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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

daß selbst auf diesen eisigen Höhen nicht alles Leben der treibenden Natur erstorben ist.

Der Rückweg vom Gipfel ist oft nicht weniger beschwerlich und erfordert wegen der Steilheit und des Zurückprallens der Sonnenstrahlen, welche die nahen Abgründe beleuchten, wegen großer Hitze, weicheren Schnees, in den man einsinkt, gleiche Vorsicht. Oft ist man genöthigt, scharf sein Ziel im Auge, Abhänge hinabzugleiten; ein Ueberschießen des Zieles kann Verderben bringen. Gewitterstürme und dichter Schneefall überraschen nicht selten die Heimkehrenden und machen die Lage noch bedenklicher, wenn die Spur des Heraufwegs dadurch verloren gehen sollte. Dann quälen Hagelschauer und Kälte, wie vorher Hitze. Genug, um auch die Unerschrockendsten beben zu machen. Mit Auldjo, dessen lebendige Beschreibung wir theilweise benutzt haben, wiederholte sich eine Scene, wie sie wohl aus der Schreckenszeit des französischen Rückzugs aus Rußland erzählt werden. Er war in einem solchen Hagel- und Schneesturme so erstarrt, daß ihn die Führer im Kreise umschlossen, mit ihren Körpern wärmten, ihre Jacken auf ihn deckten, seine Hände in ihren Busen wärmten, während Andere auf seinen Füßen lagen, und ihn so wieder in einen Zustand brachten, daß er weiter gehen konnte. Am Abend erreichte er Chamouny, von dem er nur 37 Stunden abwesend gewesen. Dieses „nur“ werden die Leser nun zu würdigen wissen, wenn sie nochmals die Mühen und Gefahren dieser Zeit an ihrem Geiste vorübergehen lassen. Und doch versichern Alle, welche diese Reise zurückgelegt, daß die Erhabenheit und Herrlichkeit Dessen, was sie gesehen, alle jene Mühseligkeiten überreichlich aufwiege!

Dr. L–n. 




Blätter und Blüthen.

Besuch bei A. v. Humboldt. Professor Silliman von der Universität Yale in Amerika hat eine interessante Reise durch Europa gemacht und beschrieben und dabei natürlich auch A. v. Humboldt besucht, welcher wohl noch von keinem wissenschaftlichen Manne der Welt, sobald es möglich war, unbesucht blieb. Wir kennen A. v. Humboldt bereits aus Nr. 37 der Gartenlaube v. J. und mögen deshalb ohne weitere Einleitung die Schilderung des Amerikaners übersehen. „Seine Wohnung in Berlin, versteckt in einem abgelegenen Theile der Stadt, ist ein einfaches Gebäude. Er ist selten zu Hause und würde es auch jetzt nicht gewesen sein, wäre der König nicht nach Königsberg gereist. Sonst wohnt er nämlich fast immer mit dem König in Potsdam, der ihn immer in seiner Nähe hält, sei es der Gesellschaft und Unterhaltung oder des Rathes wegen, den die Weisheit und Erfahrung vieler Jahre zu geben vermag. Wir gingen durch seine Bibliothek, welche eine große Räumlichkeit von allen Seiten füllt. Er kam uns aus seinem Privatzimmer sehr freundlich und mit der größten Unbefangenheit entgegen. Wir fühlten uns sofort ganz frei und leicht mit ihm. Sein ganzes heiteres Wesen drückt großes Wohlwollen aus, und aus dem Borne seinen unermeßlichen Wissens strömte ununterbrochen eine ganze Stunde lang ein Strom der anregendsten Mittheilungen; doch ging er dabei stets auf das Freundlichste auf alle unsere Fragen ein (Herr Silliman hatte seinen Sohn bei sich). Ihm stand das beste Englisch vollkommen zu Gebote und er sprach es sehr angenehm. Von diplomatischer und großmännischer Steifheit ist keine Spur bei ihm. Er ist so gesprächig und zugänglich, als hätte er nicht den geringsten Anspruch auf seine Größe. Seine stimme ist außerordentlich musikalisch; dabei ist er so lebhaft und liebenswürdig, daß man glaubt, er sei ein alter Freund. Seine Größe ist mittel, und die geringe Beugung in seiner Haltung läßt durchaus nicht den Achtziger vermuthen. Von der Stumpfheit hohen Alters keine Spur: seine Augen leuchten noch im Glanze der Kraft, seine Bewegungen sind leicht. Gesichtszüge und Umfang haben etwas Rundes, aber durchaus nichts Feistes. Das Haar ist dünn und schneeweiß, der Geist jung und ununterbrochen thätig, die Sprache brillant und häufig aufleuchtend in prächtigen Gedanken. Er schmeichelte uns wegen unserer Fortschritte in den Vereinigten Staaten, wie sich das besonders in dem „Amerikanischen Journal für Wissenschaft und Kunst“ zeige. Er zeigte sich mit allen unsern wissenschaftlichen Unternehmungen und Männern vollkommen vertraut und machte uns dann den von ihm schon vor 40 Jahren vorgeschlagenen Kanal durch den Isthmus von Darien zur Verbindung des stillen und atlantischen Meeres, auf einer Karte, die er ohne Brille gebrauchte, klar. Er führte uns rasch und sicher und leicht durch alle möglichen Gebiete des Wissens und zeigte sich auch politisch mit unsern Verhältnissen ganz vertraut. Humboldt, obgleich innig mit einem König verbunden, ist offenbar ein Freund menschlicher Freiheit und freut sich des Gedeihens unsres Landes. Er machte einige sehr treffende Bemerkungen über die Zustände Europa’s und die Unmöglichkeit, die Macht des Wissens und Willens, wenn sie eben vereinigt seien, durch physische Gewalt niederzuhalten. Zuletzt erzählte uns der 80 jährige Mann, daß die meisten seiner Arbeiten gemacht werden müßten, wenn junge Leute schliefen. Seine meiste Zeit werde vom König in Anspruch genommen. Er habe schon früh die Entdeckung gemacht, daß er mit vier Stunden Schlaf sehr gut auskomme. So läßt sich allerdings die ungeheuere Menge und Stoffhaltigkeit seiner litterarischen Arbeiten erklären, aber auch nur so.“




Musikalisches. Die Hausmusik hat Robert Schumann einen neuen Genre zu verdanken; er hat soeben in der Musikalienhandlung von Bartholf Senff in Leipzig drei Balladen herausgegeben für Declamation mit Klavierbegleitung. Die Musik ist in Verbindung mit dem gesprochenen Worte ganz an ihrer Stelle und vermag zu einem schönen Gedichte und dessen richtigem Vortrage die Seelenstimmung des Zuhörers gar wirksam zu erhöhen. Vielleicht wird man also für die Folge nun bisweilen in Gesellschaft und Concert mit Accompagnement declamiren, wie man jetzt singt. Sei dem wie ihm wolle, diese Balladen müssen schon der Eigenthümlichkeit wegen Interesse einflößen. Nr. 1: „Schön Hedwig“ von Hebbel ist ein Gedicht inniger Freude und Ritterlichkeit. Schumann hat dazu eine Musik gesetzt, welche in dem kleinen Umfange von etwa hundert Tacten lauter Schönes enthält; überall ist vortrefflich Maaß gehalten, nirgends nimmt die Musik mehr Boden in Anspruch, als ihr zukommt; sie umdunkelt die Gruppen nicht, sie giebt ihnen Beleuchtung durch Töne. Nur sechs Seiten, aber eine schöne Gabe. Nr. 2: „Ballade vom Haideknaben“ von Hebbel und Nr. 3: „Die Flüchtlinge“, Ballade von Shelly, sind schaueriger Natur und besonders die letztere ein wild bewegtes Nachtstück. Mit doppelter Macht wird hier das Herz bewegt, wenn zu den düstern Gedichten Schumann’s charakteristisch schildernde Accorde und zuckende Rhythmen ertönen.




Der musikalische Bratspieß. Die merkwürdigste Vereinigung von Musik und Gesang findet man bei dem reichsten Herrn Treviso’s, dem Grafen de Castel Mario, und zwar in der Form eines Bratspießes, der zugleich 130 andere Röst- und Bratwerkzeuge dreht und dabei nach der Reihe 24 Arien spielt. Jede Arie und jeder Theil derselben entspricht einem gewissen Maße der Zeit, welches die verschiedenen Bratensorten zum Garwerden gebrauchen, so daß der Koch bald weiß, bei welcher Arie Hammelkeule à l’Anglaise gut, bei welcher Geflügel à la Flamande u. s. w. Daß die Braten am Feuer in verschiedenen Tönen, Stoßseufzern und manchmal langen, schwitzenden Angsttönen Vocalmusik machen, wird hoffentlich allen unsern Lesern und Leserinnen bekannt sein. Man kann sich also denken, wie der reichste Herr von Treviso stets in einem Meere von Gesang, Musik und Düften schwebt und er stets genau weiß, wenn das Concert zu Ende sein und die Kunstthätigkeit des Kauens, Schluckens und Verdauens feierlich beginnen kann. Es muß sehr schön sein; wir Leser der Gartenlaube wollen aber vorläufig unser Fleisch noch in eigener Musik braten lassen und unsere Küche nicht zu aristokratischer Kochmusikdrehorgelspielerei herabwürdigen.




Tischverrücktheit. Der Jahresbericht des Irrenhauses von Ohio in Amerika weist sechsundzwanzig Personen nach, welche durch das geisterhafte Verrücken von Tischen in den Köpfen verrückt wurden. Wir könnten viel mehr solcher Tischverrückter außerhalb der Irrenhäuser nachweisen; doch scheinen die meisten wieder ohne Arzt, blos durch den Balsam der Alles lindernden Zeit, besser geworden zu sein. Die Tischverrücktheit und Geisterklopferei ging von einer jesuitischen Gaunerbande in Amerika aus, welche auf diese Weise ihren Zwecken, noch mehr aber ihren Taschen dienen wollte.




Heiraths-Gebräuche in Japan. Wenn eine Japanesin (sie sollen sehr schön sein) heirathen will, werden ihr erst mit einem ätzenden Mittel alle Zähne schwarz gebeizt. Die Angeschwärzte wird nie wieder weiß und zeigt so bei jedem Lächeln, daß sie verheirathet oder wenigstens Wittwe ist. Bei jeder Geburt eines Kindes wird ein Baum im Garten gepflanzt, der seine volle Größe bis zur Heirathszeit erreicht. Soll nun das Kind heirathen, wird der Baum umgehauen und von dessen Holz die nöthigen Meubles gemacht, so daß Mann und Frau ihren verarbeiteten Baum mit in die neue Wohnung bringen, um von hier aus wieder auf „grüne Zweige“ (wie in Japan die Kinder heißen) zu kommen.




Der schwerste Körper. In einer Gesellschaft, in der sich Benjamin Franklin befand, wurde einmal die Frage aufgeworfen: „welches der schwerste Körper sei?“ Der Eine rieth auf Blei, der Andere auf Quecksilber, der Dritte auf Gold, und Der, welcher es am Besten wußte, auf Platina. Man fragte endlich auch den berühmten nordamerikanischen Buchdrucker um seine Meinung. Dieser antwortete: wahrscheinlich die Luft. Man fand dieses sehr widersinnig – allein Franklin fuhr fort: „Es ist bekannt, daß die Schwere der Luft von ihrer Dichtigkeit abhängt, und ihre Dichtigkeit von dem Drucke, mit dem sie zusammengedrückt wird, da sie eine elastische Flüssigkeit ist. An der Erde wiegt ein Kubikfuß Luft 27/8 Loth, und auf dem Chimborasso nur noch 11/2 Loth. Wenn die Erde im Innern große Höhlen hat, so muß in diesen die Luft dichter und schwerer sein als auf der Oberfläche. In einer Tiefe von zwölf Meilen ist sie schon schwerer wie Quecksilber und dieses schwimmt auf der Luft. Noch einige Meilen tiefer ist sie dichter und schwerer als Gold, Platina und alle Körper, die wir kennen.“



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_024.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)