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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Ali“, ein prächtiger Rapphengst, obgleich schon über 12 Jahre alt, den ich einst von einem Beduinen aus der berittenen Leibwache Ab-del-Kader’s gekauft hatte, an das Land gebracht war, und das schöne edle Thier an der Hand seines Führers herumtanzte, und den Schweif fast gerade in der Luft trug, kam ein Offizier der englischen Husaren zu mir, und bot auf der Stelle 200 Napoleonsd’ors, wenn ich ihm den Hengst überlassen wollte, was ich aber lachend abschlug, da er mir für keinen Preis feil sein wird.

Auf so heitere und belebte Weise betraten wir zuerst den Boden der Krim unweit Balaklava, und konnten diese Landung zugleich als ein gutes Vorzeichen der weiteren günstigen Ereignisse, die uns dort noch begegnen würden, ansehen. Da in der engen und von Menschen aller Art überfüllten Stadt kein Unterkommen für uns war, so marschirten wir sogleich aus derselben fort und schlugen ungefähr 1/4 Meile davon unser erstes Bivouak auf. Es war ein sehr lustiges Bivouak, was mir stets unvergeßlich bleiben wird, und wenn nur alle ferneren Bivouaks, die wir noch in der Krim verbringen sollten, diesem ersten gleichen, könnten wir schon zufrieden sein, Aber – es sollte bald ein ganz gewaltiger Unterschied kommen! An Lebensmitteln und guten Getränken, die wir zuletzt noch am Bord der Fregatte mit echt englischer Freigebigkeit auf zwei Tage erhielten, war kein Mangel, und ebenso hatte der gefällige Kapitain derselben, der überhaupt nichts wie Güte und Freundlichkeit für uns war, unseren Leuten gestattet, sich einen kleinen Vorrath an Kohlen vom Schiffe mit fortzunehmen, sobald er erfahren, daß wir gleich ein Bivouak beziehen sollten. Um übrigens diesem englischen Fregattenkapitain wieder einen kleinen Beweis unserer Freundschaft zu geben, so hatten wir Offiziere der Escadron später einen echten Damascener-Säbel aus Constantinopel kommen lassen und hatten ihm denselben überreicht.

Die erste Nacht, in der wir bivouakirten, war prächtig, sternenklar und dabei von einer Milde, die ganz an das Klima von Algerien im Herbste erinnern konnte. Um ihre kleinen Kohlenfeuer, auf welche sie bisweilen dürres Gras oder Reisig, die sie sich zusammengesucht hatten, warfen, daß die Flammen hoch in die dunkle Nacht hineinloderten, hatten sich die Chasseurs gelagert und brieten das gute englische Fleisch, was sie erhalten, an den Ladstöcken ihrer Karabiners und machten aus dem Rum einen so starken Punsch, wie er in Algier zu den Seltenheiten gehörte, und ließen dabei jene alten vielgeliebten Soldaten- und Lagerlieder in mehr lauten wie gerade harmonischen Chören in die Nacht hineinschallen. Um uns herum standen unsere treuen Rosse und wieherten vor Freude, daß sie wieder auf dem weichen Erdboden und nicht mehr im engen Schiffsraume standen, und wälzten sich oft mit sichtlichem Behagen auf dem Rasenboden umher, was sie im Schiff, wo sie so eng an einander standen, daß sie sich nicht legen konnten, hatten entbehren müssen. Wir Offiziere, die wir mehrere Besuche von uns näher befreundeten Kameraden anderer Regimenter unserer Armee erhalten hatten, lagerten um ein besonders großes Wachtfeuer. Pierré, mein gewandter Kammerdiener und Koch in einer Person, hatte uns mit seiner unvergleichlichen Feldkochkunst, die er in einem zehnjährigen Campagneleben in Algerien genugsam erprobt, vortreffliche Hammelfleisch-Cottelets auf dem Roste gebraten, dann aus Reis, Zucker und einem Glase eingemachter Himbeeren eine Mehlspeise bereitet, und war später eifrig beschäftigt, einen großen Feldkessel voll sogenannten schwedischen Punsch, dessen Recept der schlaue Bursche sich von dem Koche des englischen Fregattenkapitains zu verschaffen gewußt hatte, mit der großen Geschicklichkeit, die er in allen solchen schätzenswerthen Dingen besaß, in beständiger angenehmer Wärme zu erhalten. So ein guter schwedischer Punsch, wenn die Ingredienzien dazu echt sind, ist das vortrefflichste Getränk, was man in einer kühlen Nacht auf dem Bivouak nur genießen kann, und die Bereitung desselben ist nicht die schlechteste Frucht, welche unser jetziges inniges Bündniß mit den Engländern uns gebracht hat. Ebenso lustig und durch und durch kriegsmuthig wie unsere Leute, wenn auch wohl nicht stets auf so geräuschvolle Weise, waren wir Offiziere daher auch an unserem Bivouakfeuer und verbrachten die erste Nacht auf krim’schem Boden auf die angenehmste Weise.

Ein merkwürdiger Vorfall, der mir unvergeßlich bleiben wird, ereignete sich übrigens noch in dieser Nacht. In meiner Escadron diente gewiß über zwölf Jahre schon ein kleiner gewandter, rothköpfiger Irländer mit einem unaussprechlichen Namen, daher er auch nur Jean-Jean genannt und zuletzt auch so in allen Listen eingetragen wurde. Dieser Jean-Jean war vor dem Feinde der beste Soldat von der Welt und hatte schon wiederholt in größeren und kleineren Gefechten die glänzendsten Beispiele des größten persönlichen Muthes und dabei einer seltenen Körperkraft und Gewandtheit gezeigt. So geht noch in der Escadron die Erzählung herum, daß er einst im Gefechte zu Pferde einem Kabylen den Kopf mit seinem Säbel so glatt herunter gehauen habe, wie es der geschickteste Scharfrichter nicht besser vermocht. Auch sonst war er im Dienst anstellig und zuverlässig und ein vortrefflicher Pferdewärter, so daß der fuchsrothe Hengst, den er ritt, mit der Treue eines Hundes ihm überall hin folgte. Bei diesen so sehr guten Eigenschaften wäre er schon längst zum Korporal befördert worden, wenn er nicht die üble Gewohnheit gehabt hätte, dem Branntwein bisweilen zu stark zuzusprechen und dann im trunkenen Zustande allerlei Händel anzufangen. Nicht allein hatte er sich dadurch die Ansprüche auf die Galons des Korporals für immer verscherzt, sondern auch wiederholt schon strenge Strafen zugezogen, was aber niemals geholfen hatte, obschon er oft Besserung versprochen.

Als meine Escadron nun den Befehl erhielt, sich in Algier einzuschiffen, lag Jean-Jean gerade ziemlich verletzt im Hospital. Er hatte sich aus Freude bei der Nachricht, daß unsere Escadron mit gegen die Russen marschiren sollte, einen starken Rausch angetrunken, und war in diesem Zustande in den Stall zu den Pferden gegangen, dort seiner Gewohnheit nach die Trunkenheit auszuschlafen. Statt sich aber bei seinem Hengste, der ihn kannte und ihm nichts that, hinzulegen, hatte er sich versehen, war zu einem äußerst bösen Rosse gekommen und von diesem in der Dunkelheit arg zerbissen und zerschlagen worden, so daß er über und über bepflastert im Hospital lag. Obgleich es mir nun verdrießlich war, gerade einen so erprobten Feldsoldaten zurücklassen zu müssen, wollte ich ihn doch in diesem Zustande natürlich nicht mitnehmen, Jean-Jean, der eine gar zähe Natur hatte, und schon einen tüchtigen Puff aushalten konnte, kam aber zu mir gehumpelt, den linken Arm noch in der Binde, die Nase ganz mit einem großen Pflaster bedeckt, und bat so inständig, ihn doch jetzt gleich mitzunehmen, und versprach mit allen möglichen französischen und irländischen Flüchen und Betheuerungen eine so gründliche Besserung, daß ich endlich nachgab und ihn sogleich mit an Bord des Transportschiffes nahm. Hier besserte er sich denn auch von Tage zu Tage mehr, und als wir in Varna an das Land stiegen, war Arm und Fuß so weit wieder hergestellt, daß er vollkommen allen Dienst verrichten konnte. Nur seine Nase blieb von dem Biß des Hengstes für immer breit und gequetscht, was zwar seiner so schon nicht sonderlichen Schönheit großen Abbruch that, sonst aber weiter für den Dienst nicht schadete.

Wir waren jetzt kaum einige Stunden in unserem Bivouak bei Balaklava eingerückt, als ein englischer Husar zu mir kam und mich nach seinem Bruder frug, der in meiner Escadron dienen sollte. Den Jean-Jean mußte der meinen, denn niemals sah ich zwei so große Aehnlichkeiten wie zwischen diesem englischen Husaren und dem Genannten. Ganz die kleine, untersetzte Gestalt, das breite, sommersprossige Gesicht mit den brennendrothen Haaren und dem schlau-behaglichen Ausdruck der kleinen wasserblauen Augen. Wäre dem Jean-Jean seine Nase noch ganz gewesen, ich hätte ohne Weiteres geglaubt, er sei dieser englische Husar, der sich mit solcher Vermummung einen Scherz habe machen wollen.

In demselben Augenblick kam aber auch dieser, der mit seinem Hengste nach einem kleinen Bache gegangen war, denselben dort zu tränken, wieder zurück, und die beiden Zwillingsbrüder, denn solche waren es, die sich seit einem Dutzend Jahren nicht mehr gesehen hatten, begrüßten sich zwar auf sehr herzliche, dabei aber doch ungemein komische Weise. Die Nacht blieb dieser englische Husar, der übrigens auch schon ein langgedienter, und wie es schien, ungemein tüchtiger Soldat war, bei seinem Bruder am Bivouakfeuer sitzen, und das edle Bruderpaar feierte die Freude des Wiedersehens dadurch, daß Beide zusammen sich einen tüchtigen Rausch antranken, so daß die übrigen Chasseurs sie auf ein Strohbund trugen, damit sie denselben dort einträchtig neben einander ausschlafen konnten. In Betracht der mildernden Umstände, unter denen dies geschah, drückte ich für diesmal ein Auge bei diesem Vergehen zu und schenkte dem Jean-Jean die Strafe, die er sonst sicherlich dafür bekommen hätte.

(Forts. folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_007.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)