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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Und wenn ich nun eifersüchtig wäre?“ fragte sie flüsternd.

„Dann, mein Engel, würde ich sagen: Du hast keinen Grund zur Eifersucht, aber ich freue mich Deiner Liebe, die nach einer zweijährigen Ehe noch dieselbe ist, wie zur Zeit des Brautstandes. Und nun Adieu, die Börse ruft!“

In dem Augenblicke, als er das Zimmer verließ, schlug die Uhr eins. Henriette trat gedankenvoll an das Fenster; sie sah ihren Mann die Straße hinabeilen. Als er verschwunden war, nahm sie Hut und Shawl, gab der Köchin Befehl, um drei Uhr das Mittagsessen bereit zu halten, und verließ unter dem Vorwande, einen Spaziergang zu machen, das Haus.


II.
An der Börse.

Franz Soltau befand sich seit einer halben Stunde in dem großen Saale der Börse; er hatte einige Einkäufe von Papieren gemacht, die ihm einen mäßigen Gewinn gaben. Die Zeit war für den Banquier nicht unfruchtbar vergangen. Geschäftsfreunde forderten ihn auf, sich bei einem Eisenbahnunternehmen zu betheiligen — er lehnte es ab, da eine solche Speculation den Kreis überschritt, den er sich gezogen hatte.

„Wie ängstlich Sie sind!“ rief spottend ein Agent, mit dem er oft zu schaffen hatte. „Man bietet Ihnen Gelegenheit, Ihr Vermögen in einem Monate zu verdoppeln, und Sie weisen diese Gelegenheit von der Hand. Erlassen Sie eine Einladung zur Actienzeichnung, und es kann nicht fehlen, daß die erforderliche Summe zusammengebracht wird. Der Name Soltau hat einen guten Klang an der Börse. Muthloser, wenn ich an Ihrer Stelle wäre!“

„Wo ist Soltau?“ hörte man eine Stimme in dem Gedränge fragen.

Gleich darauf erschien ein junger Mann, der mit dem Banquier in gleichem Alter stand. Er nahm Soltau bei der Hand und zog ihn eilig an einen Pfeiler.

„Du, Philipps; was giebt es?“

„Hast Du ein Kapital von hunderttausend Mark disponibel?“

„Und wenn ich es hätte?“

„So könntest Du in dem Zeitraum von einigen Tagen fünfundzwanzig bis dreißigtausend Mark verdienen ——— vielleicht noch mehr. Du bist mein Freund, und ehe ich mich an einen Andern wende, habe ich geglaubt, Dir das Geschäft antragen zu müssen.“

Soltau bedachte sich; eine solche Summe aus eine Karte zu setzen, schien ihm zu gewagt.

„Sage mir zuvor, um was es sich handelt, Philipps.“

„Ein Bedrängter, der nicht genannt sein will, hat die Lebensversicherung eines alten Mannes zu verkaufen. Die Versicherung ist vor zwanzig Jahren bei dem englischen Globe geschehen, also bei einer soliden Gesellschaft. Der Betreffende hat sich mit hundertfunfzigtausend Mark eingekauft, und der Verkäufet fordert hunderttausend.“

„Warum wendet er sich nicht an die Gesellschaft selbst?“

„Es ist bereits geschehen; aber sie bietet zu wenig. Der Versicherte liegt schwer krank, die Aerzte geben ihm nicht acht Tage Frist mehr.“

„Warum wartet man nicht, bis der Tod erfolgt ist, wenn er in so naher Aussicht steht?“

„Weil man heute noch das Geld gebraucht. Soltau, es ist ein gutes, solides Geschäft. Hätte ich die Summe, ich würde nicht einen Augenblick anstehen —“

„Wo ist die Lebenspolice?“ fragte Soltau.

Der Agent holte das Papier hervor. Der Banquier nahm und prüfte es,

„Wie,“ rief er erstaunt, „der Versicherte ist Edmund Kolbert?“

„Und wie Du aus der Police ersiehst, ist er fünfundsechzig Jahre alt und seit zwanzig Jahren versichert.“

„Edmund Kolbert!“ murmelte der Banquier, der an den Wechsel von diesem Morgen und an Sophie Saller dachte. „Wo liegt der Mann krank?“

„In Berlin!“

Der Banquier hoffte bei dieser Gelegenheit einiges Licht in der Sache zu erhalten.

„Philipps,“ sagte er, „Du weißt, daß ich es liebe, jedes zu unternehmende Geschäft klar zu übersehen — Du bist ein redlicher Agent, selbst mein Jugendfreund; aber fühle Dich nicht gekränkt, wenn ich auf Deine Empfehlung allein nicht sofort zusage. Kennst Du Edmund Kolbert?“

„Nein!“

„Wer gab Dir das Papier, damit Du es verkaufen sollst?“

„Da man mir kein Schweigen auferlegt hat — nur der Name des Ueberbringers soll nicht genannt werden — so kann ich Dir mittheilen, was ich weiß. Diesen Morgen kam ein Mann zu mir, den ich Gründe habe, für einen englischen Offizier zu halten. Er überreichte mir einen Brief, in dem er mir von unserm gemeinschaftlichen Geschäftsfreunde Gotter in Berlin empfohlen ward. Ich bin gestern hier angekommen, sagte er; aber heute schon sehe ich mich genöthigt, Ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Nun gab er mir diese Police zum Verkaufen. Ich ging sofort mit ihm auf das Bureau des Globe. Man forderte von ihm eine Legitimation über den rechtmäßigen Besitz des Papiers. Der Offizier zeigte eine amtlich bestätigte Urkunde vor, wonach Edmund Kolbert ihn zum Erben seiner Police ernennt. Hier ist sie.“

Der Banquier prüfte die Urkunde; es waren dieselben Schriftzüge, die er diesen Morgen schon in der Wechsel- und Rentenangelegenheit aufmerksam betrachtet hatte. Die Recognition war vor der englischen Gesandtschaft in Berlin vollzogen. Die Rechtmäßigkeit derselben war also nicht anzufechten.

„Da auch die übrigen Papiere des Fremden für richtig befunden wurden,“ fuhr Philipps fort, „so ließ man sich mit ihm auf Unterhandlungen ein. Die Gesellschaft bot neunzigtausend Mark; unser Mann aber braucht heute noch hunderttausend, und so kam der Handel nicht zu Stande. Nun entschloß ich mich, Dir das Geschäft vorzuschlagen, und suchte Dich zu diesem Behufe an der Börse auf.“

Soltau überlegte einige Augenblicke. Die Vorgänge am Morgen hatten ihm den Beweis gegeben, daß Kolbert über ein Vermögen zu verfügen habe. Philipps hatte ihm die Mittheilung gemacht, Kolbert liege in Berlin krank: hieraus ließ sich schließen, daß er auf seinen Tod gefaßt sei und daß die Angelegenheit der Rente sowohl, als die der Lebenspolice eine Sicherstellung seiner Erben bezwecke. Der englische Offizier, von dem Philipps sprach, war ohne Zweifel der Bruder oder ein Verwandter Sophie’s. Der Banquier wußte, daß sein Freund, der Agent, nicht minder vorsichtig war als er selbst. Die Erscheinung des jungen Mädchens und das unbedingte Vertrauen — man hatte ihm ja eine bedeutende Summe übergeben, ohne Quittung zu verlangen —— hatten in ihm einen zu tiefen Eindruck hinterlassen, als daß er die Angelegenheit ohne Weiteres abweisen konnte.

„Du hast Dich von der Richtigkeit der Papiere überzeugt, Philipps?“

„Nimm meine Bürgschaft und die des Globe, der sich auf Unterhandlungen eingelassen hat.“

„Das ist allerdings eine Bürgschaft. Kann ich den Fremden sprechen?“

„Er befindet sich dort in dem Nebenzimmer.“

„Führe mich zu ihm!“

Die beiden Freunde traten durch eine Glasthür in eins der Kabinette, welche rings den großen Börsensaal umgeben. Außer einzelnen Gruppen von Kaufleuten, die in lebhaften Unterhandlungen begriffen waren, befand sieh ein Mann in dem Kabinette, der gedankenvoll an dem großen Fenster lehnte. Philipps redete ihn an, und stellte ihn dem Banquier vor.

Das Gesicht des Fremden, der vielleicht einige vierzig Jahre zählen konnte, war bleich, aber edel und schön. Die männlichen Züge und das große, offne Auge verriethen ein tief am Herzen nagendes Leid. Man mußte sich auf den ersten Blick eingestehen, daß dieser Mann kein Abenteurer war. Soltau glaubte einige Aehnlichkeit zwischen ihm und Sophie zu erkennen. Seine Kleidung war anständig, einfach. In dem Knopfloche seines schwarzen Oberrocks sah man das Band eines englischen Ordens. Dies und der volle braune Schnurrbart gaben ihm das Ansehen eines entlassenen Offiziers.

„Mein Freund, der Banquier Franz Soltau!“ sagte Philipps vorstellend.

Der Fremde verneigte sich.

„Meine Firma ist Ihnen vielleicht bekannt?“ fragte der Banquier, indem er den Fremden forschend ansah.

Dieser antwortete lächelnd:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_179.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)