Seite:Die Gartenlaube (1856) 563.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

neuen Wege aufthun. Ein höchst sonderbares Ereigniß sollte auch hier ihm bahnbrechend werden. Eines Tages ließ ihn sein Hauptmann zu sich rufen, ein hochadeliger Herr, dessen Bildung aber unter dem Gefrierpunkte stand.

„Weitsch,“ redete er ihn an, „Du könntest mir einen großen Dienst leisten.“ –

„Mit Freuden, gnädiger Herr Hauptmann,“ entgegnete Weitsch, „wenn es nur in meinen Kräften steht.“

„Freilich,“ sagte darauf der Hauptmann. „Ich kenne Dich ja von Holland her als so einen Hexenmeister und Tausendkünstler. Sieh, ich will Dir’s offen sagen, wie es steht. Da ist mir eine alte Tante gestorben, die mir das Teufelszeug, aber nur das nicht hinterließ, was ich brauche, nämlich Geld. Unter dem Nachlaß der alten, gnädigen Hexe sind auch zwei schöne Gemälde. Sie sollen gut und viel Geld werth sein; gefallen mir aber auch. Nun möchte ich sie gerne behalten, aber auch hebräisch lernen lassen – Du verstehst mich? – das geht aber nicht zugleich. Da dachte ich, Du könntest sie mir wohl nachmalen, kopiren. Da behielt ich die hübschen Bilder und – hätte auch das schöne Geld. Nicht wahr, fein ausgedacht? – Heh! Und Du bist der Kerl dazu!“

Weitsch betrachtete die herrlichen Bilder. Es waren zwei ausgezeichnet schöne, höchst werthvolle Landschaften; dann sieht er den Hauptmann an, der in seiner kolossalen Dummheit und Geldgier vor ihm steht. Wer – was er denkt, muß er ihm verschweigen, denn es ist sein Hauptmann und er – Korporal! Endlich sagt er zu dem Hauptmann, der alle Zeichen der Ungeduld bei dem langen Schweigen des Korporals gibt: „der Herr Hauptmann machen einen gnädigen Spaß mit mir! Ich bin ja kein Maler. Ein wenig Zeichnen, das ist Alles, was ich kann; aber einen Pinsel habe ich nie in der Hand gehabt und mit Oelfarben weiß ich vollends nicht umzugehen. Wie sollte ich es vollends fertig bringen, solche herrliche Bilder nachzumalen?“

„Pah!“ ruft lachend der Hauptmann. „Das ist Einem, der das Braunschweiger Wappen mit Graslappen und Sand gemacht hat, daß es einem Prinzen gefiel, eine pure Lapperei! Probir’s nur. Ich sage Dir, es geht, wenn Du anders nur willst!“ – Der Hauptmann legte einen etwas starken Ton auf das letzte Wort und machte dazu ein Gesicht, daß Weitsch schnell begriff, hier sei der Widerstand sehr gefährlich für seine Zukunft und darum geradezu am Ende.

Der Wahrheit zur Steuer darf indessen auch nicht verschwiegen werden, daß es Weitsch war, der sofort einsah, daß er an einem Wendepunkte seiner Lebensbahn angelangt sei, und daß die Vorsehung ihm eben durch diese Bilder die Thüre zu einem Dasein aufthun wolle, das seinen innersten Wünschen und Hoffnungen entspreche. Er nimmt also die Bilder, trägt sie heim, kauft Pinsel und Farben und hebt frischen Muthes an zu malen.

Weitsch hatte übrigens etwas von vornherein mit Albrecht Dürer und – vielen andern Männern gemein, nämlich – eine böse Frau! – Mit Ingrimm sah sie die Ausgaben für das Malergeräthe, die Leinwand, Rahmen und die Farben; mit noch größerem die angestrengte Thätigkeit ihres Mannes, der von nun an für nichts Anderes mehr Sinn hatte, als für seine Bilder und sein Malen. Anfänglich brummte sie heimlich und bewies mit Mienen und Geberden ihren Unwillen; als das nichts half, lieh sie ihrem Unmuthe Worte. „Am Ende,“ rief sie, „versäumst Du noch Deinen Dienst über dem Gekleckse da und wirst abgesetzt! Das fehlt gerade noch! Hast ohnehin für Weib und Kinder keinen Sinn und keine Gedanken mehr und starrst die alten Kleckse da an, als wärst Du schon halb konfuß im Kopfe. Ich wollte der Hauptmann und seine Narrengedanken wären, wo der Pfeffer wächst! Kaffee, Brot für das Geld, das Du für solches dummes Zeug vergeudest!“

So geht das in tausend Variationen alle Tage fort. Weitsch, freundlich und sanft, gibt gute Worte; aber das ist Oel in’s Feuer. Er setzt ihr ruhig und klar Alles auseinander und läßt die Hoffnung durchblicken, daß er auf diesem Wege schweres Geld verdienen könne; aber das verfängt nicht. Sie bleibt in ihrer einmal angeschlagenen Tonart und dem armen Weitsch bleibt nichts übrig, als – sein Atelier in einer Bodenkammer aufzuschlagen, die er abschließt.

Er studirt nun seine Vorbilder, indem er sie nachzubilden sucht, durch und durch und – entdeckt in dem Einen der Bilder offenbar einen Fehler. Ein Baum ist falsch schattirt. Er stutzt. Er denkt nach. Es ist indessen sicher. Um sich aber vollends zu überzeugen, geht er hinaus in’s Freie, setzt sich hin und studirt die Wirkung des Lichts und des Schattens in der Natur.

Hier kommt er in’s Klare und zur Ueberzeugung der vollen Richtigkeit seiner Beobachtung. Nun eilt er heim und in seiner Kopie wird der Fehler sogleich verbessert.

Die Liebe zur Kunst wächst mit jedem Momente. Er erkennt, daß seine Kopie nicht schlecht ist. Er fragt sich, ob er denn nicht Aehnliches frei schaffen könne, und glaubt, die Frage sich bejahen zu dürfen. Sein Genie überwindet alle Hindernisse.

Er führt seinen Pinsel, ohne nur einigen Unterricht empfangen zu haben, mit Geschick und Leichtigkeit. Nach geraumer Zeit ist endlich seine Aufgabe gelöst – aber auch sein Lebensberuf entschieden.

Als er dem kunstfreundlichen Hauptmann die Originale nebst den beiden Kopieen bringt, schlägt dieser die Hände über dem Kopfe zusammen vor Erstaunen. Er begreift es kaum. Endlich wird er zweifelhaft und ruft aus: „Weitsch, Du führst mich am Narrenseile, das hast Du mein’ Lebetage nicht selbst gemacht! Du hast’s bei einem geschickten Maler machen lassen! Gesteh’s nur!“ Weitsch ist entzückt durch diesen Unglauben, der ein Triumph seiner Kunst ist, wie er ihn größer nicht zu hoffen gewagt. Zwar noch lange beharrte der Herr Hauptmann bei seinem Zweifel, aber es gelang doch Weitsch, ihn endlich zu überzeugen.

Nun aber erschallt des Hauptmanns Posaune in allen vornehmen Zirkeln Braunschweigs, in denen zwar viele die Kunstbildung des Herrn Hauptmanns theilen, aber auch urtheilsfähige Leute sind. Alles strömt hin, die Bilder zu sehen. Er hat sich hohe Bewunderer, Gönner und Freunde erworben, und bis zu seinem edeln, kunstliebenden Landesherrn dringt sein Ruf. Er läßt sich die Bilder bringen und staunt. Weitsch muß vor ihm erscheinen – und er entsagt dem Soldatenstande und widmet sich, von allen Seiten ermuntert und gefördert, der Kunst, die ihm eine ehrenvolle Stellung, hohe Achtung und Liebe erwirbt. Als er von seinem Landesherrn zum Gallerieinspektor mit ansehnlichem Gehalt ernannt worden war, und diese ehrenvolle Stellung seiner Frau mittheilte, da stehen ihr Thränen in den Augen; sie fällt ihrem Manne um den Hals, und bittet ihm ihre Schuld ab, die sie ohnehin schon lange bereuet hatte.




Blätter und Blüthen.




Eine Begebenheit aus dem Leben den Fürstbischofs von Dalberg. Zu den reinsten Freuden des edeln Mannen und Priestern, dessen Name in der Ueberschrift genannt ist, gehörte es, wohlzuthun, wo und wie er es nur vermochte. Seine Wohlthätigkeit war um so reicher und umfassender, je weniger er selbst bedurfte, sie wurde aber auch von allen Seiten und in einem Maße in Anspruch genommen, daß oft das reichere Maß seiner Liebe und Barmherzigkeit überschritt und es kamen Fälle in seinem Leben vor, wo er, mit einer Thräne im Auge, bekennen mußte, er sei so arm wie die, welche Hülfe bei ihm suchten, und das war eine volle, runde, reine Wahrheit. Eine Scene dieser Art, eine Begebenheit sollen die nachfolgenden Zeilen erzählen.

Einst wendete sich eine Familienmutter an Dalberg um eine Beihülfe. Die Familie war eine angesehene, einst sehr bemittelte, aber die Zeitverhältnisse und ihre Ungunst, Verluste bedeutender Art und andere Unglücksfälle hatten sie in ihrem Vermögen so weit zurückgebracht, daß sie fremder Hülfe bedurfte. An wen konnte sie sich vertrauensvoller, der Verschwiegenheit sicherer wenden, als an den edeln Dalberg, dessen Wohlthätigkeit bekannt war? Es war nicht eigentlich ein Almosen, welches die Frau wollte. Die Familie bedurfte einen Kapitals von siebenhundert Gulden, um der Schmach einer Klage und der Pfändung zu entgehen. Sie hielt an den letzten Fetzen einen ihr entrissenen Ansehens in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie trat voll Hoffnung bei ihm ein und sprach vertrauensvoll ihre Bitte aus.

Dalberg blickte sie wehmüthig an. „Wie gerne,“ sagte er, „wollte und würde ich helfen, wenn ich könnte. Aber jetzt ist es beim besten Willen unmöglich. In sechs Wochen wird wieder Geld in meine Hände kommen, dann rechnen Sie auf mich!“

Die bitter getäuschte Frau erbleichte – nicht aus Schrecken allein:

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_563.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)