Seite:Die Gartenlaube (1856) 052.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Unser tägliches Brot.
Von Dr. H. Hirzel.

Für Millionen von Menschen ist das Brot ein unentbehrlicher Theil der alltäglichen Nahrung; es rivalisirt an Nahrungswerth mit der Milch und ist ganz besonders dadurch ausgezeichnet, daß es von unserm Magen stets ohne Widerstreben angenommen wird. An ein gutes Brot knüpfen sich jedoch viele und wesentliche Bedingungen, die theils von der Reinheit und Beschaffenheit des Mehles, theils von der Art und Weise der Brotbereitung abhängen, und oftmals werden wirklich elende Fabrikate als „Brot" ausgeboten. In Anbetracht der großen Wichtigkeit dieses Gegenstandes für das alltägliche Leben hege ich die Ueberzeugung, daß mich die Leser der traulichen Gartenlaube bei kurzer Beachtung desselben begleiten werden.

Das Brot wird aus Mehlsorten bereitet, die man aus den Samen der Getreidepflanzen oder Cerealien, den Haupterzeugnissen des Landmanns gewinnt. Die Cerealien sind Pflanzen aus der Familie der Gräser mit langem, dünnem Halme, der an einigen verdickten Stellen, den sogenannten Knoten des Halmes, von langen zugespizten Blättern umfaßt wird, und an seiner Spitze viele in einer Aehre oder Rispe zusammenstehende unscheinbare Blüthen trägt, denen die schmückenden Blumenblätter fehlen, und die zu den kleinen, länglich runden oder walzenförmigen Samenkörnern reifen. Von einem gewissen Instinkte geleitet, haben die Menschen schon seit undenklichen Zeiten den nährenden Reichthum dieser Samen erkannt, und sobald ein Volk einer ruhigeren Lebensweise und mit dieser der Civilisation zuzustreben begann, vertauschte es zunächst die Waffe mit dem Pfluge und pflanzte in das durchfurchte Erdreich die wogenden Gräser mit ihren goldenen Aehren. Mit Recht wird daher der Ackerbau als die Seele der Industrie und der Gewerbe, als ein Segen des Friedens betrachtet; mit Recht wird er als unentbehrlich für die Menschheit geschildert; denn die Sorge um das tägliche Brot ist in materieller Beziehung die größte, den Menschen tyrannisirende Fessel.

Die wichtigsten Getreidearten sind: Weizen, Roggen oder Korn, Gerste, Hafer, Mais oder Welschkorn und Reis; doch ist nur das Mehl aus den Samen des Weizens und Roggens ganz geeignet zur Brotbereitung; während das Mehl der Gerste, des Hafers, Maises und Reises zwar, wie auch das Mehl der Hülsenfrüchte (Bohnen, Erbsen, Linsen), des Buchweizens und anderer Pflanzen, sehr oft dem Weizen und Kornmehl beigemischt wird, doch für sich allein kein wahres Brot zu geben vermag.

Die erste Zubereitung der ausgedroschenen Getreidekörner erfolgt in den Mühlen, wo dieselben theils von den äußeren Hüllen oder Hülsen, der sogenannten Kleie befreit, theils gröber zu Gries oder feiner zu Mehl gemahlen werden. Die Mühlen werden durch Wasser, Wind oder jedoch nur selten durch Dampf in Bewegung gesetzt; denn die sogenannten Dampfmühlen oder Kunstmühlen sind meistens nur Wassermühlen von neuerer Construction. Vergleichen wir verschiedene Mühlen, z. B. alte und neue miteinander, so bemerken wir mit Erstaunen, wie weit es der menschliche Scharfsinn auch hier gebracht hat. In den Mühlen von neuester Construction wird das Getreide gereinigt, zerquetscht (geschroten), enthülst, gemahlen, das Mehl nach seiner Feinheit sortirt und in Säcke gefüllt, ohne daß es von menschlichen Händen berührt zu werden braucht. Ein gewaltiges Rad vom Wasser gedreht, bewegt das ganze reinliche Werk, und das Gehör wird nicht mehr durch das unerträglihe Klappern beleidigt; wir hören nur ein dumpfes Rollen der unaufhörlich sich drehenden Räder. Eine ausführliche Beschreibung einer Mühle von neuester Construction geben wir hier nicht, weil uns dies zu sehr von unserem Hauptgegenstande ablenken würde. Nur das Vorzüglichste mag kurz hervorgehoben werden.

Auch in den neuesten Mühlen wird das Getreide zwischen zwei, sich mit ihrer rauhen Oberfläche gegeneinander drehenden Mühlsteinen gemahlen; doch geschieht das Zerquetschen oder Schroten in manchen Mühlen mittelst gegen einander laufenden Walzen, zwischen welchen man die Getreidekörner durchtreten läßt. Ist das Getreide durch einmaliges Behandeln zwischen den Mühlsteinen oder Walzen geschroten, so wird es mit Hülfe des Luftzuges kräftiger Ventilatoren enthülst, indem hierbei die leichte Kleie von dem schwereren Griese weggeblasen wird. Der enthülste Gries fällt hierauf wieder von Neuem zwischen zwei Mühlsteine und wird von diesen in Mehl verwandelt. Das gebildete Mehl wird von eigenthümlichen Taschenapparaten (kleinen an einem um Rollen sich drehenden Bande ohne Ende befestigten Täschchen von Blech), sogenannten Elevatoren aufgenommen, in ein oberes Stockwerk gehoben und in das höher stehende Ende eines hohlen, etwas nach abwärts geneigten, sich drehenden Cylinders von Seidengaze ausgeschüttet. Während der ersten Umdrehung des Cylinders fällt zunächst das feinste Mehl durch die Poren der Gaze in einen Kanal, an dessen Ende es von einem Sacke aufgenommen wird. Zugleich rutscht das im Cylinder gebliebene Mehl weiter nach abwärts, und bei einer neuen Umdrehung geht wieder ein Theil desselben, der aber gröber ist, durch, fällt in einen zweiten Kanal, und von diesem in einen zweiten Sack. Das Mehl im Cylinder rutscht wieder weiter; es geht noch gröberes Mehl durch, welches durch einen dritten Kanal in einem dritten Sacke aufgefangen wird etc. Hat sich ein Sack gefüllt, so wird er zugebunden und ein neuer leerer an dem Kanale befestigt. Das Mehl aber, welches zu grob war, um durch die Poren der Gaze dringen zu können, fällt wieder aus dem niedriger liegenden anderen Ende des Cylinders durch einen Kanal zwischen zwei Mühlsteine, um von diesen feiner gemahlen zu werden. Wenige Menschen reichen hin, um dieses schöne Werk zu reguliren.

Das Mahlen der Getreidekörner hat den Zweck, die Masse des Kornes fein zu vertheilen und die unverdauliche, aus Holzsubstanz bestehende äußerste Umhüllung der Körner, die Kleie, zu entfernen. Diese Aufgabe wird von den Kunstmühlen neuester Konstruktion in überraschender Weise gelöst, obschon noch einige Verbesserungen in mehrfacher Hinsicht wünschenswerth sind. Um nämlich den Werth eines Mehles beurtheilen zu können, müssen wir auf die Hauptbestandtheile des Getreides und auf die Art und Weise, wie diese in dem Getreidekorne abgelagert sind, Rücksicht nehmen. Wir finden dann, daß das sogenannte feinste Mehl, also das, was sich am feinsten anfühlt, nicht immer das nahrhafteste und zur Brotbereitung vorzüglichste ist, sondern daß das gröbere, welches später durch die Gaze des Cylinders fällt, ein nährenderes schmackhafteres Brot liefert. – Die Hauptbestandtheile des Getreides sind:

1.Stickstoffhaltige organische Verbindungen, sogenannte blutbildende Nahrungsmittel in einer Menge von 10-20 Procent. Diese sind in höchst complicirter Weise aus den sechs Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel und Phosphor (die beiden letzten nur in ganz geringer Menge) zusammengesetzt, können als Nahrungsmittel nicht entbehrt werden, da sie zur Bildung des Blutes dienen. Wir unterscheiden vorzüglich drei dieser Stoffe im Getreide, nämlich Pflanzeneiweiß oder Albumin, ist dem Eiweiße der Eier fast gleich und findet sich theils in einem in Wasser löslichen, theils in einem unlöslichen coagulirten Zustande; Pflanzenfibrin, ist dem Faserstoff des Fleisches ähnlich, in Wasser und Weingeist unauflöslich; und Pflanzenleim, ist dem Käsestoff der Milch ähnlich, in Wasser nicht, aber in Weingeist auflöslich. Pflanzenfibrin und Pflanzenleim bleiben gemeinschaftlich als sogenannter Kleber zurück, wenn das Getreidemehl, vorzüglich Weizenmehl, in ein leinenes Tuch gebunden und in diesem, unter reinem Wasser so lange ausgeknetet wird, bis keine weißen Körnchen (Stärkekügelchen) mehr durch die Poren des Tuches dringen. Der im Tuche zurückgebliebene Kleber ist eine sehr zähe, elastische, stark anklebende Masse; er behält das Wasser so stark zurück, daß er sich nur schwierig zu einer harten, durchscheinenden, hornartigen Masse, die im Wasser wieder aufquillt, trocknen läßt. Der Kleber ist die Ursache, daß das Getreidemehl beim Kneten mit Wasser einen zähen Teig bilden kann, daher kömmt es, daß das Mehl von Getreidearten, die nur wenig Kleber enthalten, wie z. B. das Reismehl, Maismehl, Hafermehl, keinen so guten Teig giebt, wie das Weizen- und Roggenmehl, die reicher an Kleber sind.

2. Stickstofffreie organische Verbindungen, sogenannte Respirationsmittel, in einer Menge von 70-80 Procent. Diese sind weniger complicirt aus den drei Elementen: Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zusamenengesetzt, können als Nahrungsmittel

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_052.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)