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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

unter welche sie sich sehnen. Zwar duldet die russische Regierung den Verkauf von Mädchen nicht, aber da die Eltern arm, die Mädchen schön, ihre Sehnsucht, verkauft zu werden, groß und der Preis, den der Agent von Trebisond, dem Ausfuhrhafen, für diese Georgerinnen, hoch ist, kann selbst das strenge russische Gesetz Geschäfte der Art nicht verhüten. Die Stadt Erivan ist ungemein schmutzig und enge, und die etwa 10,000 Einwohner leben zum Theil wahrhaft in Schmutzhaufen oder zwischen Ruinen, den Zeugen verschiedener Belagerungen und Bombardements, deren letzteres dem russischen General Godovitsch im Jahre 1808 die größere Hälfte seiner Armee kostete, ehe er auf dem Rückzüge Tiflis wieder erreichte. Die merkwürdigsten Zeugen der Vergangenheit in Erivan sind christliche Kirchen mit der Hälfte ihrer Schiffe unter der Erde, wo die ersten verfolgten Christen ihre Andacht verrichteten. Später, als das verfolgende Römerschwert und der noch grausamer verfolgende Halbmond gesunken waren, bauten die Christen auf ihren unterirdischen Andachtshöhlen offene Kirchen empor, ohne die alten Kellertempel zu zerstören. Man findet solche halb unterirdische Kirchen noch in verschiedenen andern Orten Kleinasiens, dieses Paradieses der Menschheit, wenn sie nicht immer Schwerter geschliffen hätte, um sich gegenseitig den Genuß desselben zu wehren.

Erivan mit der Bergfestung Zengui.

Kleinasien ist eine Ruine geworden, wie das Paradies der europäischen Türkei. Erst wenn der halbmondförmig gekrümmte Säbel sich vollends rundet zum schnurrenden Rade der Industrie, der Kultur, die lange Kosakenlanze sich zu Speichen einfügt und Bayonnett und Lauf sich niederlegen zur Schiene für den dampfbeschwingten Lauf des Friedens und der Einsicht, des Eintritts in den Völkerverband menschheitlicher Interessen, wenn das schmachbedeckte schöne Weib dieses Paradieses nicht mehr verkauft wird und sich nicht mehr sehnt, verkauft, sondern Herz gegen Herz, Liebe gegen Liebe, Anerkennung gegen Anerkennung des schönen, freien, gebildeten, fleißigen Menschen gewonnen zu werden, erst dann, wenn der Mann seine eigene Ehre und Würde wieder erkannt und sie verschönert in einem schönen Weibe, der Erzieherin der Zukunft, wiedergespiegelt findet, erst dann werden hier Friede und Freiheit, Lebensglück und Freudenquellen für die Menschheit sich wieder einfinden, nicht aber durch pariser Friedens-Konferenzen, wie sie auch ausfallen mögen. Die Diplomatie mit ihren Arsenalen von List und Gewalt kann wohl viel ruiniren, aber nichts schaffen. Das müssen und werden die Menschen selbst thun, wenn man sie nur nicht zu sehr für die Flinten- und Säbelpolitik ausbeutet und hinwegreißt vom Pfluge zum Fluche, vom Hause zum Zelte, vom Segen zum Degen, vom Steuer ihrer eigenen Angelegenheiten zu Steuermaschinen für unersättliche Kanonen. Hätte man die Million Menschen, die jetzt der orientalischen Frage geopfert wurden, leben gelassen, könnten sie allein durch ihren Fleiß das Kapital zur Lösung dieser Frage schaffen. Jetzt fehlt diese Million, und jetzt fehlen 100 Millionen von Geld, die es kostete, erstere todt zu machen. Der Friede aus Paris kann noch so glänzend ausfallen, er ist immer nur eine Quittung über diese vertilgten Millionen von Kapitalien und Köpfen.




Pariser Bilder und Geschichten.
Eine Stunde auf der Börse.
Anfang der Börse. – Das Chaos. – Baron von Rothschild. – Was man sich von ihm erzählt. – Der Crédit mobilier und die Gebrüder Pereire. – Beranger und die Gebrüder Pereire. – Herr Mires, die dritte Großmacht. – Die Geschichte dieses Mannes. – Wie man in Paris dritte Großmacht wird.

Die Börse fängt um ein Uhr Nachmittags an und endet um drei Uhr. Schon vor dem Beginn derselben sammeln sich die Leute in dem großen prächtigen Säulentempel der Place de la Bourse, welcher in einem nicht unbeträchtlichen Umkreis mit einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_205.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)