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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Mutter erzählt hat. Das stimmt ja nun freilich in keiner Weise mit den Erlebnissen der Heldin meiner Geschichte. Aber kann Ihnen ihr Adoptivvater nicht aus immerhin ehrenwerthen Gründen die Wahrheit verschwiegen und anstatt derselben ein Märchen aufgetischt haben?"

„Das ist unmöglich, Hoheit," erwiderte ich. „Dazu war der Vater nicht der Mann. Aus seinem Munde ist nie ein unwahres Wort gegangen."

„So mag es für ihn Wahrheit und doch ein Märchen gewesen sein - dann von der Erfindung ihrer Frau Mutter selbstverständlich. Ich bemerke dazu, daß in den Zeitungen über die Erlebnisse der Miß Bogtriz in den Jahren, welche zwischen ihrem Verschwinden vom amerikanischen Schauplatze und ihrem Wiedererscheinen auf demselben liegen, nichts verlautet, wir also Freiheit haben, diese lange Intervalle nach Belieben - ich meine so auszufüllen, wie wir müssen, wollen wir sie - ihre Mutter - ins Spiel bringen."

„Aber weßhalb wollen Hoheit das?" rief ich.

„Nun mein Gott,“ erwiderte er lebhaft, „das ist doch am Ende leicht begreiflich. Ich glaube Ihnen ausreichende Beweise gegeben zu haben, daß ich mich für Sie interessire; daß ich Ihr Bestes will; Ihnen eine Position im Leben zu verschaffen wünsche, die den Aspirationen, zu welchen Sie ihre schönen Talente berechtigen, entspricht. Leider wird die bloße Berechtigung des Talentes heut zu Tage selten anerkannt, jedenfalls leichter anerkannt, und das Talent selbst kann sich ganz anders frei und fröhlich entfalten, wenn es die irdische Basis eines soliden Vermögens hat. Das kann ich Ihnen beim besten willen nicht gewähren, denn ich bin selbst ein armer Mann. und da reizt mich - ich gestehe es gern - der Gedanke, es Ihnen auf diese Weise zu verschaffen. Ich gebe ja zu, die Kombinationen, welche ich da in Ihrem Interesse gemacht, beruhen nur auf Möglichkeiten - Unwahrscheinlichkeiten, wenn Sie wollen; aber es wäre wahrhaftig nicht das erste Mal, daß die anfangs unwahrscheinlichsten Möglichkeiten sich nachträglich in die erfreulichsten Wirklichkeiten verwandelten."

Ich hatte, während der Herzog so sprach, meinen Sitz ihm gegenüber verlassen und war gegen alle Etikette in peinlichster Erregung im Zimmer auf- und abgeschritten. Bei seinen letzten Worten wandte ich mich wieder zu ihm und rief:

„Wenn nun aber diese Wirklichkeit für mich keine erfreuliche; wenn ich trotz aller Zweifel, die mir in bösen Stunden kommen wollten, mich immer wieder daran festgeklammert habe, wie an einen letzten Rettungsanker, daß meine Mutter, was sie auch an mir gefehlt haben mag, doch ihrem Gatten, meinem Vater, ein treues und liebendes Weib gewesen ist; wenn die Vorstellung der bloßen Möglichkeit, jene amerikanische Abenteurerin könnte meine Mutter sein, und ich müßte mir meinen Vater der Himmel mag wissen wo suchen, mich mit schauderndem Abscheu erfüllt; ja, wenn ich diesen Vater, er sei auch wer er sei, der dann meine Mutter so tief unglücklich gemacht hätte, daß sie mich, ihr Kind, hassen konnte - wenn ich den Mann im Voraus hassen müßte als meinen ärgsten Feind, und das Schicksal bitten müßte, es möchte mich vor dem Gräßlichen bewahren, ihn im Leben jemals zu begegnen -“

„Genug!“ unterbrach mich der Herzog mit rauher gebieterischer Stimme, indem er sich in den Hüften aufreckte und mir einen schnellen drohenden Blick zuwarf; - „setzen Sie sich!“

Ich that, wie er geheißen, voll bittersten Grolles, daß ich gehorchen mußte, während es in meiner Seele nach Freiheit schrie aus dieser goldenen Sklaverei, deren hohnvollen Gegensatz zu dem Schwur, den ich am Sarge des Vaters gethan, ich nie annähernd so tief empfunden, als in diesem Augenblicke.

Er rauchte ein paar Sekunden still vor sich hin, dann sagte er in dem ruhig vornehmen Tone, welcher ihm in jedem Moment zu Gebote stand:

„Sie sind über Gebühr aufgeregt. Ich wiederhole, was ich da gesagt und angedeutet, das sind Kombinationen, wie sie ein Kopf, der nicht ohne alle Phantasie ist, zusammenzuwirken liebt, und die Sie, der Poet, welcher mit dergleichen ex officio hantirt und noch viel krausere Dinge alle Tage ausheckt, Unsereinem - noch dazu, wenn die Absicht die beste von der Welt ist - doch nicht gleich gar so sehr verübeln sollten. Uebrigens kann ich Ihnen zu ihrer Beruhigung sagen, daß ich, wenn ich mich aufs Phantasiren lege, mir die europäische Episode im Leben der schönen Amerikanerin noch ganz anders auszufüllen vermag, und ich muß mich wundern, daß der Herr Poet nicht von selbst darauf verfallen ist. Oder hätten ihnen Renten und die anderen Herren wirklich niemals von der hübschen Miß erzählt, die vor einer Reihe von Jahren hier an meinem Theater sang und spielte und mit ihrem Kinde den Tod im Wasser suchte?“

Wieder blickte er mich mit starr gläsern forschenden Augen an; ich schlug die meinen nicht nieder. Ich war empört. Wie konnte er er es wagen, auf diese gräßliche Geschichte auch nur anzuspielen?

„Ich habe davon gehört," erwiderte ich, „lange zuvor: schon von dem Kammerherrn.“

„Ah!" sagte der Herzog mit einem Lächeln, das mir seltsam gezwungen schien, „der Kammerherr. Da kann ich mir freilich denken, wie er sie erzählt hat. Nun, das mag er mit seinem Gewissen ausmachen. Und da ich keine Ursache habe, ihm das zu erleichtern, habe ich ihn bis heute in dem Glauben erhalten - und gedenke es auch ferner zu thun - daß die Geschichte jenen tragischen Ausgang nahm, mit dem er sie Ihnen erzählte,"

„Hatte sie denn einen anderen?" fragte ich verwundert.

„Freilich,“ erwiderte der Herzog; „denn, sehen Sie nicht, mein höchst scharfsinniger Herr Poet, daß, wenn das nicht der Fall gewesen wäre, ich doch nicht eine Affaire, die hier ein so jähes Ende fand, weiter spinnen und mit der famosen amerikanischen Geschichte kombiniren könnte? Nun, so will ich Ihnen denn sagen, was außer mir und einem Zweiten bis jetzt kein Mensch weiß. Dieser Zweite aber ist der Müller, zehn Minuten von meinem Bellevue, welcher die Unglückliche sammt ihrem Kinde aus dem Wasser gezogen hat und ihr, nachdem er sie noch zwei Tage in seiner Mühle vor aller Welt verborgen gehalten, zur Flucht behilflich gewesen ist. Das Letztere wiederum vor aller Welt geheim, außer vor mir, der ich meine Gründe hatte, der Aermsten die Verborgenheit zu gönnen, nach der sie ein unwiderstehliches und mir sehr begreifliches Verlangen trug. Auch ich hätte mich täuschen lassen wie Jedermann und an das Märchen von der Unauffindbarkeit der Leichen geglaubt, nur daß man einem alten Jäger, Vogelsteller und Fischfänger wie mir nicht so leicht ein Märchen aufbindet, und ich dem Müller auf den Kopf zusagte, wie sich die Sache verhielt. Er ist ein alter zäher Mensch und war der Dame sehr ergeben; aber seinem Herzog gegenüber wagte er denn doch nicht, mit der Wahrheit zurückzuhalten, was ihm nebenbei auch nichts geholfen haben würde. Nun aber paßt Alles - was, wie ich Ihnen herzlich gern zugebe, auf Ihre Mutter gar nicht paßt - á merveille auf meine kleine Sängerin, und ich konnte Ihnen mit den Theilen, die ich in der Hand habe, eine Geschichte konstruiren, die, wenn sie nicht wahr ist was ich nicht behaupte - doch auf gute Erfindung und logische Konstruktion einigen Anspruch machen dürfte. indessen, Sie sind nun heute Abend einmal für meine poetischen Leistungen nicht empfänglich, und Sie haben mir dadurch völlig den Muth genommen zu einer anderen kleinen Ueberraschung, die ich für Sie vorhatte und die ich nun in petto behalte. Also sprechen wir von etwas Anderem. Wie steht es mit dem „,Münzer'?"

Ich blickte erschrocken auf. Er war heute wirklich fürchterlich. Was wollte er nun wieder von meinem ,Münzer' in dem Augenblick, wo ich mit ganzer Seele bei der letzten Geschichte war, die mich ganz anders interessirte, als der beleidigende Unsinn, in welchen er vorhin den Namen meiner Mutter gemischt hatte. Der ,Münzer' war ein Thema, wie er es für die Stimmung, in der ich mich befand, übler nicht hätte wählen können.

„Schlecht steht es," sagte ich nach einer unschicklich langen Pause. „ich kann, je weiter ich komme, mich um so weniger mit der Auffassung Eurer Hoheit befreunden. Behielten die Fürsten nicht nur Recht, wie sie es ja leider in Wirklichkeit gethan haben, sondern hatten auch Recht, wie Hoheit meinen während sie nach meiner Ansicht nur deßhalb obsiegten, weil sie im Besitz der Macht und Gewalt waren und hier, wie auch sonst, Macht vor Recht ging - dann habe ich, offen gestanden, auch keine Freude mehr an dem Werke, das sich mir unter den Händen zu einem Lobgesang für die Fürsten verwanden aus einem Mene Tekel der von den Fürsten gemordeten Freiheit.“

„Das thut mir aufrichtig leid," erwiderte der Herzog, jetzt wieder ganz in seinem alten freundlich gütigen Tone; „ich hatte

geglaubt, daß meine Ansicht, als die historisch richtige, auch in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_336.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2017)