Seite:Die Gartenlaube (1856) 384.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Um ein richtiges, gewissenhaftes Urtheil zu geben, müßte ich die Dame ärztlich untersuchen.“

„Dies möchte ich vermeiden. Die Leidende soll nicht ahnen, daß etwas geschieht, um ihren Gesundheitszustand zu erforschen, viel weniger noch, daß ich ein lebhaftes Interesse an ihr nehme. Um Ihnen Alles zu sagen: ich halte die Krankheit für erdichtet, man will eigennützig einen Zweck erreichen.“

„Wie aber soll ich es anfangen, mich der Dame zu nähern, die ich nicht kenne?“

„Das wird schwer, aber nicht unmöglich sein, mein Herr. Für jetzt liegt mir daran, zu erfahren, ob Sie geneigt sind, sich der Untersuchung gegen ein Honorar von zehn Louisd’or zu unterziehen.“

„Sie sehen mich bereit,“ antwortete der Doctor.

„Und Sie glauben, daß eine Unterhaltung oder Beobachtung genügt, um Gewißheit zu erhalten?“

„Es giebt Zeichen, die den Augen des erfahrenen Arztes nicht entgehen. Uebrigens werde ich mich bemühen, genau zu beobachten. Ob ein Leiden vorhanden ist, läßt sich auf diese Weise wohl erkennen; aber die Natur dieses Leidens – –“

„Gleichviel, ich erwarte das Resultat Ihrer Beobachtungen, Herr Doctor.“

„Wie aber nähere ich mich der Dame, ohne Verdacht zu erwecken?“

„Ich habe bereits ein Mittel ersonnen. Die junge Frau wird zu Ihnen kommen, um Nachrichten von ihrer Mutter in Empfang zu nehmen, mit der sie seit langer Zeit auf einem gespannten Fuße lebt. Die Mutter nun beauftragt Sie, der Tochter mitzutheilen, daß sie bereit sei, Unterstützung zu gewähren, wenn das Geld nicht in die Hände ihres Mannes geräth, der ein leidenschaftlicher Spieler sein soll. Ich bitte Sie, diese fünfhundert Thaler der jungen Dame einzuhändigen. Während der Unterhaltung wird es Ihnen wohl möglich sein, die vermeintliche Kranke zu beobachten und eine Ansicht von ihrem Zustande zu gewinnen.“

„So habe ich wohl die Ehre, die Mutter der Dame vor mir zu sehen?“

„Nein, mein Herr; Madame Bertram in Braunschweig, die Mutter, ist meine Freundin, die durch Kränklichkeit abgehalten wird, zu reisen. Ich leiste ihr diesen Dienst bei Gelegenheit meines Aufenthaltes in Leipzig. In einigen Tagen werde ich mir erlauben, Sie wieder zu besuchen.“

„Ich werde nicht verfehlen, den mir gewordenen Auftrag zu realisiren!“

Jetzt ward die Thür geöffnet, und eine reichgekleidete Dame erschien. Sie trug einen weißen Atlashut mit Straußfedern und einen kostbaren mit Zobel verbrämten Pelzmantel. Die Hände staken in einem großen Muffe, ebenfalls aus Zobelpelz. Der Senator erhob sich. Ueberrascht trat er einen Schritt zurück, als er in der Dame seine feindliche Reisegefährtin erkannte. Mit einem ironischen Lächeln verneigte er sich. Schon wollte die Landdrostin danken; da aber erkannte sie auch ihren Feind – sie warf den Kopf zurück, daß die Locken über ihre leicht geschminkten Wangen fielen, und verließ hastig das Zimmer und das Haus.

„Entschuldigen Sie!“ sagte der Doctor, indem er an dem Senator vorüberging und der davoneilenden Dame das Geleit gab.

Gottfried Christian Beck hatte nicht lange Zeit, über dieses zufällige Zusammentreffen sich zu wundern und zu lächeln, denn gleich nach der Entfernung des Doctors trat eine Frau ein, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Diese Frau war groß und korpulent; trotzdem aber schien ihr Kopf unverhältnißmäßig dick zu sein. Die Backen – wir würden Wangen sagen, wenn der Ausdruck nicht zu zart wäre – die Backen, die Stirn, die Nase und das fette Kinn waren von einem scharlachrothen Firniß überzogen, in dem sich an manchen Stellen kleine Erhöhungen zeigten. Durch die schmalen braunen Lippen schimmerte ein scharfes, schneeweißes Gebiß. Ein schwarzes Flortuch, dessen Spitze in den Nacken hinabsank, bedeckte das dünne flachsgelbe Haar, das über der kugelrunden Stirn gewaltsam zu einem Scheitel geordnet war. In dem linken Arme trug die Frau ein zierliches schwarzes Körbchen, in dem ihr weißes Schnupftuch und ein Schlüsselbund lagen. Mit einem holdseligen Lächeln und einer Verneigung à la Gurli grüßte die Frau vom Hause.

Hätte sich der gute Senator nicht in der Melancholie der Gastronomie befunden, so würde es ihm unmöglich gewesen sein, bei diesem naiven Gruße das laute Lachen zu unterdrücken. Es gelang ihm, seinen Ernst zu bewahren.

„Sie haben sich diesen Morgen nach meublirten Zimmern erkundigen lassen?“

„Ja, Madame!“

„Wie viel gedenken Sie monatlich anzulegen?“

„Der Preis gilt mir gleich, wenn ich elegant und bequem wohne.“

„Ich bitte, folgen Sie mir, ich werde Ihnen die Localität zeigen.“

Man stieg zu dem ersten Stocke hinan. Die Zimmer, die der Senator hier sah, fanden seinen Beifall.

„Was fordern Sie Miethzins?“ fragte er.

„Monatlich fünfzehn Thaler.“

„Gut, so werde ich mit dem Herrn Doctor Nataß abschließen.“

„Verzeihung, dies ist meine Sache!“ sagte die Dame pikirt.

Gottfried Christian Beck war Senator, mithin ein wenig Jurist. Außerdem ließ er sich in Geschäftsangelegenheiten nicht gern mit Frauen ein.

„Ein rechtsgültiger Abschluß kann aber doch nur stattfinden, wenn der Herr Doctor – –“

„Ich kontrahire unter Beitritt meines Mannes – der Form wegen!“

„Ah, unter Beitritt Ihres Mannes!“ antwortete gedehnt der Senator, den die Herabsetzung der Manneswürde pikirte. „Kontrahiren Sie gefälligst mit meinem Bedienten, ich werde dann dem Kontracte beitreten.“

Das flammende Gesicht der Hausfrau schien Funken zu sprühen. Ihr blaugrünes Auge warf durchbohrende Blicke auf den kleinen, dicken Mann, der ruhig die Einrichtung des Zimmers betrachtete. Gern hätte sie den Unverschämten, der ihre Autorität nicht anerkennen wollte, abgewiesen; aber die Aussicht auf den reichen Gewinn und die Lust, sich an ihm zu rächen, mäßigte den Zorn.

„Wenn wollen Sie das Zimmer beziehen?“ fragte sie lächelnd.

„Lieber heute, als morgen; das Getümmel in dem Hotel ist mir lästig.“

„Morgen früh werden Sie alles bereit finden.“

„Nehmen Sie diesen Doppellouisd’or als Angeld. Nicht wahr, der vollkommensten Ruhe darf ich mich versichert halten?“

„Es wird Sie keine Fliege stören, mein Herr!“

„Und darf ich dieses Piano benützen?“

„Es gehört zur Ausstattung des Zimmers.“

Der Senator grüßte, und entfernte sich. Er trat mit Lorenz, der im Hause gewartet hatte, auf die Straße. Dem drüben Himmel entströmte ein dichter Regen.

„Wo ist unser Wagen, Lorenz?“

Beide sahen sich vergebens nach dem Fiaker um, er war verschwunden.

„Das begreife ich nicht,“ murmelte der lange Bediente; „ich habe den Kutscher noch nicht bezahlt. Vielleicht hat ihn die Dame genommen, die vorhin den Doctor verließ.“

„Hast Du der Dame näher in das Gesicht gesehen, Lorenz?“

„Nein, sie zog den Schleier herab, als sie an mir vorüberging.“

Der Senator schwieg; aber er dachte daran, daß die Landdrostin eine kleine Rache an ihm geübt haben könne, indem sie sich bei diesem schlechten Wetter seines Miethswagens bemächtigt. Und er täuschte sich nicht: die alte Dame hatte dem Kutscher zwei Thaler geboten, und dieser war eigennützig genug, um das Geld auf Kosten seines ersten Passagiers zu verdienen. Was war nun zu thun? Lorenz wußte aus Erfahrung, daß es bei schlechtem Wetter schwer sei, einen Fiaker aufzutreiben; er wollte so eben den Vorschlag aussprechen, der Herr möge in dem Zimmer des Doctors warten, bis er einen Wagen besorgt hätte – da rasselte ein Fiaker die Straße herab. Nach einigen Augenblicken erkannte er den treulosen Kutscher, der rasch vorüberfahren wollte, als er die beiden betrogenen Passagiere sah. Der lange Bediente, ein Feind aller Unredlichkeiten, rief dem Kutscher zu; als dieser nicht hörte, griff er ohne Bedenken dem Pferde in die Zügel.

„Halt,“ rief er, „wir haben den Wagen gemiethet!“

„Er ist besetzt!“ antwortete der Kutscher.

„Gleichviel, mein Herr hat erste Recht!“ antwortete der erbitterte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_384.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)