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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

daß gegen ihn nicht aufzukommen ist. Und Du weißt, wie sehr wir Ursache haben, vor dem Huker auf der Hut zu sein.“

„Freilich – er fahndet ja fortwährend auf unsern Eduard, und wer weiß, ob er nicht zuvor auch uns belauscht hat, wie hernach die beiden Freunde.“

„Ich bin gewiß, daß er es gethan – aber er hat von uns Nichts hören können, was sich auf Eduard´s Besuche bezog.“

„So ist der gute Doktor eigentlich um unsertwillen so unglücklich geworden“ – meinte Clelia – „Vater, laß uns ja thun, was wir können, daß ihn die Seelenfolter des einsamen Kerkers nicht zu einem verzweifelten Geständniß treibt! Ihm brauchst Du mich nicht länger zu verbergen.“

„Morgen soll er Dich sehen." Damit schloß der Greis diese Unterhaltung.

Und wie er gesagt, so geschah es. Von nun an durfte Rudolf täglich seine Musikschülerin sehen und sprechen. Und wenn auch ihr Vater dabei stets zugegen war, so hinderte das doch nicht, daß auf den Wellen der Töne ihre Gefühle sich begegegneten, ihre Herzen sich fanden und die zarteste Liebe sie verknüpfte.

Jetzt würde Rudolf seine Absicht, Clelia’s Augen zu operiren, vielleicht haben ausführen können, wenn er sich ihrem Vater hätte anvertrauen mögen; allein er konnte dies nicht über sich gewinnen, – lieber vertagte er jetzt das wichtige Werk auf die Zeit seiner Befreiung, der er im Gefühle seiner Unschuld zuversichtlich entgegen sah.

Inzwischen rückte die Zeit heran, wo Clelia´s Bruder mit dem „berühmten“ kopenhagener Augenarzt kommen wollte, und das liebe Mädchen sah diesem Zeitpunkt täglich unruhiger entgegen. Sie ersehnte und fürchtete ihn zugleich. Mit Ergebung hatte sie bisher ihr Loos ertragen, ja, sie hatte schon auf die Wiedererlangung des Augenlichtes verzichtet – aber das liebende Weib wünschte doch dem Geliebten so vollkommen als möglich gegenüber zu stehen. Dennoch zitterte sie auch vor einer Operation, die von nicht ganz kundiger Hand vollzogen leicht jede Hoffnung auf Wiedergewinnung ihrer Sehkraft zerstören konnte. Zuletz konnte sie nicht umhin, Rudolf das ihr Bevorstehende nitzutheilen. Dieser erschrak, dennoch wagte er es nicht, sich vorzudrängen. Es konnte ja sein, daß der angekündigte Arzt viel geübter noch war als er, und gern vergönnte er einem Geschickteren die Ehre und das Glück, die Geliebte sehend zu machen – wenn es ihm nur gelang. Aber gleichwohl beunruhigte ihn die Mittheilung fürchterlich. Clelia merkte es sofort. „Wenn Sie meinen, es sei nicht gut gethan, so lassen wir die Operation," sagte sie.

„Nein, nein!" rief er; „ich hoffe gewiß, daß Ihre Augen zu retten sind – aber es gehört große Geschicklichkeit dazu – ich werde darüber wachen, daß Sie keinem Charlatan in die Hände fallen. Vater Widerhold, lassen Sie doch ja die Operation in meinem Beisein vollziehen."

Der Greis versprach das, und sowohl Rudolf als Clelia sahen ruhiger dem verhängnißvollen Tage entgegen. Er kam. Der Gefängnißverwalter begab sich mit seiner Tochter nach dem Dampfer seines Sohnes. Als sie in das Boot steigen wollten, das sie hinüberbringen sollte, drängte sich der Polizeisergeant Huker kraft seines Amtes mit hinein. Vater Widerhold mußte es geschehen lassen – aber schnell besonnen sagte er: „Ich bin im Begriff den Augenarzt abzuholen, den mein Sohn meiner Tochter aus Drontheim schickt; was suchen Sie auf dem Schiffe?“

„Eben Ihren Sohn,“ antwortete der Sergeant. Der Greis wechselte mit dem Bootführer einen bedeutungsvollen Blick – und ehe sie an Bord gehißt waren, hatte der Matrose sich schon hinaufgeschwungen und dem Schiffsherrn, der in Gesellschaft des dänischen Arztes die Ankömmlinge erwartete, die Absicht des Polizeimanns gesagt.

„Ich habe es schon geahnt“ – sagte der Gewarnte – „ich werde meine Rolle als Kapitain Gildenstern fortspielen.“

So geschah es. Mit den Worten: „Guten Tag, Herr Kapitain – haben Sie Nachrichten von meinem Sohn?“ trat Widerhold am Arm seiner Tochter dem Schiffer entgegen. Dieser erwiederte den Gruß, drückte Vater und Schwester innig die Hand und stellte ihnen den Doktor Lorenzen als den vom Herrn Rheder Widerhold in Drontheim mitgeschickten Augenarzt vor. Der Sergeant, der sein Edelwild nicht persönlich kannte, wurde vollkommen getäuscht und fuhr unverrichteter Sache mit den Andern an’s Land zurück.

Der dänische Arzt wurde in einem Hotel in der Nähe des Crimininalgefängnisses untergebracht. Er untersuchte auf der Stelle Clelia’s Augen, stellte den glücklichen Erfolg einer Operation als ungewiß dar, war aber doch dafür, und pries dann seine Salben und Mixturen für den Fall, daß die Operation nicht den erwünschten Erfolg hätte. Den folgenden Tag sollte dieselbe vor sich gehen.

Rudolf konnte die vorausgehende Nacht fast kein Auge schließen, und als ihn Vater Widerhold zur festgesetzten Stunde abholte, fand er ihn in fieberhafter Erregung. Erst als er dem fremden Collegen gegenüberstand, gewann er wieder etwas Ruhe. Er hätte ihm sogleich auf den Zahn fühlen mögen, aber er mußte die Rolle eines Laien spielen, und so ließ er den „Berühmten“ ruhig seine Zurüstungen treffen. Schon während derselben stieg in ihm der Verdacht auf, daß man es mit einem großen Charlatan zu thun habe. Aber er ließ ihn gewähren. Clelia ließ sich auf dem ihr bestimmten Platz nieder, der Doktor ergriff seine Lanzette und setzte an – es war für den Vater ein Moment voll Todesangst – doch wie schon die Blinde unter der Berührung des Instrumentes zuckte, riß Rudolf den Arm des Operateurs mit solcher Heftigkeit zurück, daß der Hand die Lanzette entsank, und zornig donnerte er ihm zu:

„Elender Pfuscher! Wie können Sie es wagen, ein solches Werk zu unternehmen?“

Der Däne stand verblüfft da. Clelia sprang bebend auf und Vater Widerhold wußte nicht, was er denken sollte. Doch er wurde bald aufgeklärt; denn Rudolf las dem „Berühmten“ aus Dänemark so deutsch den Text, wies ihm seine Unberufenheit so bündig nach, daß der liebende Vater Gott danken mußte, daß er sein Kind der Gefahr entrissen, in der es eben geschwebt hatte.

Der Fremdling mußte mit Schanden abziehen. Als Vater Widerhold Rudolf in dessen Zelle zurückbrachte, fand dieser, um den getäuschten Väter zu trösten, den Muth, zu erklären, daß er eines Tages selbst die heute vereitelte Operation vornehmen werde, sobald er seine Freiheit wieder habe.

„O warum nicht jetzt?“ fragte der Greis, heftig seine Hand ergreifend.

Rudolf zögerte mit der Antwort. Mit vieler Mühe entlockte ihm Jener endlich das Geständniß, daß er seine Instrumente versetzt habe.

„Wenn es nur daran liegt,“ sagte der Greis, „so soll Clelia keinen Tag länger des lieben Himmelslichtes entbehren.“

Als er wieder zu seinem Kinde zurückkehrte, fand er es sehr traurig.

„Betrübe Dich nicht“ – tröstete er – „was jetzt vereitelt worden, wird bald durch eine geschicktere Hand geschehen.“

„Ach, darum ist es mir jetzt gar nicht zu thun,“ sagte sie, „ich dachte an etwas ganz, ganz Anderes. Weißt Du auch, daß der Däne unsern Eduard nun verrathen wird?“

Der Greis erschrak, „Du hast bei Gott Recht – ich muß schnell zu der Frau Brummeisen gehen, damit sie das verabredete Zeichen aufsteckt.“

„Und nun wird der gute Eduard auf lange, lange Zeit vom heimathlichen Gestade verscheucht!“ klagte Clelia, – „und ich hatte auf seine einstige Wiederkunft einen so wichtigen Plan gebaut!“

„Welchen?“ fragte der Vater.

Das sag’ ich Dir besser jetzt nicht“ – sagte sie – „eile nur, den Eduard zu warnen.“

Der Greis ging. Als das geheime Signal gegeben war, begab er sich stracks zu dem Juden, der im Besitz von Rudolf´s Instrumenten war, und löste sie ein. Rudolf setzte die Operation auf den folgenden Tag fest.

Schon waren wieder alle Zurüstungen zu dem Werke getroffen, schon stand der von heimlicher Liebe glühende Operateur mit seinen Werkzeugen bereit, und der Vater brachte sein blindes Kind herbei – da erbebte Rudolf´s ganzes Wesen; Clelia, in Rosa gekleidet, das holde Angesicht von Hoffnung und Vertrauen verklärt, reichte ihm die Hand – sein Puls schlug hörbar – sie setzte sich – er nahete sich mit dem Instrumente ihrem Auge – er zitterte – der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. –


(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_088.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)