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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Saimpter. Gehen wir. (Er ergreift die Hand seiner Frau und nun Verwandlung. Das Zimmer eines Hauses.)

(Herr und Frau Saimpter treten auf.)

Saimpter. Hier sind wir nun, jetzt reise ich ab. Er ruft einen Diener und sagt ihm leise: So wie Du Jemanden in’s Haus treten siehst, steigst Du zu Pferde und kommst in den Pachthof, um mich zu holen. Sei wohl bedacht Deiner Pflicht.

Saimpter nimmt seinen Mantel, sagt seiner Frau: „Auf Wiedersehen!“ und geht ab. Seine Frau bleibt allein, setzt sich auf ein Kanapee, und bald darauf erscheint St. Ernest. Er nimmt seinen Hut ab, nähert sich mit einschmeichelnder Miene der Frau Saimpter und setzt sich an ihre Seite.

St. Ernest. Nun sind Sie verheirathet, reizende Frau. Es ist schon so lange, daß wir uns kennen, nicht wahr? Erinnern Sie sich der kleinen Spaziergänge in den Wald, die wir mit einander machten?

Frau Saimpter. Wohl erinnere ich mich derselben. Doch jetzt sind wir weit entfernt, solche zu machen.

St. Ernest. Warum denn?

Frau Saimpter. Weil ich jetzt verheirathet bin und weil das nicht erlaubt wäre, allein mit einem jungen Manne in den Wald zu gehen.

St. Ernest. Darin sehe ich kein Hinderniß. Man ist verheirathet und hat einen Liebhaber. Er umarmt sie. Herr Saimpter stürzt herbei, faßt ihn ungestüm am Kragen und sagt ihm: Dein Leben gehört mir, wenn Du nicht diesen Wechsel unterschreibst – Wähle!

(Madame Saimpter zieht sich indessen zurück, St. Ernest unterzeichnet den Wechsel.)

Saimpter. Und nun Geld her, sogleich, oder Du endest Deine Tage im Gefängniß.

St. Ernest. Gnade!

Saimpter. Keine Gnade! Du besitzest Grund und Boden und Actien. Ich kaufe Dir Alles ab. Deine Landgüter nehme ich für 40,000 Franken, Deine Actien für 10,000 Franken, Deine Kleidungsstücke für 10,000 Franken. Das macht 60,000 Franken. Du mußt 40,000 Franken noch darauf bezahlen oder in’s Gefängniß mit Dir!

(St. Ernest fällt zu den Füßen des Grafen von Saimpter.)

Saimpter. Kein Erbarmen, noch 40,000 Franken!

St. Ernest. Ich habe ja nichts mehr, als was ich auf dem Leibe trage!

Saimpter. Her damit, für 5000 Franken.

St. Ernest. Was soll ich anziehen?

Saimpter. Lumpen, die ich Dir reichen will. St. Ernest entkleidet sich und erhält ein altes Beinkleid und eine alte Blouse, die er anlegt.

Saimpter. Für das Uebrige steht es mir immer frei, Dich in’s Gefängniß werfen zu lassen. – Nicht Du hast, sondern ich habe meine Rache. (Der Vorhang fällt.)

(Ende.)


Der Franzose, wiewohl gewohnt an die Moral der pariser Gesellschaft, schauderte, als er diese Kinderarbeit las. Dieses Puppenspiel mit seinen Motiven und Handlungen, mit den empörenden Gräueln, welche einer jungen Seele entsprungen, die noch unberührt sein sollte von dem Jammer, von der Gemeinheit, von dem Schmutz des Lebens, erfüllte den Leser mit Entsetzen. Wenn die Begeisterung eines Kindes diese Richtung nimmt, wenn die Phantasie, statt von schönen heitern Bildern erfüllt, von Frühling angehaucht zu sein, solche Gestalten und Verbrechen abspiegelt, dann steht es am Schlimmsten um eine Gesellschaft, aus welcher heraus solche fünfzehnjährige Poeten wachsen. Herr Beauvoir, wiewohl nichts weniger als ein strenger Charakter, konnte den ganzen Tag den schlimmen Eindruck nicht los werden, er erwartete des andern Morgens mit einer gewissen ungeduldigen Neugier den jungen Autor, der sich, wie man wohl denkt, pünktlich zur bestimmten Stunde einfand. Diesmal betrachtete Herr Beauvoir mit mehr Aufmerksamkeit seine neue Bekanntschaft. Auf dem blassen Angesichte des Knaben war eine dürre Verstandesfähigkeit zu bemerken; es fehlte den frühreif entwickelten Zügen alle Jugendlichkeit, jene Traumhaftigkeit, die sich ihr Glück mit eigenen Farben malt und von der Erkenntniß nur hier und da flüchtigen Besuch erhalten; in den dunkeln Augen fiel wohl ein unstätes Funkeln auf, aber nichts von frommer Unschuld und Unwissenheit, von heiligen Ahnungen eines kindlichen Herzens. Die Stirn war hoch und bewies allerdings Ausdauer im Nachdenken. Die braunen Haare waren auf dem Haupte des fünfzehnjährigen Jungen dünn gesäet, als könnten sie auf dem ausgetrockneten Boden nicht gedeihen. Im Ganzen war die Bildung nicht ungünstig. Nur der Mund und das zusammengezogene Lächeln, welches gelbe, vernachlässigte Zähne sehen ließ, waren unangenehm und dazu gemacht, eine etwa gewonnene Sympathie zu vernichten. Der Anzug war ziemlich anständig, aber die Haltung unedel.

Herr Beauvoir betrachtete eine ziemliche Weile schweigend seinen Besuch, der in Ungewißheit über die Natur dieser aufmerksamen Beobachtung sich verlegen, erröthend derselben unterzog. Endlich brach Herr Beauvoir das Schweigen und frug etwas schroff:

„Wie heißen Sie?“

„Jean.“

„Wo leben Sie denn?“

„Bei meinen Eltern.“

„Werden Sie von Ihren Eltern nicht geliebt?“

Der Knabe sah den Fragenden verdutzt an. „Ich habe mir hierüber keine Rechenschaft gegeben. Mein Vater ist Papierfabrikant; meine Mutter hilft das Geschäft besorgen, und ich arbeite mit ihnen, das ist unser Verkehr. Doch Sie lassen mich in Ungewißheit über meine Arbeit. Und Sie können sich nicht denken, Monsieur, wie gespannt ich bin, Ihren Ausspruch zu hören. Ich konnte nicht schlafen vor Aufregung. Die vierundzwanzig Stunden, welche ich zu warten hatte, dünkten mir eine Ewigkeit. Ich bitte, säumen Sie nicht länger, mir Ihre Meinung wissen zu lassen.“

„Es ist fürchterlich, mein lieber Jean, was Sie in einem so zarten Alter ausgesonnen und aufgeschrieben haben.“

„Es ist also schlecht, untauglich?“ frug der Knabe, bis auf die Lippen erblassend.

„Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, junger Mann. Es ist weit schlimmer als schlecht und untauglich; es ist verwerflich, es ist unsittlich; es beweist – es beweist, daß Ihr Herz leer und ausgetrocknet, Ihre Seele lahm, ohnmächtig geworden, bevor sie Flügel, bevor sie die Reife der Männlichkeit gewonnen. Sie kennen ja nur einen Gott, ein Herrliches, ein Würdiges, ein Edles, ein Hohes, ein Wünschenswerthes: Geld! Mein armes Kind, Sie sind ein Bettler an allen Gefühlen und an Illusionen, und man muß ein König, reich an diesen Gütern sein in Ihrem Alter; man muß Ueberfluß haben, verschwenden können, damit man seine Ausgaben zu bestreiten vermag, wenn man später durch Enttäuschungen bestohlen wird, was keinem Menschen ausbleibt. Wie wollen Sie mit dieser geistigen Abzehrung, mit dieser trostlosen Verödung ein Künstler, ein Dichter sein? Trachten Sie, ein ehrlicher Mann zu bleiben.“

Diese Worte wurden mit großer Heftigkeit, wie etwas tief und schmerzlich Empfundenes gesprochen, so daß der Knabe den Sprecher ängstlich und bestürzt anblickte, wie Jemand, der sich eine gegen ihn gerichtete Entrüstung nicht zu erklären weiß.

„Ich habe Ihnen ja nichts gethan, was Sie in Zorn versetzen könnte,“ sagte er halb weinerlich.

„Ich bin nicht zornig, mein Kind,“ erwiederte der ältere Schriftsteller; „wenn ich mich ereifre, ist es nicht gegen Sie, ich kann Sie nur bedauern und nicht anklagen. Was können Sie dafür, daß man Ihnen die junge Seele vergiftet? Ein Kind ist wie ein weißes, reines Papier, auf das man Alles hinschreiben, Alles Hinzeichnen kann, Gebete und Lästerungen, Mahnbriefe und Beileidsbezeugungen, Gott und den Teufel, das Schöne und das Häßliche. Sie hat man arg gemißhandelt, armes Kind, man hat Ihr reines Kinderherz besudelt, man hat darauf Schuldbriefe und Criminalprozesse geschrieben, und nicht ein Wort von Tugend, von Aufopferung, von Hingebung und Treue, von Heldenthum im Wirken und Entsagen, von Liebe, stiller Neigung und Freundschaft, von Muth, Kraft und Ehre, das Alles ward vergessen.“

Der Knabe neigte erröthend das Haupt, denn durch die letzten Worte wurde ihm erst ein wenig klar, was eigentlich die ihm gemachten lebhaften Vorstellungen zu bedeuten haben.

„Ich verstehe Sie nicht ganz,“ versetzte er halblaut. „Sie sprechen zu unverständlich für mich, Monsieur.“

„Sie haben Recht. Ich will mich deutlicher, einfacher ausdrücken. Sie sollten Schlechtigkeiten und Niederträchtigkeiten, wie Sie sie dargestellt haben, weder kennen noch begreifen; Sie sollten, von Menschen, wie Sie sie vorgeführt, keine Ahnung haben, statt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_282.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)