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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 20. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Frauenliebe.

O Frauenliebe, Maienkraft,
Die in des Busens dunkler Tiefe
Ein reiches Frühlingsleben schafft,
Und ob sie winternächtig schliefe;

5
Die jedes Herz nach ihrem Horte

Im unbezwungnen Sehnen zieht,
Dem Sehnen leihet Feuerworte,
Dem Worte ahnungsvolles Lied.

O Frauenliebe, Sonnenlicht,

10
Das nicht der Wolken schwere Schatten

Und lange Kummernächte nicht,
Noch Winterstürme je ermatten,
Das aus dem tiefsten Herzensquelle
Wie gold’ner Sang entströmet rein,

15
Und nie versiegte Freudenwelle

In’s tiefste Herz uns spült hinein!

O Frauenliebe, Sonnenlicht,
Das jede Blüthe, die das wilde
Gewitterstürmen grausam bricht,

20
Erfrischt mit Odem, wundermilde;

Das jeden Streit versöhnend theilet,
Das jedem Schmerze Balsam schafft
Und jede Herzenswunde heilet
Mit wunderbarer Gotteskraft!

25
O Frauenliebe, Friedenskuß,

Der uns des Lebens Herbe süßet,
O Frauenliebe, Himmelsgruß,
Der uns aus ferner Heimath grüßet
Du bist’s, die in der Sorgen Mitte

30
Uns ew’gen Frühling hoffen lehrt,

Du machst die kummerschwüle Hütte
Zum theuren heimathlichen Herd!


Eine italienische Dorfgeschichte.
(Schluß.)

Viele hatten um Maria’s Hand geworben. Sie wählte einen gewissen Francesco. Es war ein guter Mensch, ein Gespiele ihrer Kindheit und der beste Freund Tonietto’s. Er gehörte zu den Wenigen, die die Aushebung verschont hatte; er hatte nie das Dorf verlassen; er wußte, daß sie keine Liebe zu ihm hatte, machte sich auch keine Hoffnung, daß das jemals anders werden könne, und dennoch hatte er sich nie entschließen können, eine Andere zur Frau zu nehmen, dennoch hatte er immer in inniger Liebe an ihr gehangen.

Maria gestand ihm aufrichtig, weshalb sie sich entschloß, ihn zu heirathen. Sie sagte ihm, daß es ihr unmöglich sei, jemals wieder zu lieben, wie sie Tonietto geliebt, unmöglich auch nur diese Liebe jemals aus ihrem Herzen zu reißen; wolle er sie aber als eine Wittwe betrachten, der man gestattet, eine erste verlorene Liebe still im Herzen zu tragen, so wolle sie ihm versprechen, ihm allein von allen Lebenden gut und ihm ein braves, treues Weib zu sein.

Mehr hatte der gute Mann nicht gehofft. Ihre Erklärung machte ihn überglücklich. Er selbst beredete Maria, die kleine Kette Tonietto’s, die sie seinetwegen ablegen wollte, auch ferner zu tragen.

Die Hochzeit wurde still und geräuschlos vollzogen. Francesco war reich. Die Summe, die er zur Hochzeitsfeier bestimmt hatte, wurde theils zur Einrichtung einer freundlichen Wohnung für die greisen Eltern der Braut verwandt, die er noch am Hochzeitstage dort einführte, theils durch mich unter die Armen vertheilt. Es war ein allgemeines, freundliches, aber prunk- und geräuschloses Fest.

Die beiden Familien – Francesco hatte noch seine Mutter – lebten in schönster Eintracht; es waren brave Leute, und kein Wort des Zwistes störte je ihre friedliche Häuslichkeit.

Vor Ende des Jahres vermehrte sich die Familie um ein Söhnchen; Alle aus einem Munde nannten ihn Tonietto. Zehn Monate später kam ein zweiter Sohn. – Maria hatte zwar ihre frühere Heiterkeit nicht wiedergewonnen; doch spielte wohl zuweilen um ihre Lippen ein süßes Lächeln, wenn freundlich ihr Blick auf ihren Kindern und ihrem Gatten ruhte.

Obwohl sie damals sechsundzwanzig bis siebenundzwanzig Jahre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_261.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2021)