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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

bitteren und höhnischen Repliken fortreißen ließ. So gab es ein häßliches Rededuell, das endlich durch den Eintritt meines guten Papas zum Stillstand kam.

Ich schwieg, denn der Bundesgenosse, den ich in meinem Bruder zu finden gehofft hatte, um meine Sache beim Vater durchzufechten, hatte sich als gehässiger Gegner erwiesen. Ich war ratloser als zuvor. Wie sehnsüchtig dachte ich an meine Maria, die mir mit ihrer ruhigen Klugheit in meinen kleinen Backfischnöten zur Seite gestanden hatte und auch jetzt mir gesagt haben würde, was mein Recht und meine Pflicht gewesen wäre.

Aber es kam ja auch nicht dazu, daß ich diesen Konflikt mit eigener geistiger Schärfe lösen sollte. Das Schicksal löste ihn und verwies mich einzig auf die nächste, sehr sehr traurige Pflicht.

Mein lieber Vater, der sich in seinem Amt übermäßig angestrengt hatte – preußische Beamte werden nicht geschont – verfiel in eine schwere Krankheit – die seine letzte sein sollte. Als er nach einem monatelangen Hinsiechen die Augen schloß, waren alle Gedanken an mein eigenes Lebensrecht in mir verstummt. Ich hatte keine andere Aufgabe vor mir, als meiner kraftlosen Mutter eine Stütze zu sein und ihr wenigstens die peinlichsten Lebenssorgen abzuwehren.

Denn wir fanden uns plötzlich nach einem leidlichen Wohlstand in sehr engen Verhältnissen. Die Witwenpension reichte nicht entfernt dazu hin, das Haus auf dem alten Fuße fortzuführen, zumal mein Bruder mit zu erhalten und verschiedene Gläubiger zu befriedigen waren. Nun erst erhielt ich auch einen Einblick in die üble ökonomische Wirtschaft, zu der gewisse Vorurteile veralteter Solidität und häuslicher Tüchtigkeit meine gute Mutter geführt hatten. Ich will dich mit den Details verschonen! Sie hatte es immer gut gemeint, aber nie gelernt, das Hauswesen im ganzen zu übersehen und nach einem vernünftigen Plane zu leiten. So Vieles, was mit einem unverhältnismäßigen Aufwand von Müh’ und Zeit zu Hause gemacht werden mußte, wäre so viel wohlfeiler im Laden gekauft worden. Als ob Zeit nicht auch Geld, und Mühe nicht auf edlere Dinge zu verwenden gewesen wäre! Schon früher hatte ich mir bei dieser oder jener Anschaffung oder einer Maßregel, die mir ebenso kostspielig als unzweckmäßig schien, eine bescheidene Einwendung erlaubt und war immer damit abgewiesen worden, auch bei ihrer Mutter sei es so gehalten worden. Vierzig Jahre früher, als Berlin noch nicht Weltstadt war! Jetzt ließ die schwergebeugte arme geliebte Seele die Zügel des Hausregiments ohne Widerstand aus den Händen gleiten. Sie hatte mit dem geliebten Manne allen Halt, allen Lebensmut verloren. Noch kein Jahr war vergangen, so geleiteten wir auch sie zur letzten Ruhe.

An ihrem Sarge hat mir mein Bruder nach jenem heftigen Streit zum erstenmal wieder die Hand gereicht. Er schien nun doch zu ahnen, daß er im Unrecht gewesen war. Denn er sah seine Schwester vor die Aufgabe gestellt, sich mit eigner Kraft durchs Leben zu helfen. Und hatte die Erziehung, die sie erhalten, ihr die Mittel dazu gegeben?

Laß mich mit dieser ungelösten Zukunftsfrage für heute schließen liebstes Herz. Mein Mann kommt eben aus seiner Gesellschaft zurück, ich sehe mit Schrecken, daß es halb Mitternacht ist. Dich um Entschuldigung zu bitten, daß ich diese Bekenntnisse einer armen Seele so weitläufig vor Dir ausbreite, enthalte ich mich, da ich Dein Herz kenne und aus jedem Deiner lieben Worte die Gewißheit schöpfe, daß Du mein Bedürfnis begreifst, über die bunte Kluft der acht Jahre die zwischen uns liegt, eine Brücke zu schlagen.

Gute Nacht, Mary! Küsse Deine lieben Buben von Deinem alten                „Darlingchen.“

(Fortsetzung folgt).

Deutsche Städtebilder.
Stargard in Pommern.
Von G. Stephani-Stettin. Mit Illustrationen von Fritz Stoltenberg.

Was Rothenburg und Nürnberg für Bayern sind, das sind, wenn auch in bescheidenerer Weise, Stargard und Stralsund für Pommern, die Heimstätten mittelalterlicher Kunst und Größe. Nürnberg und Stralsund sehen alljährlich tausend und aber tausend Fremde in ihren Mauern. Die Besucher kommen, nicht weil diese Städte das direkte Ziel ihrer Reise sind, nein, mehr zufällig finden sie sich dort ein. Wer vom Norden nach den Alpen oder nach Italien fährt, nimmt auch Nürnberg mit, das so bequem am Wege liegt, und wer in ein Ostseebad geht, stattet nebenher auch Stralsund einen Besuch ab. Dort ist es die Lage an der großen Verkehrsstraße, hier die Lage am schönen Ostseegestade, welche die Fremden herbeiführt.

Aber wie wenige von denenen, welche auf ihrer Südlandsreise in Nürnberg vorsprechen, machen bei derselben Gelegenheit auch einen Abstecher nach Rothenburg? Das Städtchen liegt zu weit ab und man müßte, um es aufzusuchen, zwei Tage opfern. Ein ähnliches Geschick widerfährt Stargard. Abseits von der großen Heerstraße, die nach der Ostsee führt, bleibt es den meisten Sommergästen, welche zum Meere kommen, unbekannt. Vielleicht, so denken gewiß viele, verlohnt sich ein Abstecher nach Stargard auch kaum der Mühe. Im Gegenteil, Stargard ist eines Besuches wert. Hält die Stadt auch keinen Vergleich aus mit ihren eben genannten süddeutschen Schwesterstädten, so ist sie doch für den, der ein Interesse nimmt an den Kunstleistungen unserer Altvordern, nach Stralsund die sehenswürdigste Stadt Pommerns.

Stargard hat gegenwärtig rund 25 000 Einwohner, eine weit höhere Bevölkerungsziffer, als sie die Stadt in den Tagen ihrer ersten Blüte gehabt haben kann. Der rasch gestiegenen Einwohnerzahl entsprechend, ist sie über ihren früheren Umfang weit hinausgegangen und zeigt, wie viele zu neuem Aufschwunge gelangte alte Städte eine doppelte Physiognomie, eine regelmäßig angelegte vornehmlich nach der Bahnhofsseite sich ausbreitende Neustadt und das unregelmäßige Häusergewirr der sich um die Hauptkirche drängenden Altstadt. Die industriellen Anlagen, welche Stargard zu neuer Blüte geführt haben, hauptsächlich Eisengießereien und Maschinenbauanstalten, haben wie anderwärts so auch hier in den neuen Vierteln ihren Platz gefunden. Die Altstadt muß sich sehr bescheiden, doch wenn die jährlichen großen Woll- und Viehmärkte nahen, dann gewahrt man, daß sie trotz der sehr veränderten Verhältnisse dennoch das Herz der Stadt geblieben ist, wo Handel und Wandel heute noch ihren Brennpunkt haben.

Stargard ist eine der ältesten Siedelungen der Provinz. Eine Bulle Innocenz’ II. thut bereits 1140 des Ortes Erwähnung, der im Jahre 1253 durch den Pommernherzog Barnim I. zur deutschen Stadt erhoben wurde. Anfangs ein Zankapfel zwischen den Markgrafen von Brandenburg und den Pommernherzögen, wurde sie hernach einer der zuverlässigsten Stützpunkte der herzoglichen Hausgewalt in Pommern. Der etwa 1368 erfolgte Anschluß an den Hansabund und die von den Herzögen Privilegien, vorab die freie Schiffahrt auf der Ihna, brachte Stargard zur hohen Blüte, so daß die Stadt im 14. Jahrhundert als die erfolgreiche Rivalin Stettins und als ein sehr gewichtiges Glied der Hansa angesehen ward. Sie war an Mauern und Mannen die stärkste in Hinterpommern und ihre Bundesgenossenschaft den pommerschen Herzögen bei ihren Kämpfen gegen den rebellischen Adel ebenso willkommen wie der Hansa bei ihren Seezügen gegen die Vitalienbrüder unentbehrlich. Das furchtbare Kriegselend, das von 1627 bis 1643 in immer neuen Schauern über das Land hinwegfegte, hat auf Jahrhunderte Stargards Kraft gebrochen. Aber so sehr auch die Stadt unter dem Dreißigjährigen Kriege gelitten, so unersetzlichen Schaden vor allem die furchtbare Feuersbrunst von 1635 ihr zugefügt hat, es ist doch noch gar manches erhalten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_764.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2017)