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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 45. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Herr Klein.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
I.
Die Sonntagsruhe.

Auf dem schönen, weiten Platze vor dem Kurhause zu Wiesbaden war ein bewegtes glänzendes Leben. Es war an einem Sonntag Nachmittag der Badesaison.

An einem kleinen Tische saßen ein Herr und zwei Damen. Der Herr war ein rüstiger Fünfziger, indeß so wohl erhalten, daß man ihn auch für einen Vierziger halten konnte. Die beiden Damen standen in der Blüthe der Jugend und Schönheit. Freilich sah die eine, ältere, etwas leidend, abgehärmt aus, und man konnte meinen, ihre Schönheit sei jetzt gerade wieder im neuen Aufblühen begriffen. Desto frischer, lebendiger und schelmischer blühete die Schönheit der jüngeren.

Die beiden Damen gaben sich ganz dem Genusse hin, den der schöne Platz und das Leben um sie her auf sie machten. Die Augen der älteren, blassen, hingen mehr an der reizenden Gegend; sie schweifte über die reizenden Fluren, über die dunklen Waldungen, von denen Wiesbaden so malerisch umgeben ist, hinweg nach den hohen Kuppen des Taunus, nach den schönen Gebirgen des Rheingaues. Sie schweiften und träumten noch weiter, links nach Süden hin, den Lauf des Rheines hinauf, weit, weit, über die fernsten blauen Rücken und Spitzen der Berge hinweg, dorthin, wo nur der unbegrenzte, unendliche Luftraum war. Der Blick der jüngeren Dame verlor sich nicht in die Weile, und träumte noch weniger in die unbegrenzte Ferne hinein; er hielt sich in der Nähe, an dem schönen Kurhause, das einem Taubenschlage oder Bienenkörbe glich, so flog es dort ein und aus; an dem Gewimmel auf der Terrasse, das sich bis hinten in die Stadt hineinzog, und erst in den fernsten Krümmungen der Gassen sich für das Auge verlor. Die Dame sah zugleich überall nach den schönen Toiletten, von denen es in dem Getriebe auf der Terrasse, wie an dem Bienenkörbe des Kurhauses wimmelte. Von den Toiletten glitt das Auge unwillkürlich nach den reichen, glänzenden Läden und Magazinen, die zu beiden Seiten des Platzes bis nach der Stadt hin unabsehbar sich ausbreiten.

Der ältere Herr schien nicht einen gleichen Genuß zu haben, wie die jungen Damen.

„Es ist doch reizend hier,“ sagte die schelmische Schöne mit einem Seufzer.

„O, es ist schön hier,“ erwiederte die Leidende mit einem glänzenden Blick in die weite Ferne nach Süden hinein.

„Ich weiß nicht, was Ihr nur habt,“ sagte brummig der Herr. „Unter den Zelten ist es schöner.“

„Aber, Vater!“

„Was habt Ihr hier denn? Ein paar einfältige Berge, dort unten das kleine Nest, das die Leute eine Stadt nennen, schlechten Kaffee, keine Weiße, keine Sonntagsruhe.“

Der Herr war der Geheimerath Fischer aus Berlin, die beiden Damen seine Töchter.

Der Geheimerath Fischer war ein Berliner Geheimerath; er war auch ein Berliner Kind und stammte aus einer jener, dem Mittelstände angehörenden Berliner Bürgerfamilien, in denen die Männer große, altfränkische Schnupftabaksdosen von gediegenem, dreizehnlöthigem Silber tragen, und die Frauen goldene Halsketten, dick und schwer wie Hemmschuhketten; in denen aber auch Sittlichkeit, Redlichkeit und Treue zu Hause sind, fest und rein, wie das gediegendste Silber und das reinste Gold. Ich habe sie kennen gelernt diese Bürgerfamilien des verrufenen Berlins. Vielleicht nirgend in der Welt findet man mehr Sitte und Tugend. Nur zwei Schwächen trifft man in diesen Berliner Bürgerfamilien an. Aber kann man sie wirklich Schwächen nennen? Nichts in der Welt geht ihnen über Berlin, und in Berlin geht ihnen nichts in der Welt über das Kammergericht. Aber konnte nicht der Müller von Sanssouci seinem großen Könige mit dem Kammergerichte in Berlin drohen? An solchem Ruhme kann man lange zehren. Und ist nicht Berlin jetzt noch eine schöne Stadt?

Der junge Fischer wurde zum Studiren bestimmt, denn er sollte Kammergerichtsrath in Berlin werden. Er besuchte das Gymnasium zum grauen Kloster in der Klosterstraße und dann die Universität, dem Opernhause gegenüber. Nach beendigten Studien wurde er bei dem Stadtgerichte in der Königsstraße zuerst Auscultator, dann Referendarius, dann Assessor und endlich Stadtgerichtsrath, und stand jetzt auf der letzten Stufe zum Kammergerichtsrathe.

Aber da kam ein neuer bürgerlicher Justizminister nach Berlin, der seine Karriere nicht blos in Berlin, sondern sogar meist in den Provinzen gemacht hatte. Der brachte den sonderbaren Gedanken mit, es sei nicht gut, das Kammergericht in Berlin ausschließlich mit Söhnen des märkischen Adels und mit Berliner Kindern zu besetzen. Jedenfalls müßten diese, bevor sie am Kammergerichte angestellt werden könnten, sich eine Zeit lang außerhalb der Residenz im Lande umgesehen haben. Er bemerkte auch dem Stadtgerichtsrath Fischer, er könne ihm zwar wohl eine Rathsstelle beim Kammergerichte verleihen, vorher aber müsse er sich auf einige Jahre an ein Oberlandesgericht in der Provinz versetzen lassen. Mehrere Jahre in einer kleinen Provinzialstadt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_605.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)