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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

wird man durch die ganze Anordnung derselben angenehm überrascht. In der Mitte erheben sich zwei parallel laufende Reihen von säulenartigen Ständern, worauf das große Dach ruht und in deren Zwischenräumen die mannigfaltig reichen Gaben der Ceres aufgethürmt sind; an der vordem Seite deutet ein freigelassener Platz die Stelle an, wo die Früchte, statt mit dem früher üblichen Flegel, mit gewaltigen Dreschwalzen vermittelst Pferden ausgehülst werden. Unter dem Giebel erblickt man fünf bis sechs muthige Pferde, deren Zucht einen bedeutenden Erwerbszweig des Landmannes bildet, während an einer Seite der Wand zwanzig bis dreißig wohlbeleibte schwarzbunte Kühe und Ochsen sich in behaglicher Gemüthlichkeit des Lebens zu freuen scheinen. An der entgegengesetzten Seite reihen sich dann in gewissen Abtheilungen die übrigen Hausthiere an, die Schafe ausgenommen, deren ein hiesiger Landmann nur höchstens drei bis vier aufzieht, um durch dieselben so viel an Wolle zu erhalten, als er zum Hausbedarf nöthig hat. Die Marsch-Schafe sind besonders groß und liefern nur grobe Wolle, feinere schlesische und sächsische Arten gedeihen hier nicht, weil sie das Klima und den Boden nicht vertragen können. Da sich in der Scheune Alles unter einem Dache befindet, so wird die Temperatur durch die animalische Ausdünstung sehr gehoben und eine angenehme Wärme im ganzen vermittelst eines Fensters dämmerig beleuchteten Raume verbreitet.

Nachdem wir diese große Vorrathskammer durchwandelt, werden wir durch eine am hintern Ende angebrachte Thür in das Wohnhaus eingeführt, woselbst uns zunächst die höchst freundlich einladende Küche aufnimmt. Alles ist hier im wahren Sinne comfortable. Der mit stets sauber gehaltenen, blau bemalten holländischen, sogenannten Estern rings ausgelegte Kamin, in welchem sich der zwei Fuß hohe Feuerherd befindet, über dessen nie erlöschendem Torffeuer der stets brodelnde Kessel an einer Kette hängt, die durch einen Mechanismus aufgezogen und herabgelassen werden kann, ist ganz geeignet, in dem Gaste die Vorempfindungen der angenehmsten Genüsse, welche seiner warten, zu erwecken; den Kaminsims schmücken glänzend polirte Zinnschüsseln, Teller, große und kleine Kaffeekannen und gewaltige Messingschüsseln in getriebener Arbeit, alte von den Voreltern herstammende Erbstücke. Von substantiellem Wesen und Gewicht für den Gaumen auch des leckersten Gourmand sind die prächtigen Schinken, Speckseiten, Nagelhölzer und Metwürste, welche von der Decke in dichten Reihen herabwinken und mit Recht den Stolz der sorgsamen Hausfrau ausmachen. Dem Herde gegenüber stehen an den Wänden massive mit Schnitzwerken gezierte Glasschränke (Buddeleien), wo in reicher Fülle Porzellangeschirre, Silberzeug und andere werthvolle Sachen, die nur bei besondern Gelegenheiten benutzt zu werden pflegen, des Beschauers Blicke auf sich ziehen. Noch macht sich in dem weiten Raum der Küche, welche wenigstens drei Mal so groß ist, als die Wohnstube, ein gewaltiger, auf pfostenartigen Beinen ruhender Tisch bemerkbar, an welchem die gewöhnlichen Mahlzeiten, besonders des Gesindes, gehalten werden. Wie bei den Briten, dient auch hier die gemüthliche Kaminecke im Winter zum gemeinschaftlichen Sammelplatz der Hausgenossen.

Eine höchst rühmliche Eigenschaft, welche den Charakter des Landmanns sehr vortheilhaft auszeichnet, ist die Gastlichkeit, die er sich gegen jeden Fremden oder Besucher zur Pflicht macht und welche unwillkürlich an die patriarchalischen Festmahle der Vorzeit erinnert, vielleicht nur mit dem Unterschiede, daß Kultur und Mode, welche durch die den Fruchtpreisen günstigen Zeiten auch hier Eingang gefunden, die ländliche Einfachheit verdrängt haben.

Der Vorwurf, welchen man der Gegend um Heppens wegen ihrer Abgeschlossenheit und Ungeselligkeit macht, ist unbegründet. Werden in der rauhen Jahreszeit die Straßen zuweilen auch unwegsam, so erleidet das trauliche Zusammenkommen der Nachbarn doch keine Störung, und während es draußen tobt und stürmt, sieht man den Landmann gesellig sich die Zeit vertreiben oder in behaglicher Wohnung behäbig sich des Lebens freuen.




Erlkönig und Waldvöglein.
Von Beta in London.

Eine deutsche Frau in London vernahm neulich plötzlich aus dem ihr unverständlichen, unaufhörlichen Straßengeschrei der Ausrufer, Musikanten und Bettelsänger die heimathlichen Töne: „Wir winden Dir den Jungfernkranz von veilchenblauer Sei–ide“. Das Heimweh rieselte ihr heiß über die Nerven und warme Tropfen quollen ihr aus den Augen, so schlecht und falsch die arme Singbettlerin aus Thüringen auch den Carl Maria v. Weber verherrlichte und ihre aus Holzspähnen geschlitzten kleinen Besen dabei wie einen Taktstock gesticulirte und feil bot. Es kam hier auch gar nicht auf Richtigkeit und Virtuosität an: die zum Betteln herabgewürdigte, abgedroschene deutsche Melodie reicht hin, die Musik eines ganzen vergangenen Lebens auf deutschem Boden und dessen „Häuslichkeit, Familienglück und Bürgerwohl“, die Jugendgespielinnen darauf, verwandte liebe Gestalten und freundliche Gesichter, erstes Lieben und Leiden, die Stelle, wo ihr Vater starb, wo ihre und ihrer Geschwister Wiege stand – den tausendfachen Herzensinhalt des heimathlichen Lebens in der Erinnerung der Ausgewanderten zu beleben und mit einem Male alle ihre Nervensaiten in wehmüthig-melodische Schwingungen zu versetzen.

Was wir in uns selbst haben und von Außen angeregt, Schätze des Genusses in uns selbst producirt, ist auch in der Kunst die Hauptsache, so daß auch schlechte Musikanten in uns gut zu spielen vermögen. Wurde doch auch unlängst ein deutscher Wanderer über die Wüsten und Prairien, die sich zwischen der Ost- und Westseite Nordamerika’s strecken, auf das Tiefste gerührt und erfreut, als er eine deutsche Melodie in einen Indianerstamm hineinsingend, plötzlich von dem Häuptlinge desselben in Wiederholung der letzten Reime unterstützt ward, wenn auch rauh und heiser. Ein Deutscher war Indianer-Häuptling geworden. Und überall auf der Erde bemerkt man Deutsche, wenn nicht schon als Häupter, so doch auf dem Wege, Fürsten und Führer einer neuen Weltcultur zu werden. Die nationalen Engländer schimpfen fürchterlich auf den „Germanismus“, unter dessen Regierung sie stehen, und die alten Nationalrussen unterliegen in allen Sphären des Staates und des Lebens den Deutschen. Unlängst wurde Dr. Grüner aus Baiern zum „Generalissimus“ von Staats- und gelehrten Sachen Egyptens in Cairo erhoben, und Perser und Araber, Kopten und Türken, Abyssinier und Gesandte von Darfur drängen sich in seinem Vorzimmer, und er redet mit Jedem in dessen Sprache, Abends aber singt er mit seinen schönen egyptischen Damen deutsche Lieder.[1])

Die Musik ist die unmittelbarste Kunst. In ihr tritt denn auch die germanische Kulturmission für alle Welt am Ersten und Augenscheinlichsten hervor. In Amerika und England sind deutsche Gesangs-Vereine und Musikgesellschaften bereits die herrschenden Vorsänger und Kantoren aller musikalischen Leute. England, das am Nächsten liegt, giebt und hört nur noch deutsche Kompositionen, Sänger und Sängerinnen.

Der neueste Schritt in dieser Entwickelung ist eben während dieser Junitage geschehen. Früher sangen die Engländer nicht und liebten den Gesang so wenig, daß selbst Vögel in Käfigen nur gehalten wurden, insofern sie stumm waren. Jetzt singen Kanarienvögel u. s. w. mit einer Armee deutscher Straßenmusikanten (darunter schwarzgebeizte Negersänger und gymnastische Künstler aus verschiedenen deutschen Vaterländern hier zusammengelaufen) jeden Tag um die Wette. Deutsche Musikanten entschieden den Sieg der verbotenen Sonntagsmusik direct, aber noch mehr durch ihr vorhergegangenes, langjähriges Wirken vom Bettler an bis zu Formes und Fräulein Cruvelli. Deutsche hatten musikalischen Sinn in England erzogen. Wie hätte sonst die noch vor 10 Jahren nationalverhaßte Sonntagsmusik sich zum Siege durchsetzen können? In diesem Prozesse liegt mehr Geschichte, als in der geredeten Maculatur des Parlaments und Palmerston’s, womit die Zeitungen ihre Leser alle Tage auf’s Neue dumm machen.


  1. Nach der Mittheilung des Dr. G. in Dresden, der eine Zeit lang sein Gast in Cairo war.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_362.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)