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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Als ich einige Tage darauf einem Offizier des englischen Husarenregiments, bei dem der Bruder des Jean-Jean diente, den Tod desselben mittheilte, sagte der mir, daß auch dieser an demselben Tage in einem kleinen Scharmützel, das sie ebenfalls mit den russischen Vorposten gehabt hätten, geblieben sei. Es war doch ein merkwürdiger Zufall, daß diese beiden Zwillingsbrüder hier an ein und demselben Tage in der Krim vor dem Feinde bleiben mußten, der Eine als Chasseur d'Afrique, der Andere als englischer Husar, nachdem sie sich kurz zuvor nach vieljähriger Trennung auf einige Stunden wieder gesehen hatten.

Ein paar Tage nach diesem kleinen Vorpostengefechte zwischen uns und den russischen Uhlanen, hatte unsere Infanterie einen größeren Kampf mit den Russen, dem ich als Volontair mit beiwohnte, zu bestehen. Bei Gott, es war eine wahre Freude, einige Kompagnien von unseren Zuaven bei dieser Gelegenheit zu sehen, und ich beneidete förmlich ihre Offiziere, daß sie solche tapfere Burschen in das Feuer führen durften. Ich war früher gerade mit diesen Zuaven-Kompagnien unweit Setif in Algerien mehrere Wochen lang im Bivouak gewesen, hatte sie dann aber seit 1851 nicht wieder gesehen, wie gerade jetzt in diesem Augenblick, wo die Kompagnien in das feindliche Feuer hineinmarschiren sollten. Fast alle die älteren Soldaten, und bei den Zuaven trifft man stets sehr viele derselben, erkannten mich augenblicklich wieder, und da zwischen uns Chasseurs d'Afrique und den Zuaven stets eine Art von Rivalität stattfindet, so schmeichelte es jetzt ihrer Eitelkeit sehr, daß ich gekommen war, ihren Angriff mit anzusehen.

Voyez, voyez le capitaine des chasseurs d'Afrique“ rief es laut in den Gliedern, als ich mit dem mir näher befreundeten Kommandanten des Bataillons an dieselben herantrat, und ein häufiges: „Soyez le bien revu chez nous mon capitaine!“ erscholl mir aus dem Munde der Soldaten entgegen.

Man hätte es in der That diesen Zuaven-Kompagnien nicht anmerken können, daß sie in den nächsten Augenblicken so recht auf die gefährlichsten Stellen des ganzen Gefechtes hinmarschiren sollten, so munter ging es bei ihnen zu. Das lachte und pfiff und trällerte in den Gliedern und machte Witze und trieb Possen aller Art, daß selbst die Offiziere nur mit Mühe den nöthigen Ernst behaupten konnten. Besonders ein kleiner Affe, den ein Zuave angekettet auf seinem Tornister trug, war der Gegenstand unerschöpflicher Scherze für die umherstehenden Rotten. Das Thierchen, dem man eine Art mit Flitterkram bunt aufgeputzter russischer Generalsuniform angezogen hatte, mochte sich in dem Lärmen, denn die feindlichen schweren Geschütze krachten von den Forts von Sebastopol laut genug herüber und Kanonenkugeln saus’ten häufig über die Köpfe der Soldaten hinweg, die mit spöttischem Lachen dieselben begrüßten, sehr unbehaglich fühlen, und schnitt nun in seiner Angst so unbeschreiblich komische Gesichter, daß selbst der ärgste Murrkopf herzlich darüber lachen mußte.

Desto muthiger aber zeigte sich Bim-Bim, der wohlbekannte kleine Bulldogge der einen Zuaven-Kompagnie, der schon in Algerien so vielen Gefechten mit beigewohnt, und auch den berühmten Sturm an der Alma mitgemacht hatte, Der Hund stand wie gewöhnlich neben dem Signalisten der Kompagnie und bellte muthig die in seiner Nähe in der Luft sausenden Kanonenkugeln an. Oft blickte er den Signalisten an und schaute förmlich nach dessen Trompete hin, ob er dieselbe nicht bald an den Mund setzen und das ihm längst bekannte Signal zum Avanciren blasen würde. So wie dies geschieht, macht Bim-Bim seiner Freude durch einige hohe Sprünge und ein lautes Gebelle Luft und springt dann unverzagt der Kompagnie mitten in den stärksten Kugelregen voran. Der Hund ist schon zwei Mal in Algerien verwundet worden, ohne daß seine Kampflust dadurch im Mindesten geschwächt worden ist.

Viele Zuaven vertreiben sich die Zeit des Wartens auch mit Gesang, und besonders ihr Leiblied:

 „L’as tu vue,
L’as tu vue,
La casquette
Du père Bugeaud?

was ich in Algerien so unzählige Male von ihnen gehört hatte, erscholl in lautem mächtigem Chor. Nicht so laut, aber sonst nicht minder feurig, sangen auch mehrere Soldaten die Parisienne:

 „Par la voix du canon d’alarme,
La France appelle ses enfants,
Allons dit le soldat aux armes
!“

obgleich dieser Gesang, wie auch der der Marseillaise, jetzt nicht mehr im Heere gesungen werden soll. Nun, vor einem hitzigen Gefecht nimmt man es freilich nicht so genau!

Der Kanonendonner von den russischen Forts hatte schon eine ganze Weile gedröhnt, als endlich auch für die Zuaven der so lange ersehnte Befehl zum Vorrücken kam. „Les Zouaves en avant!“ rief ein in vollem Galopp ansprengender Adjutant schon in der Ferne, und ein jubelndes „vive l’empereur!“ der Kompagnien, was durch all den Kanonendonner hervortönte, war die Antwort darauf. Im Sturmschritt ging es nun vorwärts, wobei ich leider die Tapfern nicht mit begleiten durfte, wie ich so gerne gethan, und bald konnte man ihre ersten Salven, womit sie die russischen Truppen, die den Ausfall unternommen hatten, empfingen, hören. Lange sich mit dem Schießen aufzuhalten, ist aber nicht nach dem Geschmacke der Zuaven, und so warfen sich denn auch diesmal die Kompagnien unter lautem Schlachtgeschrei mit den Bayonnetten auf die Feinde.

Ungefähr zehn Minuten dauerte das Handgemenge, und die bunten Turbane der Zuaven waren mit den blinkenden Pickelhauben der russischen Grenadiere in einem dichten Knäuel untermischt; man hörte zwar bisweilen noch einzelne Schüsse knallen, doch waren die blitzenden Bayonnete die Hauptwaffen, mit der die Gegner einander sich bekämpften, dann wich die graue Linie der Russen immer mehr zurück, während unsere Soldaten derselben ziemlich schnell nachfolgten. Die Tapferkeit der Zuaven hatte auch diesmal wieder, wie fast immer, den Sieg davon getragen, und mit empfindlichem Verluste waren die Gegner wieder zurückgetrieben worden.

(Schluß folgt.)


Aus den letzten Tagen von Kars.

„Wir hatten all’ unser Geld zusammengethan, um uns womöglich ein Stück Fleisch zu kaufen. Mir ward der Auftrag, auf die Jagd danach auszugehen, da man behauptete, ich verstehe am Meisten Armenisch. So machte ich mich auf den Weg über Ruinen von Häusern und Holzhütten, zwischen denen Kugeln, Todte, Gerippe, jammernde Weiber und Kinder und still und lautlos verhungernde Leute kauerten und lagen. Ich verschaffte mir Zutritt in verschiedene Hütten und Höhlen, aus denen der größte Theil von Kars besteht, so prächtig es auch von Außen auf seinem Berge aussieht, fand aber entweder keine lebende Seele oder zusammengesunkene Personen und Familien, denen der leibhaftige Tod des Verhungerns aus den matten, schwarzen Augen sah. Merkwürdig, wie viel Ruhe, wie viel kalte, schmerzlose Ergebenheit in vielen solcher Gesichter lag!

„Endlich fand ich in einem Hause verkäufliches Fleisch - eine lebendige, freilich auch sehr abgemagerte Katze. Der Hausherr, eine athletische, braune Armenierfigur, sprach lebhaft und leidenschaftlich, doch verstand ich nur im Allgemeinen den Sinn seiner Worte, über Kurz oder Lang müsse doch die Erlösung von Rußland kommen, da Gott und der Sultan und die alliirten Franken dazu uns offenbar absichtlich ohne Hülfe und Beistand gelassen, und daß nur „Geld haben“ das Einzige sei, wonach er strebe. Deshalb solle ich die Katze für zweihundert Piaster haben. Meine gesammelte Kasse bestand aber nur in einigen Münzen über hundert Piaster. Ich bot ihm also hundert, Aber er schüttelte entschieden den Kopf und erklärte bestimmt, daß der Preis feststehe und er sie schon für 150 Piaster lieber selber essen werde. Ausgehungert und übermüdet, als Bote und Bevollmächtigter von Freunden, die seit drei Tagen ebenfalls nichts gekaut als Stückchen Holz und an ihrem Lederzeug, blieb mir keine Wahl. Ich bot also hundert Piaster und meine Uhr, Onkel wird mir vergeben, daß ich auf diese Weise sein Geschenk opferte. Es galt nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_028.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)