupteten Vernachlässigung des unglückseligen Vivi durch die Menschen:

„Wenn aber die Menschen sich gleichgültig gezeigt hatten, so war die Natur wenigstens nicht träge gewesen. Die Mangobäume waren stattlich herangewachsen und die Melonenbäume so hoch geworden, daß ihr Grün das blendende Weiß der Gebäude beschattete.“

Nun, Herr Stanley, Sie bieten selbst ein vorzügliches Mittel, die Gerechtigkeit dieses Lobes zu prüfen. Mögen die Besitzer Ihres Buches das darin enthaltene Bild (I, 165) betrachten. Der Holzschnitt ist nach einer Photographie hergestellt, die in viel späterer Zeit von Vivi angefertigt worden ist. Demnach müssen die Bäume mittlerweile noch stattlicher geworden sein. Der Zeichner hat ebenfalls noch nachgeholfen. Und dennoch, kann die kühnste Phantasie sich diese kümmernden Gewächse vorstellen, wie sie „das blendende Weiß der Gebäude beschatten“?

Sie sind undankbar, Herr Stanley, daß Sie eines viel hoffnungsvolleren Gartens nicht erwähnen, den meine deutschen Gefährten unten im Thälchen von Vivi, wo das Wasser sich näher fand, eingerichtet hatten. Die Sämereien hatte ich selbst mitgebracht. Dank dieses ausreichend bewässerten Gartens, für welchen etliche Wasserträger ununterbrochen thätig waren, konnten Sie, Herr Stanley, damals in Vivi jederzeit mit frischem Gemüse bewirthet werden. Dergleichen war in der Expedition noch nicht dagewesen. Sie hatten doch noch nicht eine Gemüseschüssel Ihrer Beamten gefüllt. Später ist unter Ihrer Oberleitung dieser Garten auch wieder zur Wüstenei geworden.

Nach Ihrem Buche sollte man glauben, daß auf Ihren Spuren Alles zu grünen und zu blühen begonnen habe. Da schreiben Sie (II, 370) ohne Zaudern:

„Während die Association von Westen her mit Mangos, Melonen, Limonen, Orangen, Ananas und Guaven vorgedrungen ist – –“

Und Sie scheuen sich nicht, solche Sätze in einem Buche drucken zu lassen, das – wie Sie selbst rühmen – in acht Sprachen zugleich erscheint – obwohl jeder Europäer, der den Kongo kennt oder ihn noch besuchen wird, Ihnen gerade das Gegentheil nachweisen kann?

So schreiben Sie auch (I, 162), daß Sie Pflänzlinge von Sansibar den weiten Weg um Afrika mit sich geführt hätten. Wozu? Sie konnten dieselben doch am unteren Kongo und in den Landschaften im Norden und Süden nicht nur bei den Kaufleuten und Missionaren, sondern selbst bei den Eingeborenen im Innern, wenn auch nicht gerade an Ihrer Kongolinie, viel bequemer haben.

Ihr Unternehmen hat noch kein einziges neues Gewächs den seit Alters her im Lande kultivirten hinzugefügt! An Ihrer Kongolinie haben weder Sie noch die Association etwas Nennenswerthes begonnen, was etwa der praktischen Lösung einer Kulturaufgabe ähnlich wäre. Sie erstrebten ganz andere Dinge. Wollen Sie aber vielleicht behaupten, das sei jetzt anders geworden, nachdem das Nothwendigste gethan? Lesen Sie unten, was der bereits mehrfach citirte Regierungsvertreter schreibt, welcher zu Anfang dieses Jahres Ihren Spuren folgte.[2]

Und die Hausthiere, Herr Stanley? Weit im Inneren, z. B. am Pocock Bassin, halten die Eingeborenen sogar Haustauben, die von den südlicheren Küstenstrichen allmählich so weit ins Land gelangt sind. Sollen diese vielleicht später als Abkömmlinge der glücklich bis Vivi gebrachten Brieftauben angesehen werden?

Freilich hat Ihr Unternehmen jetzt auch Rinder eingeführt. Aber wozu eingeführt? Rinder gab es im Unterlande daselbst doch schon in Menge, und zwar ehe man überhaupt Ihren Namen nannte, Herr Stanley. Wie viele hat allein das holländische Haus dort gezüchtet, trotz der Schwierigkeiten, das Futter zu beschaffen! Pferde und Esel sind auch vorhanden, waren schon vor Ihnen da, Herr Stanley. So auch Schweine, Schafe, Kaninchen, Truthühner, Enten, Hofhühner der verschiedensten Rassen, Haustauben. Will man auch diese Errungenschaften vielleicht als ein Verdienst der Expedition angesehen wissen? auf welcher Ihrer Stationen wären die etwa zu finden?

Sollte man nicht glauben, das Kongoland beginne erst seit den Unternehmungen der Association aus Elend und Barbarei emporzusteigen?

Allerdings, zu meiner Zeit sind einige Rinder weiter den Kongo hinauf, als sie bis dahin vorkamen, geschafft worden – nämlich bis Vivi. Sie gingen den Weg alles Fleisches; das Land erzeugte nicht Futter genug für sie. Und die armen Maulthiere, die Sie, Herr Stanley, zwischen Vivi und Isangila zum Gütertransport verwandten? Ihre Knochen bleichen am Wege. So ist es denn auch in dieser Hinsicht jenseit Vivi auf Ihren Spuren wüst und leer. Und was sich dort etwa findet, besitzen die Eingeborenen seit uralter Zeit. Lesen Sie wiederum, was der officielle Gewährsmann darüber sagt.[3]

Herr Stanley! was bleibt eigentlich noch übrig von all den Herrlichkeiten des Kongostaates? Prüfen wir weiter.

Ohne Zaudern und Einschränkung rühmen Sie (II, 369) die Mineralreichthümer. „Eisen im Ueberfluß.“ Kennen Sie auch Eisenerze, Herr Stanley? Dieses allenthalben im Lande vertheilte Eisen würde selbst an den reichsten Lagerstätten nur dann einigen Werth besitzen, wenn die Kohlen gleich daneben lägen. Exportiren Sie nur die Speerspitzen und Messerklingen der Eingeborenen – machen Sie Solingen und Sheffield Konkurrenz! Und die Kupfererze? Diese wie ihre Fundorte sind seit Menschengedenken bekannt. Einst wurden die Erze von Sklavenkarawanen mit zur Küste gebracht; jetzt lohnt es sich nicht mehr, dieselben nur zehn Kilometer weit zu tragen. Die Kupfererze von Kudondo und Manyanga sind im Handel gewesen. Die von Bembe haben europäische Gesellschaften bereits vor Jahrzehnten auszubeuten versucht. Mit welchem Gewinne – fragen Sie die trauernden Aktionäre. Kongoland hat eine Geschichte, die lange vor Ihnen anhebt, Herr Stanley! Es ist dort schon Manches erreicht, Manches versucht worden, ehe Sie auf den Gedanken kamen, ein Dorado aufzuschließen.

Und wissen Sie nicht, daß bei den herrschenden Kupferpreisen nur reichste Erze in günstigster Lage noch den Abbau lohnen? Wer soll denn im Kongolande die Minen bearbeiten? Etwa die Eingeborenen? Sie erzählen von den Kupferbarren der Leute von Manyanga. Diese schmelzen sich mühsam etwas Kupfer für den Zwischenhandel mit ihren Nachbarn aus – wollen Sie etwa behaupten, daß diese selben Leute der Association auch nur eine Tonne ihrer Barren im Jahre liefern würden oder liefern könnten? –


  1. Es sind von verschiedenen Seiten, und nicht anonym! schwerwiegende Zweifel an der behaupteten Zuträglichkeit des Klimas und dem Wohlbefinden der Beamten am Kongo wiederholt ausgesprochen worden. Diesen wird lediglich durch anonyme Notizen in der Tagespresse entgegengewirkt. Muß dieses Verfahren nicht endlich bei Jedermann Bedenken erregen? Die Association rekrutirt ihr Personal aus so ziemlich allen civilisirten Nationen; sollten diese daher nicht ein gewisses Recht haben, zu fragen, wie das Schicksal ihrer Angehörigen sich gestaltet? Sollte sich die Association nicht endlich bewogen finden, den Beweis der Wahrheit für die Zeitungsnotizen anzutreten, die Gemüther zu beruhigen, indem sie eine officielle ausführliche Liste über Dienstzeit und Verbleib ihrer sämmtlichen seit sechs Jahren angeworbenen Beamten veröffentlicht? Liegen die Verhältnisse wirklich so günstig, wie durch die Tagespresse behauptet wird, so kann sich die Association selbst durch eine officielle Veröffentlichung einen großen Dienst erweisen.
  2. Tisdel: Congo, No. 4, pag. 3. „Alles, was für die Angestellten der Association gebraucht wird, kommt von Europa, die einzig mögliche Ausnahme in Bezug auf die Verpflegung ist, daß gelegentlich Ziegen oder Hühner gekauft werden können, und für die eingeborenen Träger mögen zuweilen Maniok, Mais, Bananen und Erdnüsse beschafft werden. Dies gilt für die ganze Inlandlinie jenseits Ponta da Lenha am unteren Kongo, und die wiederholten Behauptungen, welche von Zeit zu Zeit in der europäischen Tagespresse aufgestellt wurden, dahin lautend, daß alle Arten tropischer Früchte, Gemüse, Rinder und Schafe im Ueberfluß erzeugt würden, entbehren in Wirklichkeit der geringsten Begründung, wenigstens so weit meine Beobachtung und Untersuchung sich erstreckte.“
  3. Tisdel: Congo, No. 4, pag. 18. „Pferde und Rinder sind unbekannt, und nur drei Maulthiere, das Eigenthum von Oberst Sir Francis de Winton, sind jetzt am Leben im Kongothal. Das Futter für diese Maulthiere wird von Europa gebracht.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_727.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2023)