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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

erfreuen hat und ganz unabhängig von der Universität da steht, hoffentlich auch fortbestehen darf. Mit welchen Erfolgen Moleschott als Lehrer wirkte, haben wir bereits kennen gelernt. Sein schriftstellerisches Wirken anbelangend, schrieb er außer vielen Aufsätzen in Zeitschriften (siehe „Zeitschrift für rationelle Medizin,“ „Archiv für physiologische Heilkunde.“ „Müller’s Archiv,“ „Wiener medizinische Wochenschrift,“ „Natur“ etc.) folgende Werke: 1848–1849: „Physiologie der Nahrungsmittel; Ein Handbuch der Diätetik.“ Darmstadt 1850. Im Winter 1849–1850: „Lehre der Nahrungsmittel. Für das Volk bearbeitet.“ Erlangen, 1850. Erschien in zweiter Auflage 1853.

Im Winter 1850–1851: „Physiologie des Stoffwechsels in Pflanzen und Thieren.“ Erlangen 1851.

Im Winter 1851–1852: „Kreislauf des Lebens. Physiologische Antworten auf Liebig’s chemische Briefe.“ Mainz 1852.

Die hohe Bedeutung, der Glanz, die außerordentliche Wirkung dieser Werke kennen wir durch die Theilnahme der gebildeten Nation und durch den Ruf, den sie dem Verfasser gaben, durch die Befremdung und den Schmerz des Vaterlandes, als das badische Ministerium den Verfasser der Frivolität beschuldigte.

Das ist die öffentliche Entfaltung und Wirksamkeit des noch so jungen und schon so berühmten Gelehrten. Sein persönliches und bürgerliches Leben betreffend, bewahrheitet es nach allen Seiten hin die von ihm vertretenen wissenschaftlichen Grundsätze: die der reinen Menschenliebe, der edeln Humanität, der Liebe zu allem Geschaffenen, der unermüdlichen Strebsamkeit nach innerer Bildung, Schönheit und Freiheit. – Ein glücklicher, zärtlich liebender Gatte und Vater; ein warmer, treuer, helfender Freund; ein ruhiger, solider, strengrechtlicher Bürger: so steht er da, geliebt, verehrt von Allen die ihn kennen, die ihn kennen wollen. Nur wo verderbliche Dummheit, Heuchelei, Ungerechtigkeit, – sei es im Leben oder in der Wissenschaft, – ihm entgegentritt, da flammt er auf zu männlichem Zorn, zu gewaltigem Kampf. –

Die Erscheinung Moleschott’s ist eigenthümlich anziehend, ohne grade sofort zu frappiren. Stets bewegliche, braunglänzende Augen, mit ebenso tiefem als mildem Glanze. Die Stirne von seltener Höhe und Klarheit. Die Züge blaß, glatt, fast starr, aber energische Denkkraft verrathend. Die Figur eher klein als groß, schlank und doch gedrungen.

Um Moleschott’s ganzes Wesen kennen zu lernen, muß man freilich seine Liebe, sein Vertrauen besitzen; dann aber und beim Glase Wein ist er auch von wahrhafter Liebenswürdigkeit, dann tritt die reine Kindlichkeit und fromme Naivität hervor, die in dem heiligen Cultus der Natur jeder echte Mensch sich erhalten und gewinnen kann.

Wir schließen diese Betrachtung mit dem Schlußwort der seelenvollen Widmung, mit der Moleschott’s edler Freund, Roßmäßler, sein schönes Buch: „Flora im Winterkleide,“ dem Freunde, darbrachte; dieses Wort charakterisirt mehr als hundert Andere die reine Menschenseele des berühmten Forschers und dürfte auch für uns hier in Anspruch zu nehmen sein: „Wenn man Dich achtet und liebt, so freust Du Dich, daß ein Mensch geachtet und geliebt wird.“




Blätter aus dem physikalischen A-B-C-Buche.
2. Die Naturkräfte.

Der größte Theil der Naturerscheinungen hängt nur allein von Bewegungen ab, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß alle Naturerscheinungen in letzter Instanz sich auf Bewegungserscheinungen zurückführen lassen. In vielen Fällen nehmen wir allerdings die Bewegung nicht unmittelbar wahr und glauben daher mit keiner durch Bewegung hervorgebrachten Erscheinung zu thun zu haben, während genauere Untersuchung das Gegentheil lehrt. Wir hören z. B. einen Ton. Die bestimmte Anzahl von Luftschwingungen aber, welche wir eben in ihrer Gesammtheit und periodischen Aufeinanderfolge als Ton empfinden, sind wir nicht im Stande unmittelbar als Bewegungserscheinung wahrzunehmen. Zu dieser Erkenntniß gelangt man erst durch eine Reihe von Versuchen und durch vernunftgemäße Verknüpfung der dadurch der Natur abgenöthigten Antworten.

Was Bewegung hervorzubringen vermag, also die Ursache der Bewegung, nennt der Physiker Kraft. Auch da, wo die betreffende Naturerscheinung noch nicht auf Bewegungserscheinungen zurückgeführt werden könnte, gebraucht man zur Bezeichnung der Ursache derselben das Wort Kraft. Doch geschieht dies meist mit Unrecht und muß wenigstens immer mit Vorsicht geschehen, wenn das Wort Kraft nicht das Bollwerk der Unwissenheit werden soll. Der Physiker muß immer bemüht sein, jede Erscheinung auf ihre mechanischen Elemente, d. i. auf Bewegungserscheinungen zurückzuführen, bevor er Kräfte zu ihrer Erklärung zu Hülse ruft. Wollte man z. B. den tönenden Körpern eine Kraft zu tönen zuschreiben, so würde das nur mangelhafte Beobachtung beweisen, denn eine solche Kraft giebt es gar nicht. Was wir als Ton empfinden, läßt sich auf Bewegungserscheinungen zurückführen, und hier ist es nun erst am Orte nach der Kraft oder den Kräften zu fragen, welche die Schwingungen hervorbringen.

Der Chemiker spricht bisweilen von einer Kraft der Verwandtschaft (Affinität). Die Erscheinungen aber, welche diesen Namen führen, sind sehr zusammengesetzt und konnten bis jetzt noch nicht auf Bewegungserscheinungen zurückgeführt werden. Es ist daher auch nicht gerechtfertigt, hier von einer Kraft zu sprechen. Die meisten Chemiker thun das auch nicht, sprechen vielmehr nur von Erscheinungen, welche sie Affinität nennen.

Am Meisten ist hiergegen in den physiologischen Theilen der Naturwissenschaften gesündigt worden, indem man zur Erklärung aller Erscheinungen des Lebens eine Lebenskraft annahm. Man sieht leicht das Voreilige und Falsche dieser Annahme ein, wenn man überlegt, daß die Erscheinungen des Lebens nichts weniger als einfach, vielmehr aus einer großen Menge anderer selbst wieder sehr complicirter und theilweise noch nicht erklärter Erscheinungen zusammengesetzt sind. Wie kann man hier von einer einzigen Kraft sprechen wollen, welche diesen Complex von Erscheinungen hervorzubringen im Stande wäre? Diese Annahme war auch lange Zeit der Hemmschuh für die Entwickelung der physiologischen Wissenschaften. Wo man zu faul war zu beobachten, mußte die Lebenskraft herhalten.

Aus diesen Beobachtungen wird der Leser abnehmen, daß trotz der unendlichen Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen doch die Anzahl der Naturkräfte eine sehr beschränkte sein wird und daß mit der Annahme neuer Kräfte sehr vorsichtig verfahren werden muß. Die goldene Regel aller Naturforschung heißt: keine neuen Kräfte zur Erklärung einer Erscheinung herbei zu rufen, so lange nicht evident erwiesen ist, daß die bereits bekannten ihrer Natur nach zur Erklärung unzureichend sind. Hätte man das immer beachtet, so wäre mancher Unsinn, z. B. auch der durch das Tischrücken zu Tage geförderte, sicherlich nicht geboren worden. Ob einstmals alle Erscheinungen der Natur sich aus einer einzigen Kraft werden erklären lassen, wie man bisweilen gemeint hat, ist eine nach den gegenwärtigem Zustand unserer Kenntnisse durchaus nicht zu beantwortende Frage.

Welches sind nun die in der Natur thätigen Kräfte? Der Leser wird leicht einsehen, daß es nicht möglich ist von Kräften zu sprechen, bevor noch ein Wort über die durch sie bewirkten Erscheinungen gesagt worden ist, aus denen wir erst auf jene schließen können. Wir wollen das auch nicht, vielmehr nur durch einige Betrachtungen vorläufig darauf aufmerksam machen, wie weit der Wirkungskreis einer einzelnen Naturkraft sei.

Die Schwerkraft oder Anziehungskraft unserer Erde, durch welche alle Körper nach dem Mittelpunkte der Erde zu fallen streben, ist als die bekannteste Naturkraft am Besten hierzu geeignet. Von ihrem Gesetze, d. h. welche Geschwindigkeit sie einem fallenden Körper ertheilt und welche Zeit zur Durchfallung eines gewissen Raumes nöthig ist, davon wollen wir später einmal sprechen. Die Schwerkraft ist bei der Gestaltung unserer Erdoberfläche im hohen Grade thätig gewesen, denn alles fließende Wasser, sowohl das in den Flüssen und Strömen, als auch das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_412.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)