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der Streit nicht, und wie Herr Professor Barth mit Ingenhaus langsam durch die Menge, die sich dem Ausgang zudrängte, sich Bahn machte, hörte er zu seinem Verdruß gar viele und angesehene Personen, welche erklärten, daß sie vollkommen überzeugt worden von der Heilung der Blinden, und daß sie keinem Zweifel mehr unterliegen könne, daß Mesmer ihr wirklich das Augenlicht wieder gegeben habe.




IV.
Die Katastrophe.

Erst nach stundenlangem Bemühen gelang es, Therese aus ihrer tiefen Ohnmacht zu erwecken; man hatte sie sanft auf den Divan ihres Zimmers gebettet, und ihre Mutter hatte leise weinend voll zärtlicher Sorge sich um sie beschäftigt, während ihr Vater mit grollenden Mienen, mit finstern Blicken neben dem Divan stand und das Erwachen Theresens erwartete.

Mit einem tiefen Seufzer schlug sie jetzt die Augen auf und blickte befremdet und verwundert umher. „Wo bin ich?“ flüsterte sie leise.

„Du bist in Deinem Zimmer, Du bist bei Deiner Mutter,“ rief ihre Mutter, sich über sie neigend, und ihr Antlitz mit Thränen und Küssen bedeckend.

„Nein, nein, ich bin im Concertsaal,“ flüsterte sie, matt und wie im Traum, „da sitzen sie Kopf an Kopf gedrängt und stieren mich an mit diesen kalten, neugierigen Dolchen, welche sie Augen nennen, und die meinem Herzen so wehe, ach, so wehe thaten. Da sitzen sie und klatschen in die Hände wie die Wilden aus kindischer Freude über die Thränen und Seufzer meiner Seele, welche sich zu Musik krystallisirten. Aber ich muß spielen, ich muß! Laßt mich los, ihre Augen sind auf mich gerichtet und höhnen mich! Läßt mich! Ich bin nicht mehr ohnmächtig! Laßt mich wieder zum Flügel gehen und spielen!“

Sie wollte sich aufrichten, aber ihr Vater drückte sie in die Kissen zurück. „Bleibe, mein armes Kind, bleibe,“ sagte er mit vor Rührung zitternder Stimme. „Du irrst Dich, Du bist nicht mehr im Concertsaal, und wenn Du sehen könntest, würdest Du erkennen, daß Deine Mutter Dich nicht täuscht, daß Du wirklich in Deinem Zimmer bist. Aber ach, mein armes Kind, es ist vergeblich, uns noch länger zu belügen, habe doch Vertrauen zu Deinen Eltern, gestehe es uns nur, Du hast, nur Mesmer zu gefallen, uns die Wahrheit verborgen, aber Du bist nicht geheilt, die Kur ist nicht gelungen, Du bist blind.“

„O, mein Gott, seine Worte und seine Stimme klingen wie Wahrheit, und doch weiß er, daß er eine Lüge spricht,“ rief sie mit durchdringendem Schmerzensschrei, indem sie mit unwiderstehlicher Gewalt sich von dem Divan aufrichtete, und gerade und frei sich ihren Eltern gegenüber stellte. „Ich weiß jetzt Alles, Alles,“ fuhr sie athemlos fort. „Die Ohnmacht hielt vorher noch meine Sinne gefangen, jetzt aber bin ich erwacht und sehe Alles! Ja, mein Vater, ich sehe! Ich sehe dort am Fenster die blühenden Topfgewächse, welche Mesmer mir gestern brachte, dort drüben steht mein Flügel und die schwarzen und weißen Tasten scheinen mir zu winken und mich zu sich zu rufen. Zwei aufgeschlagene Bücher liegen auf dem mit einem schweren bunten Teppich bedeckten Tisch, der in der Mitte des Zimmers steht, daneben liegen Zeichnungen, Malereien und Kupferstiche. O, mein Vater, sage, ob ich das Alles nicht richtig gesehen, und nicht richtig bezeichnet habe!“

„Du weißt, daß es so aussieht in Deinem Zimmer,“ sagte ihr Vater achselzuckend, „und deshalb ist Deine Schilderung richtig.“

„Und dann,“ fuhr sie athemlos fort, „dann sehe ich auch Euch Beide! Ich sehe das liebe, sanfte Antlitz meiner Mutter, welches mit zärtlicher Theilnahme mir zugewandt ist, und deren liebe, milde Augen um mich geweint haben! Ich sehe das strenge ernste Antlitz meines Vaters; dieselbe Wolke, welche schon im Concert seine Züge umdüsterte, lagert noch auf demselben, und es ist mir, als ob aus seinen Augen ein böser, fremder Dämon mich anschauete. Was ist das, mein Vater? Was hat Dich plötzlich so verändert und umgewandelt, daß Du Deine Therese nicht mehr liebst, daß Du ihr Verderben willst und ihr Glück verleugnest?“

„Ich will nicht länger das Spielwerk eines Betrügers sein,“ antwortete ihr Vater finster. „Ich will nicht, daß ganz Wien mich als einen gläubigen Narren verlache, der an die lächerlichen Wunderkuren des Herrn Mesmer glaubt, während alle Welt den Charlatan durchschaut. Ich will endlich den Muth haben, es laut zu bekennen, daß wir betrogen sind, daß Therese noch immer blind ist!“

Ein gellender Schmerzensschrei tönte von Theresens Lippen, ihre ganze Gestalt erbebte wie im Krampf des Schmerzes.

„Nein, es ist nicht wahr, ich bin nicht blind!“ rief sie außer sich. „O mein Gott, erbarme dich mein, sende mir Hülfe in meiner Noth! Ich bin allein, ganz allein, Mesmer, Mesmer –“

Auf einmal verstummte sie, und ihr Antlitz nahm einen freudigen Ausdruck an, ihre Wangen übergoß ein süßes Erröthen. Mit vorgebeugtem Kopf, die halb geöffneten Lippen von einem seligen Lächeln umspielt, die weit geöffneten strahlenden Augen der Thür zugewandt, schien sie zu horchen und auf ein kommendes Glück zu lauschen. Jetzt erbebte ihre ganze Gestalt, und wie durchschauert von Glück murmelte sie leise:

„Er kommt, er kommt!“

Die Thür ward hastig geöffnet und Mesmer’s hohe, gebieterische Gestalt erschien auf der Schwelle. Mit einem Freudenschrei flog Therese zu ihm, und mit glühender Gewalt seine beiden Hände ergreifend, zog sie ihn vorwärts.

„Kommen Sie, Meister,“ sagte sie athemlos. „Jetzt ist Alles gut, jetzt sind Sie da, und Niemand kann mir mehr etwas anhaben. Ihre Hände werden mich schützen, Ihr Arm wird mich aufrecht halten.“

Sie schmiegte sich an ihn und lächelte selig, als er sanft seinen Arm um sie legte, und dann mit seiner Rechten leise aber ihr Antlitz hin fuhr. Ihre großen Augen zu ihm aufschlagend, schaute sie tief in die seinigen, die fest auf ihr ruhten.

„Ich lese in Ihren Blicken, Meister, daß Sie nicht mit mir zufrieden sind?“ fragte sie angstvoll. „Ja, Sie zürnen mir, weil ich mich heute im Concert so kindisch und ungeschickt benahm. Ich weiß es wohl, Meister, es war thöricht und linkisch, aber wie ich den Saal durchschritt und plötzlich ausschauend diese vielen Köpfe erblickte, diese vielen neugierigen, feindlichen Gesichter, diese Blicke, die wie Nadelstiche meine ganze Gestalt verwundeten, da kam die alte Angst wieder über mich und das Entsetzen vor den Menschengesichtern, und da schien es mir wieder, wie ich vorwärts schritt, als ob die Wände mir entgegen kämen, um über mir zusammenzustürzen, und ich konnte nicht vorwärts, denn ich fürchtete den Tod.“

„Und was war es, was Sie im Spiel auf einmal beunruhigte?“ fragte Mesmer sanft.

„O, das war wieder kindisch,“ sagte sie lächelnd. „Ich kann es immer noch nicht lernen, von den Noten zu spielen und dann wieder meine fliegenden, zappelnden Finger zu sehen. Das verwirrt mich, das macht mich befangen, die Noten und die Finger hüpfen dann wie im wilden Tanze durcheinander, und ich weiß nicht mehr, was ich spiele und was ich sehe.“

„Und das Alles ist so natürlich und so wahr,“ sagte Mesmer traurig, „denn auch das Sehen hat seine Sprache und die müssen Sie erst lernen! Aber man wird Ihnen keine Zeit dazu lassen, armes Kind, man wird Sie wieder hinein zwingen in die Nacht und das Schweigen, meine arme Therese!“

Sie warf ihre beiden Arme um seinen Nacken, und hielt sich krampfhaft fest an seiner hohen Gestalt. „Retten Sie mich, Meister, retten Sie mich!“ rief sie flehend.

Er neigte sich über sie und streichelte ihr Haar, und ließ seine strahlenden Blicke lange auf ihrem Antlitz ruhen.

An der andern Seite des Zimmers stand Herr von Paradies und neben ihm seine Gattin, welche in tiefer Bewegung ihrer Tochter zugehört hatte, und jetzt leise ihre Hand auf ihres Gatten Arm legte.

„Sage mir, was dies Alles zu bedeuten hat?“ flüsterte sie leise. „Was quälst und marterst Du die Arme so sehr? Was leugnest Du auf einmal, daß sie sehen kann, da Du doch –“

„Still,“ unterbrach sie ihr Mann leise. „Höre nur dies, wenn Therese nicht mehr blind ist, werden wir die kaiserliche Pension verlieren, und können mit unsern Kindern betteln gehen!“

„Ach, arme Therese,“ flüsterte seine Frau tief aufathmend. „Arme Therese, jetzt weiß ich Alles! Du wirst blind bleiben müssen Dein Leben lang.“

„Ich bin gekommen zu Ihrer Hülfe, Therese,“ sagte Mesmer jetzt, nachdem Therese von seiner Hand beschwichtigt, wieder still

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