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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

kennen! Aber,“ fuhr sie fort, „war er denn hier im Cafe, als Du bei mir warst? – Besinne Dich einmal!“

„Ich weiß nicht“ sagte das Kind; „allein ich vermuthe es, denn er kam mir auf dem Fuße nach.“ – „Jean! Baptist! Charles!“ rief die Wirthin den Aufwärtern.

Sie eilten herbei.

„Erinnert Ihr Euch, wer gestern Nachmittag hier war?“ – fragte sie hastig.

Aber der Besuch des Café war gerade gestern, wo die Witterung ungünstig gewesen war, ganz ungewöhnlich zahlreich; die Aufwärter hatten alle Hände voll zu thun gehabt und eine Menge fremder Gesichter war darunter gewesen. Bedenkt man, wie die Besucher eines pariser Café’s ebben und fluthen; wie selten Einer lange verweilt, so ist es entschuldbar, daß die Garçons keine Auskunft geben konnten, ja daß sie einen unscheinbar gekleideten, bescheidenen, anspruchslosen Stammgast, wie Beranger, dessen Bedeutung ihnen vielleicht nicht einmal bekannt war, ganz übersahen. Die gestrenge Herrin, die es sich einmal in’s Köpfchen gesetzt hatte den Mann zu entdecken, der so edel gehandelt, fand das indessen nicht entschuldbar und die Aufwärter mußten es hinnehmen, daß sie ihnen Leichtsinn und Unachtsamkeit auf ihre Gäste an den Hals warf. Ihr Verlangen wuchs aber nur durch die Hindernisse. Jetzt wandte sie sich wieder an das Kind, dem es unheimlich zu werden begann. Es mußte nun zusammenhängender alle die Vorfälle erzählen, was denn auch bis auf den letzten Punkt, nämlich die Unterbringung ihres Bruders bei einem Kupferstecher, geschah.

Die Wirthin schlug vor Verwunderung die Hände zusammen, aber trotzdem rieselten ein paar Thränen über ihre frische Wange, die für ihr Herz ein gültig Zeugniß ablegten. Aber auch das weichste Frauenherz kann unter solchen Umständen von der brennendsten Neugierde gequält werden, und das war hier in der That der Fall.

„Also er kommt heute früh wieder zu Euch?“ fragte die Wirthin, und sann, ob sie sich ohne Nachtheil ihrem Geschäfte auf einige Stunden entziehen könne. Sie fand indessen, daß das ganz unmöglich war, und es blieb nichts übrig, als das Kind gehörig zu instruiren. Das geschah, und die Kleine versprach Alles, was ihr die treue Freundin ihrer Mutter auftrug.

Als das Kind jedoch zu Hause ankam, war der edle Wohlthäter bereits dagewesen, hatte den Knaben mit sich zu dem Maler genommen und dieser, nicht Beranger, ihn zu dem Kupferstecher gebracht.

Das Kind war höchst unglücklich, daß es der Wirthin nicht die Auskunft bringen konnte, die sie so sehnsüchtig erwartete. Es eilte zu ihr und berichtete, wie es gekommen. Der Unwille der neugierigen Frau warf sich indessen nicht auf das Kind, das sie als unschuldig erkennen mußte, war aber im Allgemeinen groß, denn so etwas war ihr lange nicht passirt, und länger im Zweifel zu bleiben, rein unerträglich. Aber wie sollte sie nun hinter die Sache kommen? Das war die brennende Frage, die ihr den Kopf ganz wirr machte. Dieser Zustand wurde noch dadurch vermehrt und verschlimmert, daß Einer und der Andere ihrer Stammgäste, dem sie es gestern erzählt, wohl nach der Sache und Person fragte. Hier ihre Unkenntniß bekennen zu müssen, war bitter; noch bitterer, daß sie ihr Talent, hinter verborgne Dinge zu kommen, so augenfällig in Schatten gestellt sah.

Nach vielem Sinnen fiel ihr endlich ein Ausweg ein. Sie legte traurig die Hand auf des Kindes Schulter und sagte: „Amelie, würdest Du ihn erkennen, wenn Du ihn hier sähest?“

„O, unter Tausenden würde ich den lieben Mann heraus finden, der so freundlich durch seine Brille blickt!“ rief das Kind aus.

„So komm jeden Mittag um ein Uhr hierher!“ sagte sie, des Erfolges nun sicher. „Du hast nichts zu thun, als die Eintretenden zu mustern, und mir den rechten Mann zu bezeichnen, wenn Du ihn siehst.“ Das versprach das Kind, und schon am andern Tage trat Liebe und Dankbarkeit in einem Kindesherzen, in den Dienst einer geheimen Polizei, die eben auch nur von einem wirklich wohlwollenden, hier aber von brennender Neugierde erfüllten Herzen organisirt worden war.

Beranger hatte in den ersten Tagen, welche dem Ereignisse folgten, lediglich mit dem Geschicke seiner ihm theuer gewordenen Schützlinge zu thun. Er vergaß ganz seine gewohnte Lebensweise, und häufte Ausnahme auf Ausnahme von der sonst so feststehenden und gewohnten Regel. Wo er Bekannte und Befreundete hatte, von denen er erwarten durfte, sie könnten der Wittwe und ihren Kindern entsprechende Arbeit geben, da eilte er hin, und wurde mit seiner herzgewinnenden Weise ihr Fürsprecher. Er mußte meistens ihre Geschichte erzählen, ihre Lage schildern, und das forderte Zeit. So kam es denn, daß er acht bis zehn Tage das Café nicht betrat, und dadurch der liebliche Agent der errichteten Spionage so wenig zu einem Resultate gelangte, als die oberste Leiterin derselben ihr Ziel erreichte, was sie unendlich unglücklich machte. – Sie zürnte manchmal dem Kinde, weil es, wie sie meinte, den edlen Wohlthäter nicht mehr kenne, und wurde erst wieder versöhnt, wenn das liebliche Wesen unter Thränen versicherte, er sei noch nicht im Café erschienen; sie kenne ihn gewiß wieder, wenn sie ihn nur sähe. Dann zürnte sie über die Ungunst der Umstände, welche ihr so sehr entgegen war. Die Neugierde nahm aber darum nicht weniger ihre ganze Seele ein, ja sie wurde nur um so mächtiger, je mehr Schwierigkeiten ihrer Befriedigung entgegenstanden.

Nach acht Tagen endlich fiel es ihr denn doch auf, eine liebe Gestalt lange nicht gesehen zu haben, die sonst allmittäglich zu sehen war, die Beranger’s. Sollte der liebe Dichter, mit dem sie so oft traulich geplaudert, und den sie so aufrichtig verehrte, krank sein? – Dies beunruhigte sie ungemein; allein wie sollte sie es erfahren? – Sie mußte die Herkunft eines ihm Befreundeten abwarten, der ihr Auskunft geben konnte. Dieser kam endlich.

„Ist unser berühmter Chansonnier krank?“ fragte sie ihn lebhaft. „Er ist seit acht bis zehn Tagen nicht hier gewesen. Zu anderer Zeit habe ich die Freude, ihn täglich hier zu begrüßen.“

„Krank?“ fragte der Angeredete zurück. „Nein! Ich sah Beranger nie gesünder, als heute; aber er hat so viel zu thun, wie die Pfanne in den jours gras!“

Mon Dieu! Was beschäftigt ihn denn so?“

„Weiß es nicht, und auf Fragen giebt er keine Antwort. Er lächelt nur, und Sie wissen, wenn er lächeln kann, da ist man im Voraus besiegt, und kann nicht weiter fragen.“

„Wohl weiß ich’s,“ sagte die niedliche Wirthin. „Aber ich möchte denn doch wissen, was der Zweck seines geheimnißvollen Thuns ist. Es muß wichtig sein, weil er darüber eine Gewohnheit vergißt, die, wie mir es scheinen wollte, eine Macht bei ihm war.“

„Nun,“ sagte lachend der Freund Beranger’s, „Sie können ruhig sein. Etwas Schlimmes ist es gewiß nicht. Vielleicht wieder ein stilles, wohlthätiges Wirken, über das er, wie immer, den undurchdringlichsten Schleier des Geheimnisses breitet. Sobald er sein Ziel erreicht hat, kommt er sicherlich wieder hierher.“

Mit diesen Worten verbeugte sich der Herr, nahm vom Präsentirteller des Garçons seine Tasse, ließ sich die Zeitung geben, und setzte sich in seiner Fensternische nieder, ohne sich weiter um die neugierige Wirthin zu bekümmern.

Die letzten Worte hatten indessen einen Funken in die Brennstoffe der Gedanken der Wirthin geworfen, der nicht erlosch. Sie sank in ihren Fauteuil und stützte den Kopf in die kleine weiße Hand. Nach einigen Minuten sprang sie auf. Ihr Antlitz leuchtete vor seliger Freude.

„Amelie!“ rief sie dem Kinde, das schnell herzueilte. „Hör’ mal, Liebe, war der Herr nicht ein ältlicher Mann?“

„Ja wohl!“

„War er nicht stark, von mittlerer Größe, breitschultrig?“

„Gewiß!“

„Trug er eine Brille, war sein Haar nicht schon etwas grau?“

„Ja, ja!“ rief das Kind.

„War er nicht einfach, vielleicht etwas nachlässig, gekleidet?“

„Auch das.“

„Erinnerst Du Dich der Farbe seines Rockes?“

„Er war, wenn ich nicht irre, grau.“

„Und wie war sein Gesichtsausdruck?“

„Ach,“ sagte das Kind, „so freundlich, so liebenswürdig und herzgewinnend, wie kaum Jemand außer ihm sein könnte!“

„Und seine Stimme?“

„Sehr wohllautend und tief.“

„Vortrefflich!“ rief die Wirthin, und rieb die kleinen Hände vor Lust. „Ich glaube, wir haben ihn!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_418.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)