Seite:Die Gartenlaube (1856) 148.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Spaß machen. Als wir bei der Batterie ankamen, die noch fortwährend in voller Thätigkeit war und feuerte, daß die Erde zitterte, wollten uns die Wachen in den Trancheen, die aus Soldaten von der deutschen Fremdenlegion bestanden, zuerst gar nicht das Weitergehen gestatten.

„C’est l’ordre on ne passe pas ici“, antwortete mir stets der den Posten befehligende Korporal, ein echtes deutsches Gesicht, und wie Einer der englischen Offiziere, der etwas angetrunken war, fluchte und doch weiter gehen wollte, fällte er das Bayonnet gegen ihn, und drohte mit einem tüchtigen deutschen Fluch, den ich nicht verstand, er würde ihn auf der Stelle über den Haufen stoßen, wenn er noch einen Schritt weiter ginge. Der Korporal hatte Recht und verstand seinen Dienst, dies muß ich sagen, obgleich wir uns in dem ersten Augenblick nicht wenig über seine Halsstarrigkeit ärgerten, und besonders der eine Engländer dem der Punsch etwas zu sehr in den Kopf gestiegen war, eine wahre Unmasse aller möglichen englischen und französischen Flüche aussprudelte, was indeß den Legionssoldaten des Pikets, die sich um ihren Korporal gesammelt hatten, und den Legionärs vielen Spaß zu machen schien. Es waren Grenadiere einer Elitekompagnie der Fremdenlegion und dies sind immer fast nur bewährte Feldsoldaten, die sich nicht so leicht verblüffen lassen und wenn der Teufel selbst in höchsteigener Person so etwas versuchen wollte. Auf meinen Befehl schickte übrigens jetzt der Korporal eine Ordonnanz an den in diesen Trancheen kommandirenden Kapitain vom Geniekorps, damit der uns die Erlaubniß zum Weitergehen ertheilen möchte. Glücklicherweise war dies ein persönlicher Bekannter von mir aus Algerien und so gab er denn die Erlaubniß sogleich, und führte uns selbst in die Batterie, die ebenfalls ein guter Bekannter von mir, der Kapitain Z. kommandirte. Der eine englische Offizier, der jetzt, nachdem sein Zorn verraucht war, sich schämen mochte, daß er vorhin gar so arg getobt hatte, schenkte dem Legionskorporal zwei blanke Napoleons, damit er für das Geld mit seiner Mannschaft auf seine Gesundheit trinken möge. Wenn diese Legionssoldaten Geld zum Vertrinken bekommen können, so sind sie stets vergnügter Dinge, und so machten sich diese Mannschaften denn jetzt den Spaß und riefen immerwährend vive Mylord, vive Mylord, ah vous êtes un brave Officier, Mylord. Plötzlich kam in all diesem Jubel eine russische Bombe, die zu weit links geflogen war, angesaust und schlug kaum fünf Schritte von uns in den Boden. Garde à vous Monsieur, rief der Korporal dem Engländer zu, der in dem ersten Augenblick ganz verdutzt dastand, und wie dieser noch eben sich umschauen wollte, gab er ihm einen Stoß, daß er der Länge nach hinflog.

Auch die Soldaten des Postens und wir übrigen Offiziere warfen uns sogleich platt auf den Boden, und so zersprang die Bombe und die Stücke flogen über uns weg, ohne weiter uns zu verletzen, was jedenfalls geschehen wäre, wenn wir stehen geblieben. Verteufelt schmierig sahen wir aber aus und besonders der eine Engländer, der gerade mit dem Gesicht in eine Pfütze gefallen war, als der Korporal ihn so niedergestoßen hatte, triefte förmlich von Schmutz.

„Sehen Sie, daß ist der Genuß in den Trancheen,“ lachte der Geniekapitain als er wieder aufstand.

„O, es kommt oft noch viel toller,“ und auch die Soldaten der Wache lachten und suchten den beschmutzten Engländer, der ebenfalls gute Miene zum bösen Spiel machte und lachte, unter allerlei Witzeleien und Scherzen in ihrer deutschen Sprache, die ich nicht verstand, wieder abzutrocknen.

Bei Gott, in der Batterie, wohin wir denn bald kamen, sah es aber schauerlich aus. Da es ziemlich warm war, und das Laden der großen Mörser eine sehr anstrengende Arbeit ist, die viel Schweiß kostet, so hatten die Artilleristen alle ihre Uniformsstücke bis auf die Hosen abgeworfen. Viele hatten gar keine Hemden mehr an, sondern ihr ganzer Oberkörper war nackt, und von dem Pulversatz in den Geschützröhren und von dem Schlamm auf dem Boden, denn sie hatten sich oft niederwerfen müssen, um nicht von zerspringenden Bomben verwundet zu werden, sahen Alle im Gesicht und auf der Brust und den Armen so schwarz und schmutzig wie die Schornsteinfeger aus. Um den Leib hatten alle ein Tuch oder auch nur eine Säbelkuppel fest wie einen Gürtel geschnürt, da sie behaupteten, daß dies davor schütze sich einen Bruch zu heben, was sonst beim Einbringen der schweren Bomben in die Haubitzmündungen leicht geschehen könne.

Auch der Kapitain Z. und seine zwei Lieutenants, die hier kommandirten, sahen wahrlich nicht aus, als ob sie auf einem Hofball in den Tuilerien hätten sonderlich gefallen können. Sie hatten ihre alten über und über beschmutzten schwarzen Uniformsröcke an, deren Schöße schon so sehr zerrissen und verbrannt waren, daß kein Trödler einen Frank für den ganzen Anzug geboten hätte.

Kapitain Z. ein alter Bekannter von mir, der vor mehreren Jahren die Expedition nach der Kabylie mitmachte, und viele Nächte bei uns Chasseurs d’Afrique auf den Vorposten zubrachte, riß zwar anfänglich ganz verwundert die Augen über unseren Besuch auf, meinte dann aber lachend, „wir sollten ihm immerhin willkommen sein, wenn wir als Freiwillige mithelfen wollten, viel Amusement könne er uns aber nicht versprechen und ein freundlicher Salon sei seine Batterie wahrlich auch nicht.“ Darin hatte er Recht, denn der Ort sah schauerlich aus, soviel man bei dem Schein der großen Laternen, die an mehreren Stellen befestigt waren, damit die Artilleristen beim Laden ihrer Geschütze sehen konnten, zu erkennen vermochte.

Der Boden war von den russischen Bomben ganz aufgewühlt und zerfurcht, und überall lagen Trümmer und Splitter von früher zerschossenen Lafetten umher, die man noch nicht hatte fortbringen können; auch ein ganz zerrissener Menschenkörper lag in der einen Ecke der Batterie, denn vor einer halben Stunde war ein Kanonier so von einer feindlichen Kugel zerschmettert worden, daß seine Glieder nach allen Seiten umherflogen. Zwei andere Kanoniere lagen schwer verwundet in einem Winkel und beim Schein einer Laterne knieete ein Arzt vor ihnen, um sie nothdürftig so weit zu verbinden, daß sie den Weitertransport in die Ambulance aushalten konnten. Der eine dieser Kanoniere, dem ein Stück der Kinnlade von einem Bombensplitter fortgerissen war, stöhnte fürchterlich und bat in fast unverständlichen Tönen, man möge ihn doch nur auf der Stelle erschießen, damit seine Leiden ein Ende erreichten. Sein Kamerad, ein alter Graubart, dem ein Fuß am Knöchel abgeschossen war, lag ganz ruhig und rauchte seine Pfeife, als habe er weiter keinen Schmerz.

Und nun welch’ ein Höllenlärm war noch dazu in dieser Batterie, so daß man in dem ersten Augenblick, wenn die Haubitzen derselben losgefeuert waren, stocktaub zu werden glaubte. Dazwischen das heisere Kommandorufen des Kapitains Z., der von dem vielen Schreien und dem Pulverdampfe fast schon die Stimme verloren hatte, und wie ein Rabe krächzte; das Rasseln der Ketten und Klappern der Bomben, wenn die nackten Artilleristen mit größter Anstrengung dieselben in die Mündungen der Haubitzen hineinrollen ließen. In der Luft dröhnte, zischte und pfiff es von den russischen Geschossen, die fortwährend von dem Malakoffthurm auf unsere Trancheen geschleudert wurden und rechts und links über unsere Köpfe hinwegsausten. Dabei wieder das Jubeln und Singen und Lachen dieser geschwärzten Artilleristen, die in dieser Nacht so recht in ihrem Berufe zu sein schienen.

Helas, mon Capitain,“ rief mir ein alter Artillerist zu, der mich von Algerien her noch persönlich kannte, „das ist eine heiße Nacht, und es giebt andere Arbeit hier, als wenn wir damals mit unsern leichten Berggeschützen auf diese räuberischen Kabylen feuerten. Wie gefallen Ihnen diese blauen Bohnen, die wir den russischen Herren dort drüben zusenden?“ und damit wies er auf eine Bombe, die so eben von zwei Artilleristen mit äußerster Mühe aufgehoben ward. „Gelt, das sind andere Pillen, als wie Ihre Chasseurs d’Afrique in ihre Karabiner laden können. — Doch, aufgepaßt, die russische Bombe wird bei uns einschlagen!“ rief er laut aus, und in demselben Augenblick warfen sich alle Artilleristen platt an den Boden, längst der Brüstung der Batterie nieder. Die russische Bombe schlug ein, wühlte sich tief in die Erde, platzte aber nicht, so daß nach einigen Augenblicken des Wartens alle Artilleristen lachend wieder aufsprangen und an ihre Geschütze eilten.

„Sind ungeschickte Teufel da drüben, mein Kapitain, und verstehen ihr Handwerk nicht — Wart, wir wollen versuchen, es ihnen besser zu zeigen,“ spottete damals mein alter Artillerist und trat an seinen Mörser, der unterdeß geladen war, um ihn abzufeuern. Ich war unwillkürlich näher herangetreten, um die Handgriffe beim Richten und Abfeuern besser mit anzusehen, aber der Knall war so groß, daß ich einen stechenden Schmerz in den Ohren fühlte, und mir das Blut aus denselben tröpfelte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_148.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)