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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Dame, deren Feind er durch das tückische Spiel des Zufalls geworden war.

„Frau von Jasper?“ sagte der Senator, indem er sich verbeugte.

„Ich bin Frau von Jasper!“

Der Herr schloß dem Diener die Thür vor der Nase. Dann trat er der Bewohnerin des Zimmers näher, und sah sie einen Augenblick schweigend an. Frau von Jasper verlor ihre Fassung.

„Mein Herr,“ rief sie, „Ihre Kühnheit artet in Insolenz aus! Bin ich denn in meinem Zimmer nicht mehr sicher vor Ihnen? Giebt es denn kein Mittel, mir Ruhe vor Ihnen zu schaffen? Was wollen Sie?“

„Meine Pflicht als ehrlicher Mann erfüllen – hier ist Ihr Taschenbuch, das ein Zufall, und diesmal ein guter Zufall, in meine Hände gerathen ließ. Nehmen Sie!“

„Das ist wahrlich ein seltsamer Zufall!“ flüsterte überrascht die Landdrostin. „Ich habe dem Finder einen Lohn zugesichert – –“

„Ich leiste nicht darauf Verzicht!“ sagte lächelnd der Senator. „Noch mehr, gnädige Frau: ich habe ihn mir bereits genommen. Prüfen Sie gefälligst das Taschenbuch.“

„Das ist mir lieb!“ rief die alte Dame, indem sie das Buch öffnete. „Jeden Dienst, den man mir leistet, pflege ich zu bezahlen. Aber die Summe ist ja vollzählig? Eine Visitenkarte und zwei Briefchen fehlen – –“

„Diese drei Dinge, gnädige Frau, betrachte ich als den Finderlohn.“

Beide sahen sich einander forschend an. Die Landdrostin gerieth in peinliche Verlegenheit; der Senator lächelte.

„Aber haben die Briefe einigen Werth für Sie,“ fuhr er fort, „so bin ich bereit, sie Ihnen zurückzugeben.“

„Mein Herr, wenn Sie nicht die Absicht haben, Ihren Spott fortzusetzen, so begreife ich nicht, was für ein Interesse Sie leiten kann – –“

„Ich werde Ihnen Aufklärung geben, gnädige Frau! Wenn ein Mann in seinem Leben, und zwar in seinen Jugendjahren, nur zwei Liebesbriefe geschrieben hat, so muß es ihm gewiß von großem Interesse sein, wenn er im Alter diese Briefe, die Ergüsse einer romantischen Schwärmerei, zu Gesichte bekommt. In diesem Falle stehe ich. Ich war drei- oder vierundzwanzig Jahre alt, als ich diese Briefe an die reizende Blandine Witt richtete. Heute finde ich sie in dem Portefeuille der Frau von Jasper. Der Zufall, gnädige Frau, war uns auf der Reise ein tückischer Kobold – jetzt macht er seine Tücke dadurch wieder gut, daß er uns sagt, wer wir uns einander einst waren – denn, bei Gott, ohne diesen Zufall würden wir uns nicht erkannt haben. Wir sind ja seit unserer Trennung um fünfundzwanzig Jahre älter geworden.“

Die Entrüstung der Landdrostin war einer freudigen Überraschung gewichen. Mit bewegter Stimme flüsterte sie: „Demnach wären Sie –?“

Der Senator ergriff ihre Hand, drückte einen zarten Kuß darauf, und antwortete: „Gottfried Beck, einst als junger Commis der glühendste Verehrer der reizenden Blandine.“

„Und Sie haben mich auf der Reise wirklich nicht erkannt?“

„Ich würde sonst früher die Hand geküßt haben, ohne die ich bis zu diesem Augenblicke Garçon geblieben bin.“

Frau von Jasper verneigte sich tief, indem sie flüsterte: „Und ich bin seit einem Jahre Wittwe. Ihre Briefe, Herr Beck, sind mir in den einsamen Stunden meines Wittwenstandes die theuerste Erinnerung gewesen. Wie oft habe ich schmerzlich den Zufall bedauert, der uns trennte. Herr von Jasper war kein Mann für mich – –“

De mortuis nil nisi bene!“ rief der Senator. „Der gute Landdrost ruhe in Frieden!“

„In diesen Wunsch stimme ich von Herzen ein!“ fügte lächelnd die alte Dame hinzu.

Beide setzten sich in den Sopha. Nun folgte ein Austausch von Mittheilungen, die wir übergehen, da sie nicht unbedingt zu unserer Geschichte gehören. Nur das dürfen wir nicht verschweigen, daß Blandine, jetzt Frau von Jasper, einst eine bildschöne Tänzerin gewesen, die neben Pepita de Oliva mit Ruhm bestehen konnte. Gottfried, ein hübscher, blühender Commis, wenn auch ein wenig klein, hatte sich ihrer Gunst im hohen Grade zu erfreuen gehabt, war aber, trotz seiner glühenden Liebe, von dem reichen Herrn von Jasper, der später Landdrost wurde, überflügelt. Der gute Gottfried hatte zu lange mit dem Heirathsantrage gezögert. Zwar hatte er sich stets mit einer Art Wehmuth der ersten Jugendliebe erinnert; aber der Grund, den er seinem Junggesellenthume Frau von Jasper gegenüber untergelegt, war eine Lüge, eine Höflichkeitsphrase gewesen.

Blandine hatte den Zweck ihrer Reise erzählt; Gottfried den seinigen. Beide sahen sich erstaunt an, als sich herausstellte, daß der Neffe des Senators die Tochter der Landdrostin entführt und geheirathet hatte.

„Ist Cäsar wirklich von Adel?“ fragte die erstaunte Dame:

„Sein Vater erhielt den Adel, als er zum Legationsrathe ernannt wurde; es kann Niemand seinen Rang anfechten.“

„So kann Cäsar als Edelmann die Erbschaft seiner Frau antreten. Ach, wäre er nur nicht Spieler, wäre Wilhelmine nicht krank!“

„Ueberzeugen wir uns!“

„Aber wie?“

„Der gerade Weg ist stets der beste – wir wenden uns an die jungen Leute selbst, anstatt auf das Urtheil Anderer zu hören. Mein Wagen steht noch vor der Thür; Sie haben Toilette gemacht – säumen wir nicht, die Sache in’s Klare zu bringen.“

Einige Minuten später trat die Landdrostin am Arme des Senators auf den Corridor. Lorenz und Susanne sahen ihre Herrschaft mit großen Augen an.

„Oeffne den Wagen, Lorenz! Dann bleibst Du hier, bis wir zurückkommen!“ befahl der Senator. „Dem Kutscher sage, daß er uns nach Cäsar’s Wohnung fahre, die Du kennst.“

So geschah es. Der Wagen fuhr ab, und bald zog der Senator die Glocke an Cäsar’s Thür. Gottfried ließ sich von der Magd das Zimmer seines Neffen bezeichnen. Dann trat er, Blandine am Arme führend, ohne Umstände ein. Die beiden jungen Gatten saßen im Sopha; überrascht erhoben sie sich. Aber mehr noch waren die Eintretenden überrascht: der Senator erkannte die reizende Finderin des Portefeuilles und die Landdrostin erkannte den interessanten jungen Mann, den sie bei dem Doctor gesehen und im Verdachte gehabt hatte, ihr Portefeuille gefunden zu haben. Wir fügen noch hinzu, daß sie vergebens bei dem Doctor geforscht, der, wie wir wissen, Cäsar nicht gesehen hatte. Alle waren so überrascht, daß sie vergaßen, zu grüßen. Endlich reichte der Onkel dem Neffen die Hand.

„Cäsar,“ sagte er lächelnd, „stelle mich Deiner liebenswürdigen Gattin vor.“

Aber Cäsar hörte nicht, er starrte die Landdrostin an.

„Madame,“ stammelte er, „Sie haben ein Portefeuille verloren?“

„Zu meinem Glücke!“ antwortete freundlich die Landdrostin. „Es befindet sich bereits wieder in meinen Händen.“

„Genügt Ihnen diese Quittung?“ fragte der Senator, indem er Wilhelminen die Hand küßte.

Die junge Frau verneigte sich.

„Wenn Madame die Eigenthümerin ist“ – flüsterte sie.

„Dafür bürge ich!“ rief der Senator. „Fordern Sie noch immer keinen Lohn?“

„Erwirken Sie mir die Verzeihung meines Mannes –“

„Weshalb zürnt er Ihnen?“ fragte verwundert der Onkel.

„Daß ich ihn des Glückes beraubt habe, seinen Fund in Person zu überreichen; aber ich wollte den Onkel kennen lernen und versöhnen, da ich die Schuld zu tragen glaube – –“

„Madame,“ unterbrach sie der joviale Alte, „sagen Sie meinem Neffen, er sei ein Narr! Soll ich ihm böse sein, weil er eine liebenswürdige Frau besitzt? Hätte ich den Muth gehabt, eine Entführung zu unternehmen, ich wäre vielleicht heute ein glücklicher Ehemann. Frau von Jasper wird die Güte haben, dies zu bestätigen.“

Statt zu antworten, trat die Landdrostin zu Wilhelmine, ergriff bewegt ihre Hände und küßte sie.

„Der Herr Senator hat Recht!“ flüsterte sie dann unter Thränen. „Der Entführer hat die Verzeihung des Onkels – ich bringe der Entführten die Verzeihung der Mutter.“

Cäsar stand wie träumend da; er begriff Nichts von den Dingen, die sich vor seinen Augen ereigneten. Wie durch einen Schleier sah er, daß die Landdrostin sich ihm näherte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)