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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Das sehe ich, freilich,“ rief Ulrich; „aber das hindert doch nicht, daß Du jetzt wieder hereinkommst. Marsch, marsch! Keine Widerrede! So jung kommen wir drei nicht wieder zusammen.“

Er hatte uns vor sich her in den Korridor gedrängt, auf welchem sich zu meiner großen Beruhigung Johann bereits eingefunden hatte und Ulrich den Ueberzieher abnahm.

„Sie sehen, ich bin nicht schuld daran,“ sagte Ellinor halblaut zu mir.

„Woran nicht schuld?“ fragte Ulrich, uns in das Zimmer folgend. „Herr Gott, das sieht hier aber mit jedem Mal gelehrter aus! Woran nicht schuld, Ellinor?“

„Du mußt wissen, daß dieser Herr mich gar nicht freundlich behandelt hat,“ erwiderte Elliuor. „Ich habe bitten und betteln müssen, daß er nächsten Mittwoch zu uns kommt, und ich bin noch gar nicht sicher, daß er kommt.“

„Könnt’s ihm nicht verdenken,“ rief Ulrich. „Es wird wieder einmal schauderhaft langweilig sein. Aber kommen muß er doch, das versteht sich. Punktum!“

Er hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen, der unter seiner Wucht krachte; sprang aber sofort wieder auf, um sich dicht vor mich zu stellen: „Bei Gott, ich glaube, das Kind ist so groß wie ich! Oder größer? Du Ellinor, sag’! mal!“

„Da müßt Ihr Euch mit den Rücken gegen einander stellen.“

„Versteht sich. Aber ehrlich, Mädchen, ehrlich!“

„Er ist mindestens einen Finger breit größer.“

„Dacht’ ich mir. Ich habe einen unfehlbaren Blick für so was. Spielt bei den Mensuren eine große Rolle. Aber ich gönne es ihm.“

„Fahre nur fort, ihn zu verwöhnen! Wir werden so schon unsere liebe Noth mit ihm haben.“

„Werden wir, Ellinor, zweifellos. Aber er verdient es auch.“

„Wodurch? daß er uns Vogtriz alle, Papa natürlich ausgenommen, behandelt, als wenn wir seine geborenen und geschworenen Feinde wären.“

Ihre Augen blitzten wieder, aber jetzt nicht vor Zorn. Die schalkhaftesten Lichter huschten über ihr Gesicht und ließen es für mich in dem alten unvergessenen Zauber erglänzen – ganz wie in den selig-unseligen Nonnendorfer Tagen. Und hatte sie in Ulrich’s Gegenwart die vornehmkühle Maske fallen lassen, ich suchte wohl weiter ruhig und gelassen zu scheinen, aber das Herz pochte mir, als habe es Eile, das vorhin Versäumte nachzuholen.

Ulrich war bei ihren letzten Worten ernsthaft geworden.

„Na Ellinor,“ sagte er, „viel Freude haben wir ihm just nicht bereitet. Ich denke noch schaudernd an das letzte Frühstück in Nonnendorf, das lange Gesicht von Mama und die Miene von Papa – als ob die große Scheune brennte! – Und gar Du, Ellinor! Ich hätte Dir bei Gott in dem Augenblick das hübsche Hälschen umdrehen mögen, als Du mit Astolf weiter spaßtest und ruhig Deine Kirschen nutschtest, während der arme Kerl für seine Marotte so ritterlich ins Feuer ging. Und nun gar hinterher ich – weißt Du denn, alter Kerl, daß wir uns nicht wieder gesehen haben seit der verfluchten Rauferei im Rathskeller? denn als wir Dich hernach für todt nach Hause trugen, da hast Du wenigstens mich nicht mehr gesehen. Und das war gut für Dich: ich stand auf dem Punkte verrückt zu werden. Ist denn Alles wieder ordentlich ausgeheilt? Es muß doch wohl. Wenigstens sagt Renten – Du Ellinor, weißt Du, daß Dein Anbeter Numero vier – oder ist es fünf – wo willst Du hin?“

„Soll ich mir hier weiter von den Herren Ungezogenheiten sagen lassen? Ich habe ihnen die Ehre meiner Gegenwart schon viel zu lange geschenkt. Meine Herren –“

Sie nickte uns zu und schritt nach der Thür, begleitet von Ulrich und mir.

„Ich habe ja Deinen Wagen nicht gesehen,“ sagte Ulrich.

„Ich bin zu Fuß gekommen – allein, und wünsche auch ebenso wieder nach Hause zu gehen.“

„Habe ich Dir meine Begleitung schon angetragen?“

„Ich wollte Dich darauf aufmerksam machen, daß es Deine Pflicht gewesen wäre. Kindskopf! es ist ja nicht mein Ernst. Ihr Beide werdet einander noch genug zu erzählen haben. Adieu!“

Sie nickte uns beiden noch einmal lächelnd zu und ging leichten Schrittes die Treppe hinab. Wir kehrten in den Flur und in das Zimmer zurück; Ulrich warf sich wieder in den krachenden Stuhl.

„Es ist gut, daß die kleine Hexe fort ist. Da kann man doch endlich ein vernünftiges Wort sprechen. Aber Kind, wie hast Du Dich verändert! Bei Gott, ich glaube, ich hätte Dich auf der Straße nicht wieder gekannt!“

4.

Wir saßen uns gegenüber und betrachteten einander mit jenem prüfenden Blick, der die Geschichte von Jahren, die inzwischen vergangen sind, aus den alt bekannten und doch entfremdeten Zügen des Freundes zu lesen sucht. Ach, sie konnten nicht gut gewesen sein, diese Jahre, für den armen Freund, und sie hatten ihm auch äußerlich nicht gut gethan! Das war der Jünglingslöwenkopf nicht mehr, der nur in seiner Häßlichkeit so schön erschienen war; das waren nicht mehr die großen treuherzigen blauen Augen! Sie hatten jetzt einen härteren, bis zur Starrheit festen Blick, als gelte er einem Gegner aus der Mensur, und schienen mir kleiner, wie auch der Kopf – letzteres Wohl, weil die frühere Löwenmähne militärisch kurz geschoren war und die Schultern so mächtig ausgeladen hatten. Die breiten unregelmäßigen rothen Striemen, die über die rechte Wange hinauf zur Schläfe und hinab bis ins Kinn liefen, waren in meinen Augen auch keine Verschönerung; und der dicke rothblonde Schnurrbart, der statt des blonden Flaums von damals die Oberlippe bedeckte, schien dem eckiger und länger gewordenen Gesicht den Ausdruck der alten kindlichen Gutmüthigkeit vollends rauben zu wollen. Nein, das war nicht länger der alte Schlagododro, und es kostete mich keine Ueberwindung, ihn jetzt, wie wir da so still einander betrachteten, im Geiste bei seinem wirklichen Namen zu nennen.

„Ich habe Dich sofort wieder erkannt,“ sagte ich, die wunderliche Pause, welche so plötzlich entstanden war, unterbrechend.

„Du hast mich inzwischen gesehen?“

„Vor acht Wochen vielleicht – an einem regnerischen Abend – Du warst nicht allein – mit einer Dame –“

„Ach!“ sagte er. „Christine Hopp?“

„Ja.“

Er hatte einen Moment an mir vorübergeblickt, faßte mich aber alsbald wieder mit dem starren Mensurblick ins Auge und sagte: „Es ist sehr korrekt von Dir, daß Du die Sache sofort zur Sprache bringst. So etwas ist ein Stein des Anstoßes, oder kann es werden; also weg damit und Bahn frei! Also: ich danke Dir, daß Du Dich des Mädchens in so wirksamer Weise angenommen hast. Im Anfang fand ich natürlich, es sei eine unbefugte, verdammte Einmischung und so weiter und so weiter. Das hielt aber nicht lange an, und wie gesagt, ich danke Dir. Du hast mich von einer großen Last befreit. Ein solches Mädchen, das sich ernsthaft in Einen verliebt, hat wirklich sein sehr Unbequemes, und wenn sie sich nun gar in den Kopf setzt, man werde sie heirathen, ist vollends der Teufel los. Ich verstehe nicht, wie die Frauenzimmer zu dem Unsinn kommen – selbst leidlich gescheite wie Christine. Aber wer versteht denn die Frauenzimmer! Nicht wahr, Melac?“

Und er tappte dem Hunde, der neben ihm saß und mit den blaugrauen Augen zu ihm aufblinzelte, den großen Kopf.

„Im Interesse der Frauenzimmer,“ sagte ich, „wäre es zweifellos mehr, wenn sie ihre Herren Liebhaber einigermaßen verstünden und sich über den rücksichtslosen Egoismus derselben keiner Täuschung hingäben.“

„Das geht auf uns, Melac,“ bemerkte Ulrich, der Dogge das gestutzte Ohr zupfend.

„Wenigstens auf Deinen Herrn,“ sagte ich, die Dogge anredend.

„Natürlich auf Deinen Herrn,“ sagte Ulrich ebenso. „Denn schließlich bist Du doch nur ein Hundevieh, und so kann man von Dir vernünftigerweise keine Moral verlangen.“

Es kam so drollig heraus; ich mußte lächeln, wie ernsthaft mir auch zu Muthe war.

„Na,“ sagte Ulrich, „ich glaubte wahrhaftig, der Humor sei bei Dir ganz zum Teufel. Nun, da ich sehe, daß es, Gott sei Dank,

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