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Alexander von Humboldt (Die Gartenlaube 1853)

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Textdaten
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Titel: Alexander von Humboldt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 397–399
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Alexander von Humboldt
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Alexander von Humboldt.




Naturschilderungen, von jedem ächten Menschen so gern gelesen, gehören zu den schwierigsten Aufgaben der beschreibenden Darstellung. Die schwierigste Aufgabe auf diesem Gebiete ist aber die Schilderung eines großen Menschen; – „dieses Gebietes,“ sage ich, denn der Mensch ist ja eine kleine Welt, ist die zusammenfassende Wiederholung alles Dessen in einem abgeschlossenen Körper, was wir um uns auf der Erde an tausend Formen vertheilt finden.

Alexander von Humboldt.

Eine biographische Skizze Humboldt’s ist um so [398] mehr ein Versuch auf diesem Gebiete, als er durch und durch ein Sohn, ein Produkt der gewaltigen Natur und mehr als der Träger – die Verkörperung ihrer Wissenschaft ist. Als ehre die Natur in ihm ihren Oberpriester, hat sie ihn, ungeschwächt an Geist und Körper, auf einen Höhepunkt des Alters geleitet, den überhaupt selten ein Mensch und noch seltener anders als auf Kosten der geistigen Kräfte erreicht. Gestählt und geläutert in dem Lichte einer tropischen Sonne, steht Humboldt jetzt da, umringt von zahlreichen Forschern, die fast sämmtlich seine Jünger sind, alle überragend in stiller Größe, wie die Palme den blüthenprangenden Urwald Brasiliens überragt.

Um Humboldt’s geistige Persönlichkeit in ihrem ganzen Umfange würdigen zu können, ist es durchaus nothwendig, sich an den ganzen Umfang der Naturwissenschaft zu erinnern; denn er umfaßt diese, wie vielleicht kein anderer Naturforscher neben ihm. Die Erforschung der Gesetze, nach denen sich die Weltkörper im ewigen Kreislaufe bewegen; derjenigen, nach welchen der Lichtstrahl sich in Farbenstrahlen spaltet, sind ihm in seiner langen Forscherlaufbahn nicht wichtigere Aufgaben gewesen, als die derjenigen, nach denen das bunte Pflanzenchaos sich in ein klares System auflöst oder die Ueberfluthungen des Orinoco stattfinden. Bei einer Vergleichung der einzelnen Fächer der gesammten Naturwissenschaft mit Humboldt’s Riesengeist findet man mehr, als daß sich dieser über jene alle verbreitet, – man findet, daß er viele derselben ganz neu geschaffen hat. Vor Humboldt gab es keine Climatologie, keine Pflanzengeographie, keine Hydrographie, keine Meteorologie. Die physische Weltbeschreibung, welche die ungeheure Summe der uns auf und über der Erde umgebenden Erscheinungen in ein geordnetes Gesammtbild vereinigt, ist Humholdt’s Schöpfung.

Ueberall, wohin in drei Erdteilen sein Fuß trat, wurde er ein Reformator der Naturwissenschaft. Naturerscheinungen, welche bis dahin für die gelehrte Welt wenig mehr gewesen waren, als in die dicken Folianten einer bestäubten Wissenschaft einregistrirte Thatsachen, zog er hervor an das Licht seines durchdringenden Geistes und zeigte der staunenden Welt die darin waltende Gesetzlichkeit und ihren Zusammenhang mit der Weltenordnung.

Doch bezeichnet dies noch nicht den Standpunkt, von welchem aus Humboldt’s Bedeutung beurtheilt werden muß, wenigstens hier in einem Artikel der Gartenlaube beurtheilt werden muß. Humboldt ist nicht blos ein großer Gelehrter, er ist auch ein großer Mensch; zwei Dinge, die nicht gleichbedeutend sind. Wie er den Naturforschern als solchen über ein halbes Jahrhundert lang das Vorbild eines Gelehrten gewesen ist, so ist er es, und zu seiner Freude mit nicht geringem Erfolge, ihnen auch als Mensch. Diese letztere Bedeutung, welche ungleich größer als die erstere ist, hat er durch seinen „Kosmos“ gewonnen. Dieses Buch, ein Evangelium der Natur, durchweht ein Geist, der aus jeder Seite herausspricht: „die Naturwissenschaft gewinnt ihre Bedeutung und ihren Werth erst, indem sie ein Gemeingut der Menschheit wird und dabei als irdische Heimathskunde erscheint.“

Humboldt’s namenlose Bedeutung für den Standpunkt, auf dem die Gegenwart steht, wird uns sofort klar, wenn wir uns daran erinnern, welch tiefe Wurzeln die neuere Weltanschauung in dem fruchtbaren Boden der Naturwissenschaft getrieben hat; der Naturwissenschaft, welche ja eben Humboldt wesentlich zu Dem gemacht hat, was sie heute ist. Es hat vielleicht noch nie eine Zeit gegeben, welche eine so klar und bestimmt ausgesprochene und so beharrlich erstrebte allgemeine Bildungsrichtung gehabt hätte, als es die naturwissenschaftliche der unsrigen eben ist, und noch nie hat eine Bildungsrichtung irgend einer Zeit eine so sichere Aussicht auf Sieg und Segen gehabt, als eben diese der unsrigen.

In einem zwar nur geistigen und unblutigen, aber auch unerbittlichen Kampfe mit abgelebten und zu fernerem Leben unfähigen Anschauungen steht die ehrwürdige Greisengestalt Alexander von Humboldt’s als Vorkämpfer auf dem Plane und sein immer noch oder jetzt vielleicht mehr als je klares Auge sieht sich die Zahl seiner Kampfgenossen täglich mehren. Der greise Feldherr war ja aber auch der Erfinder des Schlachtplanes und der Erzieher seines Heeres. Denn er lenkte zuerst den Blick der Naturforscher von der Aeußerlichkeit der einzelnen Gestalten und Erscheinungen auf ihr inneres Wesen und lehrte sie, daß die Naturwissenschaft ihr höchstes Ziel weder als Dienerin der Heilkunde und Gewerbe, noch als Lieferantin für die Naturalienkabinette, sondern erst als Erzieherin des Menschengeschlechts zur irdischen Heimathsangehörigkeit erreiche.

Leider giebt es eine Meinung unter den Leuten, welche sagt: Humboldt wisse nicht, welchen Dämon er heraufbeschworen habe, oder er habe dies wenigstens nicht gewollt. Diese Meinung ist eben so irrig, als sie, ohne sich dessen bewußt sein zu können, ein Unrecht an unserem größten Zeitgenossen ist. Humboldt weiß, was er thut und will die Folgen seines Thuns.

Die neue Weltanschauung hat er seit einem halben Jahrhundert verbreitet und in seinem Kosmos klar und thatsächlich ausgesprochen und wenn sie dereinst in ihrem eigenen Lichte als Siegerin den hellen Kampfplan überschauen wird, so wird sie sich dankbar des Mannes erinnern, der, am 14. September 1769 in Berlin geboren, im Jahre 1793 mit einem Versuch einer Flora Freibergs (Florae Freibergensis specimen) begann und in unsern Tagen im Kosmos den ersten Markstein des erkämpften Bodens setzte.

Welches aber war der Weg, aus welchem Humboldt zu seiner Größe gelangte?

Es werden wenig Menschen gelebt haben, deren Leben gleich dem seinigen inhaltreich war; inhaltreich an eigener Kraft und eigenem Schaffen und inhaltreich an Gunst der äußeren Umgebung.

Aus vornehmer, reich begüterter Familie entsprossen, wendete sein Vater, von dem seine Zeitgenossen mit hoher Achtung sprechen, Alles auf, um seinen Söhnen, Wilhelm und Alexander, eine Erziehung geben zu lassen, wie sie vortreffliche Lehrer, unterstützt von den reichen Mitteln der Familie, von den glänzenden [399] Gelegenheiten Berlins und dem wetteifernden Fleiße der Schüler, zu geben vermochten.

Wilhelm, um 2 Jahre älter als Alexander, wurde der große Alterthums- und Sprachforscher und Staatsmann, Alexander der größte Naturforscher seiner Zeit. Die weit von einander abliegenden Ziele ihrer Bahnen waren doch kein Hinderniß, daß die Brüder in innigster Bruderliebe eins waren, bis 1835 der Tod Wilhelm’s sie trennte.

Alexander, der Anfangs an Begabung seinem Bruder weit nachzustehen schien, wurde in seinem der lebendigen Natur zugewandten Streben vielleicht durch einen seiner Lehrer bestärkt, dem Verfasser desjenigen Buches, welches Jeder von uns gelesen hat und kaum einer ohne den Drang, etwas von einem Alexander von Humboldt zu werden: des Robinson, Joachim Friedrich Campe.

Die „brennende Begierde in entfernte, von Europäern wenig besuchte Länder zu reisen,“ wie er selbst von sich sagt, hatte er durch die sorgfältigsten Vorbereitungsstudien zu einem berechtigten Drange geläutert und nachdem vielmalige Täuschungen gefaßter und der Ausführung schon ganz nahe gewesenen Reisepläne seine eiserne Beharrlichkeit erprobt hatten, schiffte er sich mit seinem französischen Freunde und Ruhmesgenossen, Aimé Bonpland am 5. Juni 1799 endlich zu Coruña in Spanien ein, um unter dem Schutze eines starken Sturmes aus dem von englischen Schiffen blokirten Hafen zu entkommen.

So schwer war es, daß dieser große Geist sich von Europa, dem Sitze der Gelehrsamkeit, losreißen konnte, um jenseits des Oceans im Schooße der Natur dieser die Weihe geistiger Erkenntniß zu geben.

Zwischen dem 5. Juni 1799 und dem August 1804, wo Humboldt in Bordeaux wieder europäischen Boden betrat, liegt die Einsammlung eines Schatzes, wie nie einer für Wissenschaft und Leben, für Leib, Geist und Herz des Menschen größer gesammelt worden ist.

Wenig Monate fehlen an einem halben Jahrhunderte, während welches Humboldt mit der Verarbeitung dieses Schatzes beschäftigt gewesen ist. Frei von der, den Naturforschern leider so oft eigenen Schwäche, ihre Entdeckungen selbst und allein zu veröffentlichen, und dadurch oft zu verspäten, theilte Humboldt mit vollen Händen seine ungeheuren Vorräthe an Sammlungen und Entwürfen an befähigte Genossen aus, mit deren Hülfe nach und nach eine ganze Literatur erwachsen ist, deren selbst kürzeste Aufzählung an diesem Orte viel zu viel Raum einnehmen würde.

So durchdrang Humboldt’s Geist seit seiner Rückkehr bis heute immer mehr die große Arbeiter-Association der Naturforscher Europa’s und Nordamerika’s. Durch seinen Kosmos hat er das in hundert einzelne Theile zerfallende Riesenwerk seines Lebens in klarem, abgeschlossenem Auszuge zusammengefaßt; hat er gezeigt, was er wollte und worein er die Aufgabe und die Pflicht der Naturforschung gesetzt.

Feiern wir alle, die wir an der wahren, sittlichen und geistigen Entwickelung der Menschen Freude haben, am 14. September in stiller Dankbarkeit Alexander von Humboldt’s 84. Geburtstag. Er hat zu dieser Entwickelung den mächtigsten Anlaß gegeben.

Es wird eine große, heilige Stelle leer sein, wenn er von den Lebendigen geschieden sein wird; aber um sie herum schaart sich immer zahlreicher die freie Verbrüderung derjenigen Naturforscher, welche durch ihn begreifen gelernt haben, daß die Naturwissenschaft nicht das Besitzthum grübelnder Gelehrten ist; daß vielmehr die Naturforscher nur die Verwalter fremden Eigenthums sind. Die Naturwissenschaft, wie alle Wissenschaft, ist Eigenthum der Menschheit. Die Besitzesurkunde hat der Großmeister derselben im Kosmos niedergelegt. Er hat sie bei seinen Lebzeiten dem Volke vererbt; möge er noch lange darüber wachen, daß dem Erben sein Erbtheil nicht verkümmert werde.