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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

bestraft, und wie Ulrich v. Hutten am Zürchersee, hauchte fern der geliebten Heimathinsel der Brave im Jahre 1838 am Genfersee seine edle Seele aus.

Der Leser, welcher bis hierher unsern Schilderungen folgte, möge jetzt noch einen Abstecher nach Amrum machen, das früher nur durch eine schmale Rinne von Sylt geschieden war. Von der Südwestspitze Föhrs ist die Insel durch einen 1/2 Meile breiten Sund getrennt, und kann man während der Ebbe von Amrum nach Föhr gehen. Wie wir sahen, sind die Sylter größtentheils Seefahrer, die Bewohner Amrums dagegen, deren eigentliches Element gewiß ebenfalls einst der endlose Ocean war, haben sich mehr dem beschaulichen Leben hingegeben. Die gefährlichen Sandbänke Amrums führen den Untergang so manchen stolzen Schiffes herbei, dessen Ladung die Wogen dann an’s Ufer wälzen, und dies hat die Bewohner verleitet, dem trügerischen Elemente die Sorge ihres Unterhaltes anzuvertrauen, und sind sie deshalb weniger Seefahrer- als vielmehr Beeger, welchen von dem Strandgute nach alten Gesetzen ein bestimmter Antheil zukommt. Clement, der die Lebens- und Leidensgeschichte der Friesen geschrieben, sagt: „Das Strandgut bringt weder Wohlstand noch Segen, sondern Fluch. Kein Strandungsunfall ist ohne Lärm u. s. w.“ Ja, der Strand hat die Bewohner nicht gesegnet, welche früher beteten, daß, wenn ein Schiffbruch sich ereignen sollte, der liebe Gott denselben doch an ihrer Küste möge eintreten lassen. Das Beegen des Strandguts, welches zuweilen einträglich, hat die Bewohner Amrums abgehalten, sich der Schifffahrt mehr zuzuwenden. Da der Strand nun aber nicht immer ergiebig, so hat der Reichthum der Insulaner ebenfalls Schiffbruch gelitten und ist bedeutend gesunken. Die Bewohner nähren sich hauptsächlich vom Austerfischen, vom Fischfang, vom Verkauf der Seehundsfelle und dem Flechten des Halms, welcher auf den Dünen wuchert. Ackerland trifft man auf der Insel wenig an, dagegen mehr Wiesen und öde Heide. Die Häuser sind im Vergleich mit denen auf Sylt ärmlich und gewähren keinen erfreulichen Anblick. Die Bewohnerinnen der Insel kleiden sich wie die Föhringerinnen. Die Dünen auf Amrum gleichen den Dünen Sylts, und beinahe 2/3 der ganzen Insel besteht aus Sand, mit dem die heftigen Winde ihr neckisches Spiel treiben; sie arbeiten rastlos an den Dünen, welche sich bald kegelförmig erheben, bald gleichsam Pfeiler zu bilden scheinen, und die eine Höhe von 80–120 Fuß erreichen. Die Dünen sind melancholisch und still, wie überhaupt die ganze Insel in tiefe Stille versenkt zu sein scheint, die auf den Besucher einen eigenthümlich feierlichen Eindruck hervorbringt. Möven erblickt das Auge in Unzahl, sie sind wie der Storch und die Schwalbe poetische Vögel, und Verkünder nahenden Sturms; die großen nisten auf den hohen Dünen, die kleinen auf niedrigen hart am Strande, und das Suchen der Eier dieser sowie anderer Seevögel gewährt den Bewohnern einen kleinen Verdienst.

Wilde Kaninchen waren früher in Unzahl vorhanden, sollen jedoch in der letzten Zeit abgenommen haben, und ist man ein guter Schütz, so wird man auch jetzt nicht leer ausgehen, sondern von seinem Besuche nach den Dünen eine reiche Beute heimbringen. Die Seehunde werden auch geschossen. Man sieht sie oft aus den Fluthen emportauchen und mit großen klugen Augen sich umschauen. Der Jäger zieht dann seine Pelzmütze über die Ohren, streckt sich am Ufer im Sande nieder und sucht die Bewegungen des Thieres nachzuahmen. Dieses, welches einen Kameraden oder eine Gefährtin zu erblicken glaubt, nähert sich, und wird auf diese Weise oft das Opfer treuer Liebe.

Als vortreffliche Lootsen haben die Insulaner ihren alten Ruf behauptet, und der Schiffer, welcher sich ihnen in der Noth anvertraut, möchte fast immer als gerettet anzusehen sein. –„Schlickläufer“ nennt man auf den Inseln Diejenigen, welche bei der Ebbe, wenn das Meer sich zurückgezogen, von der einen zur andern gehen. Die genaueste Kenntniß des Meeresgrundes ist erforderlich um sicher das Ziel zu erreichen; eine kurze Abweichung vom rechten Pfade kann den Schlickläufer dem Tode in die Arme führen; denn so wie die Fluth eintritt, braust sie ihm mächtig entgegen und nimmt den Boden wieder in Besitz, von dem sie sich auf kurze Zeit zurückgezogen; sie umspült seinen Fuß und höher und höher steigend, zieht sie ihn in ihren kühlen Schooß hinunter.

Ist man ein Freund von Naturseltenheiten, so sammele man am Strande Conchylien und Gestein; man findet es in allen Formen, und von der Gewalt der Wellen zierlich abgeschliffen. Auch der Botaniker wird nicht leer ausgehen, sondern sich an Algen und Tangarten erfreuen; letzterer, hauptsächlich der Blasentang (fucus vesiculosus) wird auf Föhr benutzt, um die Steine der Deiche hinein zu legen, welche mit ihm vereinigt, die gehörige Stärke und Festigkeit erlangen.

Ich stieg, nachdem ich mich lange am Strande an den verschiedenen Gebilden des Gesteins und der Versteinerungen erbaut, langsam die Dünen hinauf, in deren losen Sand ich oft tief versank und mich mühsam emporarbeiten mußte. Oben angekommen, legte ich mich nieder und ließ den Blick schweifen über das endlose, majestätische Meer.




Die Inseln, welche wir bis jetzt besuchten, werden durch Dünen, so wie durch künstliche Deiche und Dämme gegen die Wuth der Wellen und Stürme mehr oder weniger geschützt, aber zu den Inseln Nordstrand und Pellworm gehören noch einige kleine, weder durch Dünen noch durch Deiche beschützte, wie Langenes, Abeland u. a., die sogenannten Halligen; sie liegen östlich von Amrum und südöstlich von Föhr. Halligen nennt man im weitern Sinne alles an der See liegende, uneingedeichte Land, welches bei der Fluth mehr oder weniger überschwemmt wird, im engern dagegen die bereits erwähnten Inseln. Sie liegen in offener See, und nur bei der Ebbe scheinen sie bis auf einige Wasserrinnen festes Land zu bilden. So wie aber die Fluth eintritt, werden sogar die einzelnen Wohnungen von einander getrennt, welche alsdann auf dem Wasser zu schwimmen scheinen. Der Boden der Halligen besteht aus Moorgrund, den die Fluth lockert, die darauf eintretende Ebbe mit sich fortführt und ihn an den Deichen des Festlandes als Schlick wieder ansetzt, so daß man mit Recht behaupten kann, die Halligbewohner können das ihnen entrissene Land an den Küsten des Herzogthums Schleswig wieder finden.

Auf den Halligen gedeiht kein Baum, dessen Grün das Auge erfreuen könnte, kein Busch, keine Staude rauscht im Winde, nur ein feines, kurzes Gras bedeckt den Boden, das den Schafen als Futter dient, und zur Heugewinnung gemäht wird. Nicht selten führt die Fluth den kärglichen Ertrag des Bodens mit sich fort und beraubt den Halligbewohner der spärlichen Ernte.

Die Häuser sind auf Hügeln, auf sogenannten Werften erbaut, um bei Sturmwinden gegen den Schwall der Wogen geschützt zu sein; aber oft steigt die Fluth höher und höher, wälzt sich brausend über die Werfte hin; pocht gegen Fenster und Thüren und treibt die Bewohner bis unter’s Dach. Die Häuser sind so gebaut, daß, wenn auch die Mauern derselben niedergerissen werden, das Dach dennoch auf den Pfeilern und Ständern stehen bleibt, welche der vorsichtige Erbauer bis auf den Grund der Werfte hineingetrieben hat. Nimmt aber die Wuth des Orkans nicht zur rechten Zeit ab, so wird auch die Werfte vernichtet, die Pfeiler, welche das Dach stützen, schwanken und erbeben in ihren Grundfestem und nur einer mächtigen Woge bedarf es dann, um Alles zu zertrümmern, und den schwanken Bau mit seinen Bewohnern in die endlose Tiefe hinabzuziehen.

So traurig ist die Lage der Insulaner, und dennoch lieben sie den paradiesischsten Ort der Erde nicht so wie ihre Heimath, die nur Noth und Schrecken zu bieten scheint. Daß der Schweizer in fremden Ländern seiner stolzen Alpen und grünenden Thäler in süßer Freude und tiefer Wehmuth gedenkt, ist leicht erklärlich, daß aber der Halligbewohner, der als Seefahrer die Wogen durchschneidet, mit noch größerer Anhänglichkeit seine nackte Insel liebt, wo er sich einst niederzulassen und sein Auge zu schließen hofft, das ist rührend und herzerschütternd, und läßt uns ahnen, welchen Zauber die Heimath auf jedes unverdorbene Gemüth ausüben muß.

Eine vielfach poetisch bearbeitete Sage berichtet, daß eine Friesin, die von ihrem Geliebten Abschied nahm, ihm versprach, immer eine Lampe an ihrem Fenster brennen zu lassen, bis er in ihre Arme zurückgekehrt sei. Der Seemann fand jedoch seinen Tod in den Wellen, aber das Mädchen versorgte unermüdlich die Lampe und blickte sehnsuchtsvoll auf’s Meer, den Geliebten erwartend. Ihre Wangen erblaßten, ihr Haar erbleichte; Jahr aus Jahr ein brannte die Lampe, im nächtlichen Dunkel ihren freundlichen Schimmer auf die Wogen werfend, bis die Liebende endlich die müden Augen schloß, und von ihrer Hand nicht mehr versorgt, auch der Schimmer der Lampe erlosch.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_183.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)